Franziska Frei Gerlach / Annette Kreis-Schinck / Claudia Opitz u.a. (Hgg.): Körperkonzepte / Concepts du corps. Interdisziplinäre Studien zur Geschlechterforschung / Contributions aux études genre interdisciplinaires, Münster: Waxmann 2003, 327 S., 26 Abb., ISBN 978-3-8309-1212-5, EUR 29,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Dorothea Nolde / Claudia Opitz (Hgg.): Grenzüberschreitende Familienbeziehungen. Akteure und Medien des Kulturtransfers in der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008
Claudia Opitz (Hg.): Höfische Gesellschaft und Zivilisationsprozeß. Nobert Elias' Werk in kulturwissenschaftlicher Perspektive, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004
Claudia Opitz: Aufklärung der Geschlechter, Revolution der Geschlechterordnung. Studien zur Politik- und Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts, Münster: Waxmann 2002
Der vorliegende Band versammelt sechsundzwanzig Beiträge (in deutscher, französischer und englischer Sprache) einer internationalen und interdisziplinären Tagung der Schweizerischen Gesellschaft für Frauen- und Geschlechterforschung. Ziel der Tagung war, "die spezifischen Erkenntnismöglichkeiten auszuloten und zu vermitteln, die in den permanenten Grenzüberschreitungen liegen, welche die Geschlechter-Forschung seit ihren Anfängen geprägt und gepflegt hat" (12). Diese Grenzüberschreitungen sollen auf verschiedenen Ebenen Zugänge zum Körper eröffnen, so zum Beispiel in der interdisziplinären Verständigung von Kultur- und Naturwissenschaften, durch neue analytische Ansätze, die symbolische und materielle Dimension verknüpfen, oder im Spannungsfeld zwischen Akademie und Politik. Den Beiträgen liegt dabei die Annahme zugrunde, dass Wissen über Körper durch (kulturelle) Körper-Konzepte konstituiert wird.
In ihrer Einleitung geben die Herausgeberinnen einen Überblick über Thematisierungen des Körpers im Rahmen der feministischen Theorie und Geschlechterforschung der vergangenen drei Jahrzehnte. Trotz der grundsätzlichen Verständigung auf die kulturelle Verfasstheit der Körpers betonen sie das Fortbestehen zentraler Probleme. Insbesondere die Frage, wie das Verhältnis der Materialität des Körpers zu seiner diskursiven Konstitution zu fassen sei, ist weiterhin offen. Daher heben die Herausgeberinnen in Abgrenzung zu anderen neueren Publikationen zum Thema [1] die explizit interdisziplinäre Ausrichtung der Sammlung hervor, insbesondere über die Grenzen von Kultur- und Naturwissenschaften hinweg. Beiträge etablierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Disziplinen von Literaturwissenschaft und (Kunst-)Geschichte über Philosophie und Volkskunde bis hin zu Neuroanatomie und Bioethik sollen hier Lösungsansätze zur Spannung zwischen materieller und symbolischer Dimension anregen.
Die Beiträge sind in drei Abschnitten versammelt, entsprechend ihrer ästhetischen, kulturhistorischen oder lebenswissenschaftlichen Schwerpunktsetzung. Der erste Abschnitt ("Sichtweisen und Lesarten") stellt kulturwissenschaftliche Fallstudien zu Geschlechterbildern und -performanz in Literatur und bildender Kunst von der Antike bis in die Gegenwart vor. Dabei reichen die behandelten Themen von Guillemette Bolens' Analyse des Zusammenhangs zwischen Verwundung und Geschlecht in der Figur der Kriegerin Camilla in Vergils Aeneis bis hin zu Therese Steffens' Untersuchung der Schattenrisse Kara Walkers als subversive Aneignung einer europäisch-bürgerlichen Kunstform für die Konfrontation mit der Vergangenheit schwarzer Amerikaner. Die Beiträge in dieser Sektion weisen die Vielfalt kultureller Körperkonstruktionen nach. Der weitgehend hermeneutische Zugang lässt jedoch in den meisten Fallstudien die Frage nach der Einbettung spezifischer Konstruktionen in den gesellschaftlichen / politischen Zusammenhang offen. Die Theaterwissenschaftlerin Gabriele Brandstetter stellt in ihrem Beitrag, einer Gegenüberstellung von Così fan tutte und dem Werk des belgischen Performers Xavier Le Roy, einen Ansatz vor, der auf diese Diskrepanz eingeht. Ihre Weiterentwicklung des performativen Idioms für die Analyse der Konstruktion von Körperkonzepten stellt unter dem Stichwort "staging gender" die Handlungsmächtigkeit des Subjekts in den Vordergrund.
