Gerald Dobler: Die gotischen Wandmalereien in der Oberpfalz. Mit einem Exkurs zu den Malereien in der ehemaligen Freien Reichsstadt Regensburg, Regensburg: Schnell & Steiner 2002, 492 S., 95 Farb-, 142 s/w-Abb., 57 Pläne und Zeichnungen, 11 Planbeilagen, ISBN 978-3-7954-1317-0, EUR 126,00
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Die als Inaugural-Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität Regensburg 1999 vorgelegte Arbeit zur gotischen Wandmalerei der Oberpfalz erschien jetzt, teilweise überarbeitet und ergänzt, in einem opulenten Band mit umfangreichem Katalogteil sowie zahlreichen Abbildungen und Planzeichnungen. Der Autor, Gerald Dobler, kann neben dem Studium der Kunstgeschichte und der klassischen Archäologie langjährige Berufserfahrung auf dem Gebiet der Restaurierung und der Denkmalpflege nachweisen, was der vorliegenden Arbeit in jeder Hinsicht zugute kommt. Die von einer akribischen Bestandsaufnahme ausgehende, fächerübergreifende und komplexe Betrachtung des Themas ist für seine Veröffentlichung signifikant.
Publikationen zur Wandmalerei in anderen Regionen Bayerns liegen bereits vor. Relativ gut bearbeitet ist auch der Bestand der romanischen Malereien im heutigen Regierungsbezirk Oberpfalz. Die wissenschaftliche Bearbeitung der gotischen Malereien stand jedoch bis auf verschiedene Einzeluntersuchungen bislang aus. Das vorliegende Werk schließt nun diese Lücke. Es gliedert sich in den allgemeinen Textteil (80 Seiten) und den umfangreichen, auf Vollständigkeit angelegten Katalogteil (332 Seiten). Etwa 60 Objekte vom Anfang des 13. bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts, fast ausschließlich aus dem Sakralbereich, wurden erfasst und analysiert. Auffallend ist dabei die Häufung der Ausmalungen im Süden der Oberpfalz und im Gebiet der Diözese Regensburg. Dabei kommt der ehemaligen Reichshauptstadt mit mehr als einem Drittel der erhaltenen Wandmalereien ein besonderer Rang zu. Der Autor entschied sich jedoch, diese Werke wegen ihrer Fülle und einer dazu in Vorbereitung befindlichen Dissertation weitgehend auszuschließen.
Der allgemeine Textteil enthält vier Kapitel. In der Einleitung stellt Dobler die Aufgabenstellung der Arbeit dar, umreißt den geografischen und zeitlichen Rahmen und geht auf Methodik und Systematik ein. In Kapitel 2 gibt er eine umfangreiche kunsthistorische Einführung und erörtert in Kapitel 3 dann spezielle Fragestellungen. Kapitel 4 widmet sich in einem kurzen Überblick der Wandmalerei Regensburgs. Es folgen Schlusswort und Anhang. Letzterer enthält neben den gebräuchlichen Angaben Ausführungen zu den technischen Merkmalen der Umzeichnungen, eine Übersicht der an den Bildern tätig gewesenen Restauratoren und ein ikonographisches Verzeichnis.
Das zweite Kapitel, als Einführung gedacht, ist eigentlich auch schon eine Auswertung der Bestandsaufnahme. Der Autor erfasst die Objekte statistisch in territorialen und temporären Zusammenhängen und berichtet über die Forschungslage. Eingehend verweist er auf die allgemeinen Schwierigkeiten bei der stilistischen Zuordnung von Wandmalereien, die noch verstärkt werden durch den meist schlechten und wenig originären Erhaltungszustand. Die Zuweisung an bestimmte Kunstlandschaften, Schulen, Hände oder eine nähere Datierungen scheinen ihm - verständlicherweise - oft fraglich. So schlägt Dobler eine Differenzierung des Bestandes weitgehend nach dem Kriterium der Qualität vor. Weiter hebt er die große Bedeutung der Wandmalerei gegenüber den anderen Kunstgattungen hervor. Erst am Ende des 15. Jahrhunderts verliert sie seiner Meinung nach den hohen Stellenwert und wird in der Region "zur reinen handwerklichen Kunstübung" (38). Zunächst erläutert der Autor jedoch ausführlich die diversen Zeitströmungen und ordnet die Ausmalungen den jeweiligen Stilformen zu. Dobler kann so fünf Malereien für das 13. Jahrhundert und achtzehn Arbeiten für das 14. Jahrhundert nachweisen, wobei sich aus der Zeit der Jahrhundertwende zahlreiche besonders hochwertige Malereien erhalten haben. Die überwiegende Zahl der Objekte ist im 15. Jahrhundert angesiedelt, während für den Anfang des 16. Jahrhunderts nur wenige Objekte konstatiert wurden.
