Stiftung Naturschutzgeschichte (Hg.): Naturschutz hat Geschichte. Grußworte und Festrede des Bundespräsidenten anlässlich der Eröffnung des Museums zur Geschichte des Naturschutzes am 12. März 2002. Beiträge der Fachtagung 'Naturschutz hat Geschichte' vom 13. März 2002 (= Veröffentlichungen der Stiftung Naturschutzgeschichte; Bd. 4), Essen: Klartext 2003, 256 S., ISBN 978-3-89861-193-0, EUR 14,90
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Als am 12. März 2002 auf der Vorburg von Schloss Drachenburg in Königswinter die Dauerausstellung zur Geschichte des Naturschutzes in Deutschland ihre Pforten öffnete, gelangte ein Projekt zu seinem vorläufigen Abschluss, das bis in das Wendejahr 1989 zurück reicht. Der vorliegende Band verbindet zweierlei: Er dokumentiert die Reden anlässlich der festlichen Museumseröffnung mit der Festrede von Johannes Rau im Mittelpunkt, und er umfasst Beiträge einer Tagung mit dem Titel "Naturschutz hat Geschichte", die eine vorläufige Bilanz der wissenschaftlichen Stiftungsarbeit in eigenen beziehungsweise Kooperationsprojekten zieht.
Die Redebeiträge schlagen einen Bogen von den Anfängen der Naturdenkmalpflege im 19. Jahrhundert bis in die Schlussphase der DDR. Sie belegen, dass die Geschichte des Naturschutzes keineswegs nur die Fachhistoriker angeht, sondern, so der Buchrückentext, "eine Fülle von gesamtgesellschaftlichen Bezügen aufweist". Dass diese vielfältigen, oft geradezu universalen Bezüge nicht immer in erwünschter Weise ausgebreitet werden können, macht einen Gutteil der Problematik der an sich reizvollen Naturschutzthematik aus. Bei ihr geht es nämlich im Kern um nichts Geringeres als den Umgang des modernen Menschen mit der Natur.
Vier Leitfragen benennt der Vorstandsvorsitzende Albert Schmidt in seinem knappen Vorwort: "Welchen Kenntnisstand haben wir zur Zeit zu den einzelnen Abschnitten der Geschichte des Naturschutzes? Was wissen wir über Persönlichkeiten, die einzelne Zeitabschnitte wesentlich mitgestaltet haben? In welcher Beziehung steht der Naturschutz zu der gesamtgesellschaftlichen historischen Entwicklung? Wo gibt es Wissenslücken, die durch gezielte Kooperation mit Partnern aus Wissenschaft und Forschung abzuarbeiten und zu schließen sind?" (7f.). Die ersten Aufsätze widmen sich der Geschichte und dem Stiftungsort selbst. Ergiebig ist das schon allein deswegen, weil das rheinische Schloss Drachenburg als Sitz von Stiftung und Museum erklärungsbedürftig ist: Es steht am Beginn von Naturschutzbemühungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Insbesondere mit Persönlichkeiten beschäftigen sich die Beiträge, die das tragende Gerüst des Bandes bilden. Bekanntlich waren es die beschleunigte Landschaftsveränderung und das Aufkommen der industriellen Moderne, welche die Naturschutzbewegung aufkommen ließen. Joachim Radkau und Frank Uekötter zeigen, wie sehr Ernst Rudorff der Natur im Kaiserreich noch aus einer bildungsbürgerlich-ästhetischen Grundhaltung entgegentrat. Friedemann Schmoll belegt anhand von Paul Schultze-Naumburg, dass der Naturschutzgedanke im Zuge der Heimatbewegung zwar an Profil gewinnen konnte, jedoch spätestens seit den 1920er-Jahren gegen völkisch-rassische Ideologien keineswegs immun war. Es ist ein Vorzug des biografischen Ansatzes, über historische Zäsuren hinweg derartige Entwicklungslinien aufzeigen zu können. Auch die von Anna-Katharina Wöbse lebendig präsentierte 'große alte Dame' des Bundes für Vogelschutz, Lina Hähnle, ist für den keineswegs notwendigen, aber auffällig oft vollzogenen Schulterschluss des (bürgerlichen) Naturschutzes mit konservativ-völkischem Gedankengut in mancher Hinsicht ein Beispiel, wenn auch zu Recht das frühe Engagement von Frauen, moderne Werbestrategien und die Bedeutung finanzieller Ressourcen herausgestellt werden. Albrecht Milnik blickt auf Hugo Conwentz und die Anfänge des staatlichen Naturschutzes in Preußen um 1900. Wenn auch im staatlichen Naturschutz die Überlieferungslage oft besser sein mag: Wirklich eindeutig waren Motive, politische Ziele und Instrumentarien des Naturschutzes zu keiner Zeit. Die Liebe zur Natur, zur Vogelwelt, ästhetische und emotionale Motive wirkten damals wie heute offenbar stärker, als es der "professionelle" Naturschutz wahr haben will.