Die Autorinnen und Autoren des zweiten Abschnitts, "Kulturhistorische Zugänge", behandeln den Körper als gesellschaftliches Phänomen in historischer und zeitgenössischer Perspektive. Sie weisen, wie zum Beispiel in Claudia Opitz' Kritik der Analyse von Melancholie und Männlichkeit bei Juliana Schiesari, auf die Notwendigkeit hin, in der Geschlechterforschung die historische Spezifik von Körperbildern zu berücksichtigen. Einige Arbeiten in diesem Abschnitt stellen Versuche vor, analytische Ansätze zu schaffen oder zu erweitern. So fordert Béatrice Ziegler dazu auf, den Blick verstärkt nicht nur auf Sexualität, sondern auch auf Arbeit als Ort der Herstellung von Geschlechtlichkeit zu richten - eine Perspektive, die auch Maryvonne Gognalons-Nicolets Analyse der Pflegetätigkeit älterer Frauen in der Familie kennzeichnet. In ähnlicher Weise um die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Körperkonzepten und gesellschaftlich-politischem Kontext bemüht sind zum Beispiel Brigitte Hilmers Arbeit zur "Macht der Gewohnheit" als körper-konstituierender Mechanismus und die von den 'Science and Technology Studies' des angloamerikanischen Raums informierte Studie Martin Lengwilers zum Zusammenhang zwischen Technik, Recht und der Konstruktion von Männlichkeit am Beispiel der Sicherheit im Autoverkehr.
Der dritte Abschnitt ("Fragen an die Lebenswissenschaften") versammelt Beispiele für einen kritischen Umgang mit den Techniken und Begriffen, mit deren Hilfe die Biowissenschaften den menschlichen Körper darstellen. So zeigt Britta Schinzel die epistemischen Probleme auf, die bildgebenden Verfahren der modernen Medizin innewohnen. Christoph Rehmann-Sutter verweist auf "suggestive Handlungskonzepte" (293), die den Metaphern zeitgenössischer Genetik zugrunde liegen. Offen bleibt jedoch, wie diese Metaphern der Lesbarkeit, des "Defekts", des "Reparierens" gesellschaftlich wirksam werden. Insbesondere in diesem Abschnitt wird deutlich, dass die Beiträge keine einheitliche Auffassung des Konzepts der Konstruktion teilen - ist die soziale Konstruktion des Körpers als Problem oder Chance aufzufassen, als grundsätzliche Verfälschung "objektiver" Naturgegebenheiten oder als Potenzial für einen anderen Umgang mit Körperlichkeit?
Die Vielfalt der vorgestellten Themen und Disziplinen bietet keinen systematischen Zugang zur Betrachtung von Körperkonzepten, lädt jedoch zu einem Vergleich der vertretenen Positionen und Ansätze ein. Eine explizite Bezugnahme der einzelnen Beiträge aufeinander wäre in dieser Hinsicht hilfreich gewesen. Auch wäre ein Einblick in den Verlauf der Diskussionen der Konferenz interessant gewesen. Wie haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Beispiel auf Luisa Muraros provokanten Beitrag reagiert, in dem die Philosophin gegen feministische Theorien eine Ausbildung weiblicher Subjektivität durch Praktiken des Aufschiebens im Sinne des Lacanschen 'déplacement' fordert?
Die Beiträge sind kurz (in der Regel unter zehn Seiten), und die Autorinnen und Autoren bemühen sich meist um eine verständliche Darstellung ihrer theoretischen Annahmen und um Angaben zur grundlegenden Literatur ihrer Disziplinen. Die Herausgeberinnen und einige der Autorinnen und Autoren sind dabei im Dialog sowohl mit europäischen Traditionen der Körperstudien als auch mit angloamerikanischen Ansätzen. [2] Damit gibt die Sammlung Einblicke in unterschiedliche Ansätze der Geschlechterforschung und in verschiedene Analysemöglichkeiten zu Körperkonzepten.
Anmerkungen:
[1] So zum Beispiel bei Annette Barkhaus / Anne Fleig (Hg.): Grenzverläufe. Der Körper als Schnitt-Stelle, München 2002 und Julika Funk / Cornelia Brück (Hg.): Körper-Konzepte, Tübingen 1999.
[2] In deutscher Sprache erschienen unter anderem Donna Haraway: Die Neuerfindung der Natur, Frankfurt / New York 1995; Evelyn Fox-Keller: Das Jahrhundert des Gens, Frankfurt a. M. 2001; Judith Butler: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Berlin 1995; Londa Schiebinger: Frauen forschen anders. Wie weiblich ist die Wissenschaft?, München 2000.
Anna Maerker