Ausführlich beschäftigt sich Dobler dann mit den ikonographischen Inhalten. Er gliedert das Material nach Programmen und Einzelthemen und bearbeitet eine Vielzahl von Bildgegenständen wie Christus- und Mariendarstellungen, Apostel- und Heiligenbilder, teilweise mit kurzen Darstellungen der Lebens- und Leidensgeschichte sowie Ausführungen zu Tracht und Attributen. Nach der systematischen Analyse des Bestandes kann er in seinen Schlussfolgerungen - auch unter Berücksichtigung aller Zufälligkeiten durch die Überlieferung - gewisse Entwicklungstendenzen im Hinblick auf die gewählten Programme, das vermehrte Auftreten bestimmter Themen oder auf geläufige Standorte aufzeigen. Dass die Ausstattung in Teilen einen Bezug zum Patrozinium aufweist, belegt Dobler an 14 Kirchen. Ein letzter, kurzer Absatz ist dem Thema der Auftraggeber gewidmet.
Das dritte Kapitel enthält detaillierte Ausführungen zu den unterschiedlichsten Fragestellungen. Es werden die Geschichte der Malereien, ihr architektonischer Kontext, die Technik, der Erhaltungszustand und die diversen Formen dekorativer Gestaltung beleuchtet. Dobler weist nach, dass in dem bearbeiteten Gebiet die Ausmalungen maximal 200 bis 250 Jahre sichtbar waren, in den meisten Fällen jedoch bereits im Mittelalter mehrfach überarbeitet wurden. Am Ende des 19. Jahrhundert begann die Zeit der Freilegungen und Überarbeitungen, um dann in den 50er, besonders aber den 60er- und 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts ihren Höhepunkt zu erreichen. Die letzten Jahre sind eher geprägt von größeren Befunduntersuchungen und gelegentlichen Restaurierungen.
Bei den architektonischen Aspekten zeigt Dobler, dass sich der Bestand an Ausmalungen am besten in den kleinen Kapellen und den Chorbereichen erhalten hat und es offenbar für einige Motive bevorzugte Plätze gab. Weiter erarbeitet er dann eingehend die Thematik der Maltechnik. Er erläutert die gebräuchliche Mischtechnik, spricht unter anderem über Putze, Vorzeichnungen, Ritzungen, Lokaltöne, Lichter, Schablonen, Vergoldungen, Stuckierungen sowie über Pigmente und Farbtöne und nennt dazu jeweils die entsprechenden Beispiele. Im Absatz über die Erhaltungszustände werden die unterschiedlichsten Schadensformen und ihre Ursachen wie Farbveränderungen, Retuschen, Hackspuren (weniger die bauphysikalischen Aspekte) anhand der zugehörigen Objekte beschrieben. Am besten in ihrem Originalzustand sind die Malereien in Kastl, Hof am Regen und Donaustauf erhalten. Schließlich zählt Dobler die verschiedensten dekorativen Elemente auf, in welche die figürlichen Darstellungen eingebunden sind. Er spricht über Rahmen und Bänder, über Wand füllende Systeme und Bildfelder, Hintergründe, Fensterlaibungen, Gewölberippen etc. sowie über ihre unterschiedliche farbige oder ornamentale Gestaltung im Laufe der Zeiten.
Die Zahl der Einzelthemen ist immens. Jeder Aspekt wird detailliert erörtert und mit den entsprechenden Beispielen belegt. Dabei spielt der statistische Aspekt für Dobler offensichtlich eine wesentliche Rolle, ein Aspekt, der tatsächlich eine solide Basis für wissenschaftliche Verknüpfungen und Schlussfolgerungen sein kann. Allerdings ist die Gliederung in den Kapiteln oder Absätzen gelegentlich etwas unklar und die typographische Umsetzung der formalen Gliederung nicht ganz konsequent, was gelegentlich zu Irritationen führt. Und warum muss im Literaturverzeichnis der Autor zuerst mit seinem Vornamen genannt werden? Dies sind jedoch Kleinigkeiten, die dem Gesamteindruck keinen Abbruch antun.
