David Ormrod: The Rise of Commercial Empires. England and the Netherlands in the Age of Mercantilism, 1650-1770 (= Cambridge Studies in Modern Economic History), Cambridge: Cambridge University Press 2003, XVII + 400 S., ISBN 978-0-521-81926-8, GBP 55,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Herbert Grabes (ed.): Writing the early modern English nation. The Transformation of National Identity in Sixteenth- and Seventeenth-Century England, Amsterdam / Atlanta: Editions Rodopi 2001
Ralf Pröve / Norbert Winnige (Hgg.): Wissen ist Macht. Herrschaft und Kommunikation in Brandenburg-Preussen 1600-1850, Berlin: Berlin Verlag Arno Spitz 2001
Kersten Krüger: Die Landständische Verfassung, München: Oldenbourg 2003
Das vorliegende Buch ist die Bilanz eines mehr als dreißigjährigen Studiums der frühneuzeitlichen Wirtschaftsgeschichte. Es beschäftigt sich mit den zwei großen wirtschaftlichen Gewinnern des 17. und 18. Jahrhunderts in Europa: den Niederlanden, deren kometenhafter Aufstieg im "Goldenen Zeitalter" des 17. Jahrhunderts nach etwa fünfzig Jahren seine Potenz wieder verlor und die Vereinigten Provinzen auf einen zwar immer noch wohlhabenden, aber im internationalen Wettbewerb gegenüber ihren schärfsten Konkurrenten zurückgefallenen Handelsstaat reduzierte, und England, dessen Ökonomie zwar etwas später und etwas langsamer wuchs, dafür aber umso nachhaltiger den Grundstock für die Prosperität und die Weltmachtstellung des Landes legte. Die Rivalität zwischen diesen beiden Staaten, die sich in vielen Aspekten ähnlicher waren als den anderen europäischen Mächten - etwa im Grad der Urbanisierung, der Bevölkerungs- und der Infrastruktur -, aber in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts drei allein aus wirtschaftlicher Konkurrenz begründete Kriege führten und auf die ökonomischen Herausforderungen von globaler Expansion, Frühindustrialisierung und Handelskapitalismus in unterschiedlicher Weise reagierten, hat Wirtschaftshistoriker seit den Anfängen des Faches als historischer Subdisziplin beschäftigt.
David Ormrod, Wirtschafts- und Sozialhistoriker an der Universität von Kent in Canterbury, bietet gerade hierzu einen überzeugenden Überblick über Theorien und Modelle, die vor allem seit den 1970er-Jahren entwickelt worden sind, um das Phänomen des Aufstiegs (und Falls) der neuen Handelsmächte im frühneuzeitlichen Europa zu erklären. Dieses erste Kapitel seiner Studie ist sicherlich eine der Stärken des Buches. Hier erweist sich der Autor als der souveräne Kenner der wirtschaftswissenschaftlichen Materie und versteht es, selbst komplizierte Theorien wie Immanuel Wallersteins "Modern World System" luzide und verständlich darzustellen und durch Beispiele aus dem gewählten Forschungsgebiet zu erläutern. Erklärungsmuster wie Bevölkerungswachstum, Urbanisierung, Merkantilismus und andere staatliche Steuerungssysteme und deren Protagonisten in der Fachwelt werden elegant und überzeugend vorgestellt. Diese ansonsten glänzende 'Tour de Force' lässt allerdings zwei Komplexe unbeachtet. Zum einen geht der Autor in seiner Einführung wie selbstverständlich allein vom europäischen Wirtschaftssystem aus, ohne diese Prämisse auch nur in der Kapitelüberschrift kenntlich zu machen. Hier heißt es schlicht: "National Economies and the history of the market". Spätestens seit E. L. Jones' einflussreicher Studie [1] erscheint es angebracht, die außereuropäische Wirtschaft, vor allem solcher Staaten wie des frühneuzeitlichen Japan, das in seiner wirtschaftlichen Entwicklung England erstaunlich ähnlich und in Sachen Produktivität über weite Strecken überlegen war, zumindest zu erwähnen. Hier liegt auf Ormrods Studie vielleicht doch noch zu sehr der lange Schatten Wallersteins und seines Modells von den wirtschaftlichen Peripherien außerhalb Europas. Ebenso wenig angesprochen wird die Vereinigung Englands mit Schottland, die mit dem 'Act of Union' von 1707 zwar nicht gerade einen neuen, schrankenlos erweiterten britischen Wirtschaftsraum eröffnete, aber dennoch vor allem in Hinblick auf den oben erwähnten Titel der "national economies" hätte berücksichtigt werden müssen.
