Giuliano Pancaldi: Volta. Science and Culture in the Age of Enlightenment, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2003, 384 S., 36 halftones, 10 line illus., ISBN 978-0-691-09685-8, USD 35,00
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In Auguste Comtes "Positivistischem Kalender" war ihm im "Monat der modernen Wissenschaft" der Samstag gewidmet (der Sonntag blieb Galilei vorbehalten), in seinem Geburtsort Como wurde anlässlich seines 100. Todestags 1927 ein Tempio Voltiano erbaut, Italienreisenden der Jahre 2001 und früher ist er noch vom blauen 10.000-Lire-Schein vertraut, als international gültige Maßeinheit der elektrischen Spannung ist sein Name nicht nur Hochspannungstechnikern ein Begriff.
An wissenschaftshistorischen Arbeiten zu diesem Säulenheiligen der Wissenschaft mangelt es nicht, eine modernen Standards entsprechende Biografie von Alessandro Volta fehlte jedoch bislang. Giuliano Pancaldi, Professor für Wissenschaftsgeschichte an der Universität von Bologna, hat sie nun vorgelegt - und mehr als das. Wie der Untertitel "Science and Culture in the Age of Enlightenment" verspricht, soll Volta im Kontext seiner Zeit verortet und der Erkenntnisanspruch der Arbeit über das rein Biografische hinausgehen. Pancaldis Arbeit liegt damit im Trend: Die Biografie ist in den letzten Jahren auch und gerade in der Wissenschaftsgeschichte als legitimes Genre anspruchsvoller Geschichtsschreibung rehabilitiert worden.
State-of-the-art-Wissenschaftsgeschichte verlangt - und dies gilt nicht nur für das Genre der Biografie -, verschiedenste Betrachtungsweisen zu kombinieren, also politische, soziale und ökonomische Faktoren genauso zu berücksichtigen wie den Theoriehorizont der Zeit, die Experimentierpraxis und die Rolle der Instrumente. Dabei wäre eine bloße Addition, ein simples Nebeneinanderstellen nicht zielführend; vielmehr sind die verschiedenen Betrachtungsweisen miteinander in Beziehung zu setzen und die jeweiligen Wechselwirkungen herauszuarbeiten. Nur so ist ein methodologischer Reduktionismus und die erkenntnishindernde Trennung in "interne" und "externe" Faktoren zu vermeiden. Pancaldis Buch ist ein Musterbeispiel für eine derartige, vielschichtige und stets aufeinander bezogene Betrachtungsweise, die die wissenschaftliche Erkenntnisproduktion Voltas in einem viel klareren Lichte erscheinen lässt.
Die Chronologie tritt als Organisationsprinzip in den Hintergrund, biografische "Vollständigkeit" ist kein Ziel mehr. Die neun Kapitel sind rein thematisch ausgerichtet. Kapitel 1 handelt von Como, der Familie, Erziehung und Persönlichkeit Voltas, der stets die Grenzen zwischen möglicher Innovation und notwendiger Anpassung auslotet. Der aus dem niederen Adel stammende Volta ist die meiste Zeit seines langen Leben (1745-1827) österreichischer Untertan, ab 1774 im Staatsdienst und von 1778 bis 1819 Professor für Physik an der Universität Pavia, unterbrochen nur durch die napoleonischen Kriege um 1800. Der auf Reformen etwa im Erziehungswesen und "nützliche Erfindungen" bedachte aufgeklärte Absolutismus fördert diesen Typus des aus Überzeugung dienenden, säkular und "praktisch" orientierten Beamten. Dies geht auch aus dem prosopografisch verfahrenden zweiten Kapitel hervor, einer Analyse der italienischen scientific community im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts mit 74 Personen als Sample. Kapitel 5 handelt von Voltas europäischen Reisen und der Gelehrtenrepublik der Aufklärung, die Pancaldi richtigerweise als "Föderation" mehrerer lokaler beziehungsweise nationaler Fraktionen beschreibt. Voltas Suche nach Patronen - darunter 1801 auch Napoleon - und Verbündeten sowohl in der Politik als auch in der Wissenschaft, das Knüpfen eines engmaschigen Beziehungsnetzes und das stete Bemühen um die Verbreitung der eigenen Konzepte und Instrumente, die er verschickt oder mit sich führt, werden differenziert nachgezeichnet. Sein Streben nach internationaler Anerkennung ist von gemischtem Erfolg gekennzeichnet. Im Gegensatz zu seinen viel gerühmten und breit rezipierten Gerätschaften bringen die Naturforscher in Paris und London seinen Interpretationen der elektrischen Phänomene deutlich weniger Enthusiasmus entgegen.
Die Kapitel 3, 4 und 6 sind denn auch der Rekonstruktion von Voltas Gedankengebäuden und der Entwicklung seiner elektrischen Instrumente gewidmet. Imitation und Konkurrenz sind für Pancaldi die Wesenszüge der Elektrizitätsforschung der Zeit. Er kann zeigen, wie stark Volta bei seinen Erfindungen wie etwa dem Elektrophor von 1775 - neben der Batterie Voltas minor claim to fame - auf Instrumente und theoretische Konzepte anderer wie Aepinus oder Wilcke rekurriert, ohne dadurch dem Ergebnis, dem "beständigen Elektrizitätsträger", das genuin Neue absprechen zu müssen. Dass die Entwicklung eines Instruments allein von der Theorie geleitet werde, entspricht nicht der Realität des Forschungsalltags, wie Pancaldi minuziös herausarbeitet. Die Manipulation und Weiterentwicklung der Gerätschaften sind von den konzeptuellen Fragen und den Verständnisweisen der instrumentell erzeugten Phänomene nicht sinnvoll zu trennen, sondern aufs Engste miteinander verknüpft. Volta wird für Pancaldi damit auch zu einer Figur des Übergangs vom buchorientierten "Naturkundigen" des 18. zum instrumentenfixierten "Laborwissenschaftler" des 19. Jahrhunderts.
