Sabine Freitag / Peter Wende (eds.): British Envoys to Germany, 1816-1866. Volume I: 1816-1829 (= Camden Fifth Series; Vol. 15), Cambridge: Cambridge University Press 2000, 592 S., ISBN 978-0-521-79066-6, GBP 45,00
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Sabine Freitag / Markus Mößlang / Peter Wende (eds.): British Envoys to Germany, 1816-1866. Volume II: 1830-1847 (= Camden Fifth Series; Vol. 21), Cambridge: Cambridge University Press 2002, 600 S., ISBN 978-0-521-81868-1, EUR 45,00
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Markus Mösslang / Torsten Riotte / Hagen Schulz (eds.): British Envoys to Germany 1816-1866. Volume III: 1848-1850, Cambridge: Cambridge University Press 2006
Markus Mösslang / Chris Manias / Torsten Riotte (eds.): British Envoys to Germany 1816-1866. Volume IV: 1851-1866, Cambridge: Cambridge University Press 2010
Désirée Schauz / Sabine Freitag (Hgg.): Verbrecher im Visier der Experten. Kriminalpolitik zwischen Wissenschaft und Praxis im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2007
Galt früher weithin die Auffassung, dass der Deutsche Bund eine Fehlgeburt gewesen sei, die unter Führung der beiden deutschen Großmächte Preußen und Österreich vor allem durch eine repressive Politik im Innern und den Partikularismus der Einzelstaaten zum Scheitern verurteilt gewesen sei, so erfreut er sich inzwischen einer wachsenden Beliebtheit in der historischen Forschung [1], einerseits aufgrund der ihm innewohnenden Spannungen und Ambivalenzen - zum Beispiel seiner Mischform aus Staatenbund und Bundesstaat - sowie andererseits seiner Fähigkeit, eine im frühen 19. Jahrhundert relativ heterogene, durch "unterschiedliche Modernisierungsstadien" gekennzeichnete, teils konstitutionelle, teils spätabsolutistisch-monarchische deutsche Staatenlandschaft locker zusammenzubinden und in der Sicherheitsarchitektur von 1815 als "Garant des europäischen Friedens" zu dienen. [2] Zugleich teilen der Deutsche Bund und die gegenwärtige Europäische Union so manche bemerkenswerte Gemeinsamkeit: Beispielsweise waren die Einzelstaaten und der Bund Völkerrechtssubjekte, ähnlich wie heute die EU-Mitgliedstaaten und die Union. Die hier zu besprechende Quellenedition, von der jetzt die ersten zwei Bände vorliegen, vermag jedenfalls das Interesse am 'alten Bund' zu mehren und regt zu weiteren Forschungen an.
Die seit einigen Jahren unter Leitung von Lothar Gall herausgegebene große Quellenedition zur Geschichte des Deutschen Bundes enthält Akten deutscher Staaten zu vorrangig deutschen Problemen, also gewissermaßen Innenansichten zur Geschichte des Bundes. Demgegenüber bietet die jetzt mit Unterstützung der Royal Historical Society und des Deutschen Historischen Instituts London durchgeführte Edition von Gesandtschaftsberichten aus den britischen Legationen im Deutschen Bund in kompakter Weise eine Außenansicht auf den Bund und die deutschen Territorialstaaten dieser Epoche. Dabei liegt der Akzent dieser Editionsreihe nicht etwa auf der Diplomatiegeschichte. Es fehlen nämlich - mit wenigen Ausnahmen - die Anweisungen aus dem Außenministerium in London, deren einige in den British and Foreign State Papers beziehungsweise ab 1848/49 in den British Documents of Foreign Affairs gedruckt vorliegen. Und auch über direkte Verhandlungen zwischen britischen Gesandten und deutschen Regierungen sagen die ausgewählten Quellen kaum etwas. Das eigentlich Interessante und Neue ist vielmehr, dass die Gesandtschaftsberichte ausgewählt wurden vor allem aufgrund ihrer jeweiligen Aussagekraft über die innerdeutschen und territorialstaatlichen Verhältnisse und Entwicklungen im Deutschen Bund: Der Botschafter wird hier gewissermaßen zum Chronisten umfunktioniert.
