Machtelt Israëls: Sassetta's Madonna della Neve. An image of patronage (= Istituto universitario orlandese di storia dell'arte Firenze; XV), Leiden: Primavera Press 2003, 248 S., 16 Farb-, 76 s/w-Abb., ISBN 978-90-74310-92-5, EUR 32,50
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Michael Rohlmann (Hg.): Domenico Ghirlandaio. Künstlerische Konstruktion von Identität im Florenz der Renaissance, Weimar: VDG 2004
Louise Bourdua / Anne Dunlop (eds.): Art and the Augustinian Order in Early Renaissance Italy, Aldershot: Ashgate 2007
Françoise Lavocat: La Syrinx au Bûcher. Pan et les satyres à la Renaissance et à l'âge baroque, Genève: Droz 2005
Machtelt Israëls Studie zu Sassettas Madonna della Neve in der Collezione Contini Bonacossi ist die Frucht eines größer angelegten, als Monografie geplanten Projektes zu Sassetta, das - angesichts der hier vorgelegten Arbeit - vieles hoffen lässt. Israëls hat dieses meist nicht ausgestellte Werk einer gründlichen Analyse unterzogen, die stilistische Daten, restauratorische Erkenntnisse, neue bislang unbekannte Archivalien in Fülle zur Genese und Auftraggeberschaft und schließlich ikonographische Studien berücksichtigt.
Das 1430 bis 1432 entstandene Retabel wurde 1430 von Ludovica Bertini, der Witwe des als operaio der Kathedrale tätigen Turino di Matteo in Auftrag gegeben, der allerdings schon 1423 verstorben war. Die von Israëls zusammengetragenen Dokumente belegen, dass Ludovica eine für ihre Zeit außergewöhnlich resolute Persönlichkeit gewesen sein muss, die zudem für das Angedenken ihres Mannes eine private Kapelle in einem Raum erschaffen ließ, der normalerweise privaten Stiftern eher schwierig zugänglich war. Die beiden Stifter hatten durch ihre religiösen Kontakte - beide waren Mitglieder einer franziskanischen Bruderschaft - aber auch durch ihre beruflichen Verbindungen und durch Ludovicas adelige Herkunft exzellente Kontakte und scheinen so die Möglichkeit gehabt zu haben, das private Kapellenprojekt in dieser bis dato von korporativen Gedanken geprägten Kathedrale durchzusetzen. Israëls belegt zudem überzeugend, dass sie damit am Beginn einer Entwicklung stehen, die im Laufe des 15. Jahrhunderts zu immer weiteren privaten Kapellenprojekten führen sollte. Durch die Auswertung restauratorischer Erkenntnisse belegt Israëls zudem, dass die Gestalt des Altares mit seinem Aufstellungsort zusammenhängen musste: eingezwängt zwischen der Porta del Perdono und dem Kirchturm und überfangen durch einen Stuckbaldachin, musste der Künstler den Bildraum so offen wie möglich gestalten, um Bildinhalte nicht zu verunklären und gegenüber den benachbarten Werken sichtbar zu bleiben. Der hier benutzte, perspektivisch fluchtende und einheitliche Bildraum wurde also durch die schwierige Umgebung festgelegt, aber auch durch die Struktur des mittig konvex nach vorne strebenden Altaraufsatzes betont. Die graduelle Vereinheitlichung des Bildraumes erscheint zwar in den meisten Altaraufsätzen, die den senesischen Stadtpatronen gewidmet sind, doch hatte Sassettas Werk natürlich als konkreten Bezugspunkt die unmittelbar benachbarte Maestà Duccios, die auch ein Modell für die ungefähre Figurenkonstellation lieferte.
Die Wahl des Themas der Prädella - die Geschichte der Madonna della Neve - hing unmittelbar mit der neuen Dedikation der Kapelle zusammen, die eine im Grunde unerhörte Neuheit bedeutete: Ludovica führte damit ein der eigenen privaten Devotion entnommenes Thema in den öffentlichen Kirchenraum ein, zumal sie ihre eigene Person, die kinderlose fromme Christin und Stifterin, in den frommen Stiftern der Gründungslegende von Santa Maria Maggiore wieder erkannt haben mag. Diese Tendenz zur Monumentalisierung bislang kleinformatig dargestellter, privater Andachtsthemen lässt sich auch an anderen Altarretabeln der Sieneser Kathedrale dieser Jahre feststellen - so etwa der nun zum ersten Mal großformatig erscheinenden Madonna dell'umiltà auf einem benachbarten Altar des 15. Jahrhunderts. Israëls konstatiert in diesem Sinne ein Vordringen privater Stifter in den bislang korporativ besetzten Kathedralraum - und damit auch eine neue Emotionalisierung der öffentlichen Andacht.
