William Glenn Gray: Germany's Cold War. The Global Campaign to Isolate East Germany 1949-1969 (= The New Cold War History), Chapel Hill, NC / London: University of North Carolina Press 2003, XIII + 351 S., 5 Karten, ISBN 978-0-8078-2758-1, GBP 35,50
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Die grundlegende außenpolitische Entscheidung der Bundesregierung von 1949, die DDR nicht anzuerkennen, wurde nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Sowjetunion 1955 in die Form der so genannten "Hallstein-Doktrin" gegossen. Sie beruhte auf dem Anspruch der Bundesrepublik, allein für das deutsche Volk zu sprechen; wer Beziehungen zu Ost-Berlin aufnahm, musste mit Sanktionen rechnen, die bis zum Abbruch der Beziehungen gehen konnten. Die Hallstein-Doktrin ist sowohl zeitgenössisch als auch im Nachhinein mehr gescholten als gelobt worden; erst vor wenigen Jahren hat Werner Kilian nochmals in den Chor der Kritiker eingestimmt. [1]
William Glenn Gray vermeidet in seiner Studie ein vorschnelles Urteil. Auf der Grundlage der west- und der ostdeutschen, aber auch der amerikanischen, britischen und französischen Akten bettet er die westdeutsche Nichtanerkennungspolitik in den internationalen, den innerdeutschen und den innenpolitischen Kontext ein. Er arbeitet die Genese der Hallstein-Doktrin und deren Wandel in der Anwendung, vor allem aber die Reaktionen der östlichen Seite sowie die Gegenstrategie der DDR deutlich heraus und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der west- wie der ostdeutschen Außenpolitik der fünfziger und Sechzigerjahre.
Weitgehend bekannt ist die Entstehung der Nichtanerkennungspolitik und der - damals noch nicht so genannten - Hallstein-Doktrin im Herbst 1955. Auf einer Botschafterkonferenz vom Dezember 1955 wirkte Wilhelm Grewe darauf hin, in dieser Frage möglichst flexibel zu bleiben; Gray spricht zu Recht von einem "program of calculated ambiguity that would preserve maximum maneuvering room for the Federal Republic" (47). Zunächst hielten sich die Kosten dieser Politik in Grenzen. Der Abbruch der Beziehungen zu Jugoslawien nach der Anerkennung der DDR durch Belgrad im Jahre 1957 blockierte zwar vorerst die westdeutsche Außenpolitik gegenüber den Ostblockstaaten. Der dadurch erreichte Abschreckungseffekt auf die anderen neutralen und nicht-gebundenen Staaten wog diesen Nachteil jedoch deutlich auf.
Nachdem die Hallstein-Doktrin die zweite Berlin-Krise überlebt hatte, kam mit der massiven Ausweitung der westdeutschen Entwicklungshilfe zu Beginn der Sechzigerjahre ein neues Element zur Praxis der Nichtanerkennungspolitik hinzu. Im September 1961 drohte ein Regierungssprecher erstmals, dass Länder, die die DDR anerkennen, nicht mehr mit Entwicklungshilfe rechnen könnten. Diese durchaus gebotene Ausweitung der Nichtanerkennungspolitik erwies sich in den folgenden Jahren als zweischneidiges Schwert: Da Bonn die eigene Präsenz in der Dritten Welt nicht vorschnell aufs Spiel setzen wollte, erhielten einzelne Entwicklungsländer damit die Möglichkeit, sich ihre Festlegung gegen eine DDR-Anerkennung bezahlen zu lassen. In diesen Jahren bewährte sich freilich die Flexibilität der Hallstein-Doktrin. Die Bundesregierung ließ ihr Handeln nicht von Präzedenzfällen, sondern von ihren Interessen bestimmen: So konnte sich etwa Ägypten gegenüber der DDR mehr erlauben als Ceylon, ohne mit Sanktionen belegt zu werden.
Die Zeit von November 1964 bis Januar 1965 markiert für Gray den Anfang vom Ende der Hallstein-Doktrin. Denn angesichts der komplizierten Situation in Nahost hätten sich die bundesdeutschen Politiker nicht mehr an den Primat der Nichtanerkennungspolitik gebunden gefühlt. Nach dem Ägypten-Besuch von Ulbricht im März 1965 konnten sich nämlich diejenigen nicht durchsetzen, die einen Abbruch der Beziehungen zu Kairo befürworteten. Erhard zog es vor, mit der überstürzten diplomatischen Anerkennung Israels zu reagieren, was den Bruch mit zehn Staaten der arabischen Welt nach sich zog. Für Gray ist entscheidend, dass die führenden Bonner Politiker nicht mehr bereit waren, die "Ultima Ratio" der Hallstein-Doktrin ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Die Aufrechterhaltung der bundesdeutschen Präsenz in den Ländern der Dritten Welt zählte fortan mehr als die Isolation der DDR.
Dennoch dauerte es weitere vier Jahre, bis der ostdeutsche Teilstaat diplomatische Beziehungen zu Staaten außerhalb des sowjetischen Machtbereichs aufnehmen konnte. Erst 1969 erkannten der Irak, Kambodscha, der Sudan, Syrien, Jemen und Ägypten die DDR völkerrechtlich an. Wenngleich Ost-Berlin in diesen Staaten intensive Vorarbeit geleistet hatte, kam vor allem die Anerkennung durch den Irak für den ostdeutschen Außenminister Winzer überraschend. Gray macht vor allem finanzielle Interessen dieser Staaten für diesen Schritt gegenüber der DDR verantwortlich. Doch ging es insbesondere dem Irak und wohl auch Kambodscha auch darum, über eine Anerkennung der DDR sich einer weitergehenden Unterstützung durch die Sowjetunion zu versichern. Zutreffend wird anschließend dargelegt, dass Kambodscha und die arabischen Länder sich ihre politische Hinwendung zu Ost-Berlin gut bezahlen ließen. Dies belastete die DDR finanziell so stark, dass sie es sich danach nicht mehr leisten konnte, die Anerkennung durch weitere Staaten zu erkaufen.
Das bedeutete jedoch umgekehrt, dass die diplomatische Isolation der DDR über das Jahr 1969 hinaus weitgehend aufrechterhalten werden konnte. Dies erstaunt umso mehr, als die Große Koalition sich im Mai 1969 im Falle Kambodschas nur zu einem "Einfrieren" der Beziehungen entschloss und die sozialliberale Koalition mithilfe der so genannten "Scheel-Doktrin" die DDR nur noch solange blockieren wollte, bis die innerdeutschen Verhandlungen abgeschlossen waren. Im Vergleich zur Bundesrepublik besaß die DDR folglich ein weitaus geringeres Gewicht in den internationalen Beziehungen. Die Hallstein-Doktrin blieb daher nicht nur bis 1969, sondern grundsätzlich bis zu dem Zeitpunkt wirksam, als Bonn einer Anerkennung der DDR nichts mehr in den Weg legte. Gray hätte seine verdienstvolle Studie, die nicht nur die Probleme, sondern auch die Erfolge der westdeutschen Nichtanerkennungspolitik herausarbeitet, also durchaus bis 1972 fortschreiben können.
Anmerkung:
[1] Werner Kilian, Die Hallstein-Doktrin. Der diplomatische Krieg zwischen der BRD und der DDR 1955-1973. Aus den Akten der beiden deutschen Außenministerien, Berlin 2001.
Hermann Wentker