Die Bände sind gegliedert anhand der Orte, an denen die britischen Gesandten akkreditiert waren, nämlich in Frankfurt beim Bundestag, in Berlin, München, Stuttgart, Dresden und Wien (sowie in Bd. 2, nach 1837, auch Hannover) bei den jeweiligen territorialstaatlichen Regierungen. Damit wird deutsche Geschichte re-territorialisiert und in britischen Perspektiven auf die strukturellen Wandlungsprozesse jener Zeit gespiegelt. Anhand des Indexes lassen sich thematische Schwerpunkte im Bereich der frühen, vor allem von Studenten und liberalen Professoren getragenen Nationalbewegung, in handels- und zollpolitischen, militärischen, kirchlichen und verfassungsrechtlichen Fragen sowie zum Thema Pressefreiheit herausfiltern. Auch zu Cholera und Pocken, zu Währungsfragen, Bürgervereinen, Hungersnöten, Armut und Arbeiterklasse wird der Leser fündig.
Aus der Fülle der möglichen zu diskutierenden Themen seien hier nur zwei Komplexe, die konstitutionelle Bewegung und das Ringen um die Vormachtstellung im Deutschen Bund, herausgegriffen. In der allgegenwärtigen konstitutionellen Frage nahmen die britischen Diplomaten eine gemäßigt fortschrittliche, in der nationalen Frage eine konservative Haltung ein. Angesichts der nur langsamen Erholung der deutschen Staaten von Krieg und Besatzung und eines nach Auffassung vieler britischer Diplomaten ineffizienten Bundestages entwickelten sich die deutschen Universitäten bereits wenige Jahre nach dem Wiener Kongress von 1814/15 zu einem Hort der nationalen Bewegung und damit der Revolution. Nach Carl Sands Mord an dem reaktionären Dichter und Publizisten August von Kotzebue empfahl Georg Rose, der britische Gesandte in Berlin, eine strenge Kontrolle des Geistes an den Universitäten durch den Bund und die Einzelstaaten. Diese Position sowie zahlreiche abfällige Bemerkungen über liberale Professoren rücken die britische Regierung in die Nähe des österreichischen Außenministers und seit 1821 Staatskanzlers Clemens Fürst von Metternich, während in Preußen erst durch die Entlassung der "Liberalen" Wilhelm von Humboldt, Leopold von Boyen und Karl Friedrich von Beyme aufgrund ihrer Opposition zu den Karlsbader Beschlüssen von 1819 eine Weichenstellung zu Gunsten der Reaktion erfolgte. Zugleich jedoch erinnerten britische Diplomaten die Regierungen Preußens und zahlreicher anderer deutscher Staaten immer wieder an ihre unerfüllten Verfassungsversprechen. Die Erkenntnisse von Günther Heydemann, der die Zielrichtung britischer Deutschlandpolitik dieser Ära auf die Formel "Konstitution statt Revolution" bringt, werden in den Grundzügen bestätigt. [3] Über die deutschen Ereignisse erfährt man zwar nichts völlig Neues, doch erhält das Bild durch Details über die Verfolgung einzelner Professoren und die Neuformierung der Burschenschaften sowie Verbote für zum Beispiel preußische Studierende, sich an bestimmten Universitäten zu immatrikulieren, weitere Farben und Nuancen. Im zweiten Band nehmen die wachsenden Unruhen im Umfeld der Julirevolution sowie die Repressionsmaßnahmen infolge des Hambacher Festes großen Raum ein. Hierzu gehört auch die "illegitime" Intervention des Deutschen Bundes in der Freien Stadt Frankfurt, gegen die die britische Regierung auf der Grundlage ihrer aus der Wiener Kongressakte abgeleiteten Rechte vergeblich protestierte. Über die sich verschärfende Pressezensur im Vormärz und die sich häufenden Konflikte zwischen der von Österreich und Preußen forcierten repressiven Bundespolitik einerseits und dem Souveränitätsverständnis der Verfassungsstaaten andererseits berichteten die britischen Gesandten intensiv, wobei der Ton uneinheitlich ist, das heißt teils die Zensur billigt, teils kritisch der reformbejahenden Haltung von Außenminister Viscount Palmerston folgt. Den fortgesetzten Repressionen zum Trotz ist in der hier behandelten Epoche eine klare Tendenz hin zur Verfassungsgebung zu erkennen: Vor Ausbruch der Märzrevolutionen im Jahre 1848 waren von den 39 Staaten des Bundes lediglich Preußen, Österreich und die beiden Mecklenburg ohne Gesamtverfassung.