Der zweite Kritikpunkt versteht sich erst aus der Lektüre der folgenden Kapitel. Erst am Ende des Buches nämlich präsentiert Ormrod seine eigenen Parameter, die sich sehr viel weniger an der Nationalstaatsstruktur als vielmehr an regionalen (im Sinne von grenzüberschreitenden) Wirtschaftseinheiten orientieren (351). Dieses Ergebnis findet sich allerdings nicht immer in den vergleichenden Studien zur Woll- und Leinenindustrie, zum Korn- und Kohlenhandel wieder, die das Kernstück des Buches darstellen. Zwar wird klar, dass für Ormrod der Handel als entscheidender Faktor für langfristig erfolgreiches Wirtschaftswachstum eine größere Rolle spielt als die (Proto-) Industrialisierung; inwieweit das allerdings auf dem Erfolg regionaler Ökonomien beruht, ist nicht immer einsichtig (und hätte vielleicht gerade mit einer stärkeren Berücksichtigung der Proto-Industrialisierung, die in der Interpretation regionaler Wirtschaftseinheiten eine wichtige Rolle spielt, besser untermauert werden können). "Mehr Staat" ist eindeutig Ormrods Argument, mit dem er den Erfolg Englands, und besonders Londons, erklären will und damit an derzeit im Fach vorherrschende Interpretationen anknüpft. [2] Anders als ihr Rivale Amsterdam konnte die englische Metropole eine Zentralfunktion nicht nur für wirtschaftliche Transaktionen, sondern auch für Politik und Kultur übernehmen, die ein stärker staatlich gelenktes Wirtschaftssystem förderte (343). Zu wenig berücksichtigt Ormrod allerdings den Handlungsspielraum der eigentlichen Akteure des Handels. Obwohl jedes seiner Untersuchungsgebiete sich ausführlich mit der Handelsstruktur und der wirtschaftlichen Organisation des jeweiligen Marktes beschäftigt, bleibt die Studie hier zu eng auf den nationalen Rahmen fokussiert. Sie hätte von breiter angelegten Netzwerkanalysen der erfolgreichen Handelshäuser sowohl in England als auch in den Niederlanden profitiert, wie sie etwa Claudia Schnurmann für den Transatlantik-Handel der Engländer und Niederländer von 1648 bis 1713 herausgearbeitet hat. [3] Hier hätte sich ebenfalls ein Weg aus dem Parameter der "national economies" angeboten. Wenn also das Ergebnis der Studie nicht immer überzeugt und die Argumentation gelegentlich unter Fakten begraben wird, so bestechen doch die detailliert und quellennah herausgearbeiteten Einzelstudien selbst, in denen Ormrod nicht nur gut geschriebene Analysen oft spröder, statistischer niederländischer und englischer Archivmaterialien vorlegt, sondern seine Interpretation auch im Rahmen der neuesten Fachliteratur in englischer und niederländischer Sprache kritisch einzuordnen weiß. Darin liegt sicherlich das größte Verdienst dieser umfang- und kenntnisreichen Arbeit.
Anmerkungen:
[1] E. L. Jones: Growth Recurring. Economic Change in World History, Oxford 1988.
[2] Siehe hierzu beispielsweise Stephen R. Epstein: Freedom and Growth. The Rise of States and Markets in Europe, 1300-1750, New York 2000.
[3] Claudia Schnurmann: Atlantische Welten. Engländer und Niederländer im amerikanisch-atlantischen Raum 1648-1713, Köln 1998.
Raingard Eßer