In Willi Oberkromes Beitrag zum Erlass des Reichsnaturschutzgesetzes von1935 ist nachzulesen, wie eng sich Naturschutzidee und Heimatbewegung mit völkischem Gedankengut sowie rassischer Ideologie verbanden. Bei Joachim Wolschke-Bulmahn und Gert Gröning geht es irritierender Weise nicht um "klassischen" Naturschutz im engeren Sinn, sondern um die nationalsozialistische Landschaftsplanung in den "eingegliederten Ostgebieten" während des Zweiten Weltkrieges. Beiden Autoren kommt das Verdienst zu, sich schon früh aus dezidiert ideologiekritischer Perspektive mit den historisch-politischen Hypotheken ihrer eigenen Disziplin, der Landschaftsplanung, befasst zu haben. Bei einer jüngeren Historikergeneration mag dieser Empörungsimpetus heute an Bedeutung eingebüßt haben, die Bereitschaft zur umfassenden Historisierung derartiger Transformationsprozesse steigt dagegen.
Die Beiträge zum Nationalsozialismus machen so einen eklatanten Mangel offenkundig. Es ist unverständlich, warum dem Band nicht eine umfassende, die verschiedenen Beiträge und Analyseebenen verklammernde Einleitung vorangestellt wurde. Das Fehlen eines derartigen roten Fadens ist zu bedauern. Was genau Naturschutz unter wechselnden politisch-gesellschaftlichen Konstellationen war, bleibt unklar. Erst übergreifende Fragen nach Begriff, Zielsetzung, Trägerschichten und Formwandel des Naturschutzes hätten diese Publikation zu einem Sammelband mit weiterführenden Impulsen für die wissenschaftliche Debatte gemacht. In der vorliegenden Form bleibt er in erster Linie eine (fraglos begrüßenswerte) Beitragsdokumentation. Zuweilen kann man sich des Eindrucks eines Konvoluts nicht erwehren, in dem sehr niveauvolle Aufsätze neben Grußworten, Übersichtstabellen und Erinnerungsprosa stehen. Das hat alles sein Recht, passt aber nicht gut in ein und denselben Band. Auch politische Rücksichtnahmen mögen dies miterklären. Die von Thomas Neiss vorgestellte Chronologie des Gründungsprozesses der Stiftung führt vor Augen, wie in einem komplizierten Aushandlungsprozess das Land Nordrhein-Westfalen mit seinem damaligen Ministerpräsidenten unter Mithilfe Ministerialer, des Landes Brandenburg, der Deutschen Bundesstiftung Umwelt und der landeseigenen Stiftung alle finanziellen Untiefen zum Umbau des Museums erfolgreich umschiffen konnten. Wer die aufwändig inszenierte Dauerausstellung besucht, benötigt jedoch nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass die Gebäuderestaurierung eine Sache ist, die dauerhafte Sicherung von Personalkosten für Betrieb und wissenschaftliche Arbeit jedoch eine ganz andere.
Da die Erforschung der Naturschutzgeschichte - wie die Umweltgeschichte insgesamt - immer noch am Anfang steht, kann man trotz der Einwände diese Publikation nur begrüßen. Denn was man einerseits als die bei Sammelbänden übliche Heterogenität der Beiträge bekritteln kann, eröffnet andererseits ein facettenreiches historisches Panorama dessen, was heute unter Umwelt- und Naturschutz firmiert. Viele Netzwerke hinter den behandelten Akteuren, manche Entwicklungsprozesse und ideologische Kapriolen bedürfen der weiteren Erforschung. Insofern lässt sich der im Band geäußerten Hoffnung beipflichten, ein höheres Maß an historischem Wissen könne den aktuellen Naturschutzbestrebungen Orientierung, Impuls und zuweilen auch Warnung sein. Der faire Preis dieses Buches trägt hoffentlich dazu bei, ihm unter den Besuchern des Museums eine weite Verbreitung zu sichern. Für manche Historiker mag er zugleich ein Appell sein, dass Naturschutz - neben aller Geschichte - eine Zukunft nur durch das oft ehrenamtliche Gegenwartsengagement von Bürgerinnen und Bürgern besitzt, die nicht allein in Archiven, sondern auch draußen unterwegs sind.
Albrecht Weisker