Im Spannungsfeld zwischen dem Hegemoniestreben Österreichs und Preußens sowie der Selbstbehauptung der Mittel- und Kleinstaaten bringen die zwei Bände ebenfalls einige interessante Einzelheiten. So erkannten verschiedene britische Gesandte bereits seit 1816 das Problem Preußens, dass darin bestand, aufgrund der territorialen Neuordnung von 1814/15 einerseits mit Russland im Rücken als Sicherheitsschild Deutschlands im Westen fungieren zu müssen, andererseits aber über kein homogenes, zusammenhängendes Staatsgebiet zu verfügen. Dies wurde dadurch noch verschärft, dass die militärischen Festungen im Westen, zum Teil außerhalb des preußischen Territoriums liegend, anfangs gar nicht verteidigungsbereit und bis in die Zwanzigerjahre hinein chronisch unterfinanziert waren. Preußische Bemühungen, durch wirtschaftliche oder sicherheitspolitische Maßnahmen seinen Einfluss zu vergrößern und die zwischen Kernland und Rheinprovinzen gelegenen Territorien irgendwie doch unter Kontrolle zu bekommen, waren vorhersehbar.
Gegen eine Hegemonie der deutschen Großmächte wandte sich nicht nur die württembergische Regierung, die sich weigerte, die antirevolutionären Beschlüsse des Kongresses der europäischen Großmächte in Verona anzuerkennen, sondern auch Bayern, das gemeinsam mit Württemberg unter dem Druck der Reaktionspolitik zunehmend der Trias-Idee zuneigte. In dem Versuch der konstitutionellen süddeutschen Staaten, sich gegen die konservativen Großmächte zu behaupten, erblickte Metternich eine Gefahr (William Wynn, Stuttgart, an George Canning, 3. Juni 1823, Bd. I, 349). Ein Jahr später löste der Staatskanzler Irritationen in Bayern aus, als er für den österreichischen Kaiser den Titel "Protektor des Deutschen Bundes" zu erlangen und die Stimmrechte der mediatisierten Fürsten und Grafen wieder einzuführen trachtete (Brook Taylor, München, an George Canning, 29. April 1825, Bd. I, 288). Derartige Vorstellungen wurden weitgehend ohne preußisches Zutun von Bayern und Württemberg sowie den westlichen Großmächten abgelehnt.
Aufgrund der bedeutender werdenden handelspolitischen Interessen und ihrer politischen Instrumentalisierbarkeit verfolgte die preußische Monarchie Ende der Zwanzigerjahre eine Politik, die den ideologischen Gegensatz zu den süddeutschen Verfassungsstaaten eher zu mäßigen suchte. Dies wurde durch die Julirevolution in Frankreich, die Geburt des belgischen Verfassungsstaates und die anschließende Stärkung des konstitutionellen Lagers in Süddeutschland und Hannover, wo Wilhelm IV. 1833 eine neue Verfassung gewährte, erschwert. Die Gesandtschaftsberichte spiegeln etwa ab 1828 das starke Interesse Londons an den zollpolitischen Verhandlungen der mittel- und süddeutschen Staaten sowie Preußens wider, in denen es Berlin relativ schnell gelang, Württemberg, Bayern und Hessen-Darmstadt für seine Vorstellungen von einer weitgehend freihändlerischen innerdeutschen Zollordnung bei mäßigen Außenzöllen zu gewinnen und die Grundlagen für den späteren Zollverein zu legen. Mit dessen erfolgreicher Gründung und Expansion verschob sich, wie die britischen Diplomaten bereits während der Verhandlungen für den Zollverein voraussahen, das Gewicht innerhalb des Bundes zu Gunsten Preußens, während Österreich durch seinen Protektionismus zukünftigen politischen Einfluss und wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten verschenkte.