Voltas theoretisches Verständnis der von ihm untersuchten Phänomene ist freilich nicht leicht zu rekonstruieren, der Wissenschaftshistoriker muss hier zum Teil indirekt vorgehen: Publiziertes, Korrespondenzen, Labortagebücher, aber auch angekündigte, dann aber nicht veröffentlichte Abhandlungen lassen Rückschlüsse auf seine Gedankengänge zu. Dabei ist eine Grundtendenz unverkennbar, die Pancaldi mit der Formel vom "disenchanted" beziehungsweise "skeptical theorist" fasst. Je mehr sich das 18. Jahrhundert seinem Ende nähert, desto vorsichtiger wird Volta. Er will sich nicht festlegen, weitere Versuche abwarten, die dann seine - implizit natürlich vorhandenen Theorien - zu steten Anpassungen zwingen. Er lehnt es auch zunehmend ab, "letzte" Gründe zu benennen, also ontologische Aussagen zu machen und zeigt sich nur mehr an klar benennbaren Kausalzusammenhängen interessiert.
Volta, in dessen Forschung die Detektion und Messung schwacher Elektrizität im Zentrum steht, ist dem "quantifying spirit" verpflichtet, ein Ephitet, das die Wissenschaftsgeschichte der Physik der späten Aufklärung insgesamt verpasst hat. Auffällig ist aber die Diskrepanz zwischen den vor Messungen und daran anschließenden Berechnungen nur so überquellenden Labortagebüchern und deren weitgehender Absenz in Voltas Publikationen. Pancaldi erklärt dies damit, dass Volta keine tiefergehende mathematische Ausbildung genossen hat. Seine Fähigkeiten gehen nicht über die Arithmetik hinaus, ihm fehlt das Werkzeug der Analysis, das vor allem in der französischen Forschungstradition von Coulomb und Biot auch für elektrische Phänomene nutzbar gemacht wird.
Unweigerlicher Höhepunkt jeder Volta-Biografie ist die meist als "bahnbrechend" beschriebene Erfindung der elektrischen Batterie. Pancaldi bleibt aber auch in diesem Punkt seinem kontextuellen Ansatz treu und kann zudem mit einem bisher nicht beachteten Glied die komplexe Ereigniskette, die Volta im Herbst 1799 zur Erfindung der Batterie führt, vervollständigen. Dieses entscheidende letzte Glied ist ein Artikel des englischen Naturforschers William Nicholson aus dem Jahre 1797 über den Torpedofisch, den Volta frühestens im Sommer 1799 liest. Pancaldi weist damit nach, dass der Bau der Batterie nicht als von langer Hand geplant betrachtet werden kann. Und bei der Konstruktion der "Säule" aus Zink- und Kupferscheiben hat Volta keinesfalls eine selbstständig Elektrizität erzeugende Batterie im Sinn, sondern vielmehr den modellhaften Nachbau des "elektrischen Organes" des Torpedofisches! Imitation - die Realisierung beziehungsweise Verbesserung des Modells von Nicholson - und Konkurrenz sind also auch hier die Schlüsselbegriffe. Denn Voltas Trachten seit den frühen 1790er-Jahren ist es, in der Kontroverse mit Galvani dessen Theorie einer eigenständigen tierischen (oder eben galvanischen) Elektrizität zu widerlegen.
Hier von "unintended consequences" zu sprechen, ist wohl mehr als statthaft, umso mehr, als Volta sehr schnell erfahren muss, dass ein Instrument sehr schnell ein Eigenleben entwickelt, wie das siebte Kapitel zeigt. Bereits wenige Monate nach der Bekanntgabe seiner Erfindung im März 1800 experimentieren in mehreren Ländern Europas zahlreiche Naturkundige damit. So leicht die Batterie nachzubauen ist, so heterogen sind die Verständnisweisen. Zu Voltas "rein" elektrischer Interpretation gesellen sich schnell chemische Verständnisweisen, während Vertreter der so genannten romantischen Naturwissenschaft wie Ritter in Jena mit galvanischen (!) Interpretationen aufwarten.
Im abschließenden Kapitel reklamiert Pancaldi einen Platz für die Kontingenz - vulgo: den Zufall - in der Wissenschaftsgeschichte. Weder die Realisten noch die Sozialkonstruktivisten hätten diesem "Akteur" bisher genügend Raum gegeben. Der Fall Volta bietet Pancaldi für sein tiefergehendes methodologisches Anliegen reichlich Belege. Die Idee der Zwangsläufigkeit von zielgerichteter Forschung und daraus resultierender praktischer Anwendung erweist sich als realitätsfern, die Wege der Wissenschaft sind wesentlich verschlungener.
Oliver Hochadel