David Kunzle: From Criminal to Courtier. The Soldier in Netherlandish Art 1550-1672 (= History of Warfare; Vol. 10), Leiden / Boston: Brill 2002, 662 S., zahlr. Abb., ISBN 978-90-04-12369-4, EUR 195,00
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Mit diesem voluminösen Band nähert sich David Kunzle einem Thema, das in der vergangenen Dekade zunehmend Aufmerksamkeit auf sich zog. Die Jubiläumsfeiern zum Westfälischen Frieden 1998 wurden von einer ganzen Reihe von Publikationen begleitet, die verschiedene Aspekte des Soldatenlebens - Historien, Schlachten- und Soldatengenre sowie Flugblattsatiren, in den Blick rückten. Kunzle - so suggeriert es der Titel - unternimmt hier den Versuch, die verschiedenen Aspekte gebündelt darzustellen und eine Interpretation unter einer gemeinsamen Perspektive vorzuschlagen. Das Bildmaterial, das er zusammenträgt, geht deutlich über das bisher publizierte hinaus und die Breite der herangezogenen Textquellen machen dieses Buch zu einem wichtigen Bezugspunkt für alle weitere Forschung.
Kunzle gliedert sein Buch in drei Abschnitte, deren Titel sowohl inhaltliche wie chronologische Abgrenzung vorschlagen. In dem ersten großen Abschnitt "1550-1600. Spanish Herod, Dutch Innocents" (der Titel ist Kunzles Aufsatz in 'Art History' (2001) entnommen) verfolgt Kunzle durch neun Kapitel eine Spur, die Stanley Ferber bereits 1966 ("Renaissance News") gelegt hat: Kann man Pieter Bruegels Komposition "Der bethlehemitische Kindermord" auf Grund des "Settings" (flämisches Dorf) und des Personals (zeitgenössische Kleidung der Bauern, ein kaiserlicher Herold, spanisch gerüstete Soldaten und ein Anführer, der als Herzog Alba identifiziert wird) als künstlerische Anklage der spanischen Tyrannei in den Niederlanden lesen? Die Entwicklung des Bildthemas ab dem 13. Jahrhundert (Kapitel 1) bis zu seinen beiden Höhepunkten bei Bruegel (Kapitel 4) und den Haarlemer Manieristen (Kapitel 9) bildet bei Kunzle eine Rahmenerzählung, in die er Exkurse einstreut, die aus seiner Sicht zum Verständnis des Themas notwendig sind: Die Frage nach dem persönlichen Engagement des Künstlers in Kriegszeiten (Kapitel 2 und 5), ein Blick auf den zeitgenössischen Diskurs über Kriegsrecht (Kapitel 3) und auf die Flugblattpropaganda, die die erste Phase des 80-jährigen Kriegs begleitete (Kapitel 6), sowie ein Überblick über Reflexe des Themas, die in den zahlreichen Darstellungen von Plünderungen und Überfällen immer wieder aufscheinen (Kapitel 8). Während in diesen Exkursen die Verbindung mit der Hauptfrage nach dem "Kindermord zu Bethlehem" und seinen politischen Implikationen - die Frage Ferbers wird von Kunzle entschieden bejaht - in der flämischen und niederländischen Kunst immer präsent ist, bleibt ein entsprechender Bezug von Kapitel 7 "Massacres in France" unklar.