Die Dokumente wurden in beiden Quellenbänden akribisch ediert, nach Angaben der Herausgeber selten gekürzt (außer Anreden und Schlussredewendungen) und verschlagwortet. Namen werden in einem annotierten, immerhin in beiden Bänden jeweils über sechzig Seiten langen, nützlichen Personenregister erläutert. Während die Dokumente für Preußen, Sachsen, Bayern und Württemberg im ersten Band recht kontinuierlich über den Zeitraum bis 1829 berichten, brechen diejenigen aus Wien nach 1820 ziemlich abrupt ab. Vielleicht hätten die Herausgeber hier doch bei den Berichten aus Berlin etwas sparen können, um stattdessen die Reaktionen Österreichs zu den verschiedenen handelspolitischen Bestrebungen im Deutschen Bund und die Entwicklung der britisch-habsburgischen Beziehungen stärker zu beleuchten. Im zweiten Band erscheint die Quellenauswahl etwas ausgewogener; hier erlauben die Gesandtschaftsberichte auch häufiger Einblicke in Positionen der deutschen Mächte - und deren Perzeption durch die britische Regierung - zu den großen außenpolitischen Problemen, die 1830/31 von der Julirevolution und den Ereignissen in Belgien und Polen sowie 1839-1841 von der orientalischen Frage dominiert wurden. Wer die Edition mit einer beziehungsgeschichtlichen Fragestellung durchsieht, wird dies sicherlich begrüßen. Insgesamt handelt es sich um eine wertvolle Quellensammlung sowohl für die Heranführung von insbesondere britischen und amerikanischen Studierenden an die Arbeit mit Quellen zur deutschen Geschichte als auch für die Forschung. Die Vielfalt der deutschen Staatenlandschaft und die Mühen der Staaten des Bundes, in praktischen, etwa handelspolitischen Fragen, Interessenkonflikte zu überwinden und gemeinsam das Gesamtinteresse zu definieren, erhalten durch den Filter zeitgenössischer britischer Berichte eine interessante Nuance und im Hinblick auf die Schwierigkeiten, auf europäischer Ebene gemeinsame Nenner zu finden, auch eine vielschichtige historische Relevanz.
Anmerkungen:
[1] Siehe unter anderem Helmut Rumpler (Hg.): Deutscher Bund und deutsche Frage 1815-1866. Europäische Ordnung, deutsche Politik und gesellschaftlicher Wandel im Zeitalter der bürgerlich-nationalen Emanzipation, Wien 1990; John R. Davies: Britain and the German Zollverein, 1848-66, Basingstoke, Hampshire 1997; Brendan Simms: The Struggle for the Mastery in Germany, 1779-1850, Basingstoke, Hampshire 1998; Gunther Mai (Hg.): Die Erfurter Union und das Erfurter Unionsparlament 1850, Köln 2000; die Arbeit von Jürgen Angelow: Von Wien nach Königgrätz. Die Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes im europäischen Gleichgewicht, München 1996, wurde leider ohne Nutzung der Archivalien des Deutschen Bundes aus dem Bundesarchiv, Außenstelle Frankfurt, erstellt; mit gravierenden Mängeln behaftet ist die versuchte Synthese desselben Autors: Der Deutsche Bund, Darmstadt 2003, vergleiche die Rezension von Wolfgang Piereth in sehepunkte; URL: http://www.sehepunkte.de/2003/09/3100.html
[2] Wolf D. Gruner: "Der Deutsche Bund - Modell für eine Zwischenlösung?", in: Ders. (Hg.): Deutschland mitten in Europa. Aspekte und Perspektiven der deutschen Frage in Geschichte und Gegenwart, Hamburg 1992, 45-71, Zitate 53, 58.
[3] Günther Heydemann: Konstitution gegen Revolution. Die britische Deutschland- und Italienpolitik 1815-1848, Göttingen 1995.
Matthias Schulz