Es folgt der Katalog: die ausführliche und detaillierte Bearbeitung der Wandmalereien in 51 Kirchen und Kapellen sowie in 4 profanen Bauwerken. In einem separaten Teil werden dann weitere Malereien in 23 Gebäuden besprochen, Malereien die nicht mehr klar bestimmbar sind, durch starke Übermalungen entfremdet vorliegen oder nur in der Literatur überliefert sind. Weiter gehören in den Katalog ca. 60 Übersichts- und Bauphasenpläne. Grundrisse, gelegentlich auch Schnitte der Kirchen sind fast ausschließlich im Maßstab 1:200 aufgenommen. Von zahlreichen Malereien wurden Umzeichnungen im Maßstab 1:25 angefertigt, gelegentlich auch von Inschriften und Schablonen. All dies erleichtert das Verständnis der Raumsituation oder der inhaltlichen Verknüpfungen und hilft, im Foto nicht erkennbare Details oder Irritationen zu klären. Leider ist die Lesbarkeit innerhalb der Grafiken anhand der Linienformatierung nicht immer gegeben, die Anordnung der Pläne auf den Seiten etwas irritierend und die Qualität einiger schwarzweiß Aufnahmen nicht sonderlich befriedigend. Dennoch ist die dargestellte Informationsfülle des Bestandes bemerkenswert.
Die einzelnen Katalognummern bauen sich wie folgt auf. Zunächst gibt es eine detailreiche Beschreibung des Gebäudes, dann wird das Patrozinium genannt und erst dann erfolgt die eigentliche Analyse der Wandmalerei. Sie bietet zunächst die Freilegungs- und Restaurierungsgeschichte, die Beschreibung, gelegentlich Aussagen zum technischen Befund und Erhaltungszustand sowie zum Auftraggeber, weiter die Datierung, teilweise das Programm und die Würdigung. Es folgen Quellen und Literatur und die häufig recht umfangreichen Anmerkungen. Es fehlen die Maße, die sich allerdings aus den Zeichnungen ableiten lassen und besonders im Textteil die Abbildungshinweise. Dies würde der leichteren Lesbarkeit des reichen erarbeiteten Materials zugute kommen, aber wahrscheinlich auch den Umfang der Publikation sprengen. Eventuell wären tabellarische Aufstellungen hilfreich gewesen.
Insgesamt stellt die Arbeit eine sehr solide Erfassung des Bestandes dar, beginnend mit der Aufnahme der Malereien vor Ort sowie der Auswertung von Literatur, Akten, Restaurierungsberichten und Untersuchungen. Darüber hinaus legt Dobler großen Wert auf die technischen Befunde, die Erhaltungszustände, den Aufbau der Malschichten, den Umfang der verwendeten Farbpaletten und Pigmente. Die Bindemittelfrage vernachlässigt er in diesem Zusammenhang zu Recht. Dagegen gibt es Angaben zu den durchgeführten Maßnahmen und verwendeten Materialien.
Das Hauptziel, die systematische und ausführliche Dokumentation und Katalogisierung des Bestandes an gotischen Wandmalereien in der Oberpfalz, hat Dobler erreicht. Den Versuch der Einbindung in einen größeren kunsthistorischen Kontext hat er unternommen. Über die "zwangsläufigen Unzulänglichkeiten" ist er sich bewusst; zitiert er doch in diesem Zusammenhang Hubel: "Der Anspruch, neben der zeitraubenden Katalogisierung auch noch zentrale Fragestellungen zur Bau- und Kunstgeschichte der behandelten Bauwerke sowie überhaupt zur Kunstgeschichte der Region einzubinden, stößt aber doch an die Grenzen der von einem Wissenschaftler zu bewältigenden Themenfülle" (22). Sicher bieten sich hier oder da auch unterschiedliche Möglichkeiten der Interpretation, Einordnung oder Datierung, aber das erscheint nebensächlich. Das Resultat ist beachtlich. Eine gewaltige Materialfülle bietet vielfältige Ansätze für weitere wissenschaftliche Auseinandersetzungen - ein neues fundiertes Standardwerk liegt vor, ein weiterer Meilenstein auf dem langen Weg zur vollständigen und systematischen Erfassung der Wandmalereien in Deutschland ist genommen.
Birgit Neumann-Dietzsch