Der zweite Abschnitt schließt chronologisch an: "1600-1650. New War, Old Plundering". Inhaltlich vollzieht Kunzle jedoch nach und nach einen Perspektivwechsel von den Opfern unter der Zivilbevölkerung in den grausigen Schilderungen eines Sebastian Vrancx oder den trügerisch friedlichen Landschaften eines Esaias van de Velde (Kapitel 10 und 11) hin zu den Tätern - Soldaten, die in ihren Wachstuben die Beute verteilen (Kapitel 12). Dass diese Täter ebenfalls Opfer einer perfiden Kriegsmaschinerie waren, macht der Exkurs zur Kriegsfinanzierung im Dreißigjährigen Krieg deutlich: "Der Krieg ernährt den Krieg", die (Hoffnung auf) Beute wird zum einzigen beziehungsweise legitimen Sold des einfachen Soldaten. Scharf ist der Kontrast zum abschließenden Kapitel "Rubens. Man of Peace or Man of War", in dem Kunzle sich aufmacht, das Image des flämischen Malerfürsten als eines großen Streiters für den Frieden zu demontieren. Trotz einiger interessanter Hinweise bleibt Kunzles Gegenbild eines naiven Opportunisten und Schönfärbers jedoch im Stadium einer kalkuliert provozierenden Polemik stecken.
Im dritten und letzten Abschnitt des Buchs beginnt Kunzle nochmals mit der Jahrhundertwende: "1600-1670. The Good Soldier (Soldier as Courtier)". Der Perspektivwechsel ist vollzogen, jetzt steht der Soldat und seine Rolle in der niederländischen Gesellschaft im Mittelpunkt. Die in den vorangehenden Kapiteln behandelte grundlegende Feindschaft zwischen Soldaten und Zivilisten wird aufgehoben: "The Soldier Redeemed" (Kapitel 14). An die Stelle der Tyrannei (Kapitel 6) tritt das Bild des akzeptierten Führers (Kapitel 15) im Bild der "Enthaltsamkeit Scipios" - durch seine Enthaltsamkeit so glaubwürdig, dass das niederländische Volk "[is] willing, indeed happy, to pay for and fight their masters wars and indulge their other extravangances" (564) (verdienstvoll hier die Auflistung aller Gemälde dieses Themas, die Kunzle finden konnte). Und an die Stelle der unüberbrückbaren Feindschaft zwischen Soldat und Zivilist (Kapitel 8) tritt die Symbiose in der Schützengilde beziehungsweise deren Manifestation im Schützenstück (Kapitel 16). Hier posiert die städtische Elite als Schutztruppe des Gemeinwesens. Die weitere Entwicklung des Soldatenthemas in Friedenszeiten als "The Gallant Soldier" (Kapitel 17) deutet Kunzle im letzten Kapitel seiner historischen Argumentation nur an [1] und schließt - ein wenig überraschend: "The mixed image of the soldier before 1648 has to do with mixed popular feelings about a seemingly never ending war. That image may also have suggered from the sense that true national glory lay rather with the navy [Hervorhebung des Rezensenten] than with the army on land, despite all the victories." (621)
Man kann bedauern, dass Kunzles Darstellungen des übrigen Soldatenlebens - Schlachtszene, Lagerleben und Ähnliches - aus seinen Überlegungen ausschließt. Auch kann man sich überrascht zeigen über die Proportionen innerhalb des Buchs: während der Umfang der Abschnitte sinkt, nimmt der Fundus der gezeigten (und überlieferten) Bilder zu. Dass die Kapitel zum Teil recht unvermittelt aufeinander folgen, mag daran liegen, dass bereits publiziertes oder fertiges Material (Kapitel 15 wurde, wie Kunzle freimütig bekennt, von mehreren Kunstzeitschriften abgelehnt) in den neuen Text eingefügt wurde. Da Kunzle kein Coffeetable-Book produziert hat, kann man auch die oft indiskutable Qualität der Abbildungen entschuldigen - der Rezensent schließt sich der Bitte des Autors an den Kunsthandel an, Bildmaterial besser zu dokumentieren und der Forschung leichter zugänglich zu machen.