Die Wahl des Sujets hängt mit dem Einfluss des Seneser Bischofs Antonio Casini zusammen, der eine eigene Kapelle im Seneser Dom hatte ausstatten lassen, enge Verbindung zu Santa Maria Maggiore besaß und Berater bei der ikonographischen Zusammenstellung der Geschichten gewesen sein muss - zumal er die berühmte Tafel Masaccios und Masolinos mit demselben Thema für Santa Maria Maggiore orderte und später eventuell der Auftraggeber Sassettas für ein weiteres Werk, die Madonna delle Ciliegie in Grosseto war. Gerade Casinis Auftraggeberschaft für Santa Maria Maggiore wird von Israëls in größtmöglicher dokumentarischer Breite aufgerollt.
Sassetta bereichert seine Sacra Conversazione nach Israëls um das ikonographische Detail der mit Schnee gefüllten Schüsseln in den Händen der Maria flankierenden Engel. Israëls erklärt sie als Verweis auf die Geschichte vom Schneewunder in der Prädelle - aber auch auf Maria als Immaculata Conceptio . Hier verzichtet sie jedoch leider auf die Darstellung der eigentlichen theologischen Hintergründe und somit auf eine ikonologische Ebene der Interpretation. Zwar verweist sie auf die Nähe der Auftraggeber zum Franziskanerorden und damit auch indirekt auf die Nähe zum damals in Siena predigenden San Bernardino, doch werden weder die Haltung des Franziskanerordens, noch Texte Bernardinos, noch liturgische Quellen der Seneser Kathedrale zu diesem Thema untersucht. Eine eigentliche Interpretation des Werkes findet nicht statt.
Ein weiteres Manko der Arbeit ist das Kapitel zur Auftraggeberschaft des Kardinals Casini in der Kathedrale von Grosseto. Israëls konstruiert eine wahrscheinliche Auftraggeberschaft Casinis, kann sie jedoch nicht überzeugend durch Dokumente abstützen. Trotzdem geht sie von dieser Auftraggeberschaft für weitere Schlussfolgerungen aus - etwa der Aufstellung in der Kreuzkapelle der Kathedrale, die Casini gestiftet hatte. Dieses Verfahren ist problematisch, da so in diesem Kapitel ein ganzes Interpretationsgebäude auf Konjekturen fußt.
Israëls untersucht ebenso wenig die ikonographische Rezeption der Madonna della Neve, die von entscheidender Bedeutung für die Herausbildung des Themas der Madonna con Santi beziehungsweise Sacra Conversazione in der Florentiner Malerei gewesen sein könnte.
Schon William Hood betonte 1993 den Dialog zwischen senesischer und florentinischer Malerei um 1420 bis 1440 und vermutete den Ursprung der Sacra Conversazione im Thema der senesischen Maestà , das beispielsweise über Kontakte zwischen Sassetta und Fra Angelico in jenen Jahren nach Florenz vermittelt worden sein könnte. So stellt er die berühmte Pala di San Marco als Urbild der Sacra Conversazione dar. Die bei Duccio, Simone Martini, Ambrogio und Pietro Lorenzetti bis hin zu Sassetta im Vordergrunde knienden Heiligen fehlen in der Florentiner Malerei bis zu Fra Angelico, tauchen aber etwa in der Madonna della Neve auf. In Fra Angelicos Tafel werden also die senesischen Einflüsse - durch Vermittlung Sassettas - endgültig aufgegriffen und in systematischer Weise mit den Errungenschaften der florentinischen Räumlichkeit und Plastizität der Figuren verschmolzen.
Diese Einbindung in einen weiter gespannten Rahmen fehlt der Arbeit Machtelt Israëls, sie hätte allerdings wohl auch die Grenzen eines überschaubaren Projektes gesprengt. Trotzdem ist dieses Buch durch seine Fülle an Archivalien und die akribischen Einzeluntersuchungen wirklich wegweisend und lässt in seiner Konzentration auf ein einziges Werk trotzdem eine ganze Epoche aufscheinen.
Till Busse