Kunzle bekennt sich zur "Social Art History" und sieht sein Buch als - wie er in Anlehnung an Gary Schwartz formuliert - "a potent corrective to a pretty illusion, that of 'that great DMZ [demilitarized zone] of all Dutch art history, type-cast as peaceful bleaching fields, not killing fields'." (XXVI) Wie die Ausstellungen "Beelden van een Strijd" in Delft und "1648 - Krieg und Frieden in Europa" in Münster/Osnabrück im Jahre 1998 gezeigt haben, ist dieses Image tatsächlich zu hinterfragen. Problematisch bleibt allerdings der methodische Zugriff. In seinem Vorwort warnt Kunzle seinen Leser "that I am not impartial on the subject of what is now euphemized as 'human rights abuses' in any age" (XXVI). Dieses Bekenntnis wirkt sympathisch und ehrenwert innerhalb einer Forschergemeinschaft, die sich viel zu häufig im Besitz objektiver Wahrheiten wähnt. Wenn er aber weiter formuliert "and I do indeed project backwards 20th century pacifist sensibilities. I may be forgiven my partiality for Dutch culture and even partisanship for Dutch independence from Spain" (ebd.), kann der Rezensent Kunzle nicht mehr folgen. Er befindet sich ohnehin im Lager derjenigen, die Kunzle als Vertreter einer beunruhigenden Tendenz ausmacht "which jibes with what may be a resurgent conservatism in art history generally, reacting to what is now perceived by some as the anachronistic radical projections committed in the course of recent social and poltitical contextualizations of art" (XXVII) und deren Ziel es sei, Kunst von ihrer politischen Bedeutung zu reinigen. Es ist hier sicherlich nicht der Ort, eine Grundsatzdebatte über "das Politische" etc. zu führen, oder wie weit man in der Vermischung von historischer Forschung und moralischem Urteil gehen kann. Auch über die Inkonsequenz des Autors im Umgang mit der eigenen Stellungnahme und ärgerliche Ungenauigkeiten in der Argumentation will sich der Rezensent hier nicht verbreiten.
In dem Bekenntnis des Autors deutet sich allerdings eine Kluft an, die kaum zu überbrücken ist. Dies sei an einem Beispiel kurz erläutert: Hinter dem Fehlen jeglicher Ausführungen zum zeitgenössischen theologischen Diskurs über den "Bethlehemitischen Kindermord" muss man methodische Absicht vermuten. Denn in der säkularen westlichen Welt des 20. Jahrhunderts ist eine Weltsicht, die in all ihren Aspekten christlichen Deutungsmustern unterworfen ist, nicht vorstellbar. Dies anzuerkennen, wäre eine Bestätigung der von Kunzle bestrittenen möglichen Kontingenz von Deutungsmustern auch im zwischenmenschlichen Bereich (XXVII). Und dies verträgt sich kaum mit der Vorstellung anthropologischer Konstanten, die sich hinter Kunzles "I do indeed project backwards" zu verbergen scheint. Wenn dem so ist, könnte man die Polemik noch ein wenig weiter treiben: Ist diese Vorstellung unveränderlicher Ideen nicht letztlich selbst zutiefst konservativ zu nennen?
Allen Einwänden und viel kleinlicher Kritik im Detail, die hier nicht ausgebreitet sei, zum Trotz, hält der Rezensent an seiner zu Beginn getroffenen Einschätzung fest: der Reichtum des vorgestellten Materials macht dieses Buch zu einem wichtigen Reibungspunkt in der Auseinandersetzung mit einem immer noch vernachlässigten Themenkomplex.
Anmerkung:
[1] Auch wenn er die Aufsatzsammlung zitiert, scheint Kunzle Alison McNeil-Kettering: The war painting in the Netherlands after the Peace of Münster and Osnabrück, in: 1648, Paix de Westphalie: l'art entre la guerre et la paix. Actes du colloque organisé par le Westfälisches Landesmuseum le 19 novembre 1998 à Münster et à Osnabrück et le Service culturel du Musée du Louvre le 20 et 21 novembre 1998 à Paris, Paris 1999, 513-539, nicht gelesen zu haben.
Eckhard Kluth