Adelheid von Saldern (Hg.): Inszenierte Einigkeit. Herrschaftsrepräsentationen in DDR-Städten. Unter Mitarbeit von Alice von Plato, Elfie Rembold, Lu Seegers (= Beiträge zur Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung; Bd. 1), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2003, 420 S., ISBN 978-3-515-08301-0, EUR 68,00
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Die Frage nach dem Verhältnis von Herrschaft und Gesellschaft in der SED-Diktatur hat in den letzten Jahren zu einer der lebhaftesten Diskussionen in der DDR-Forschung geführt. Mit der Charakterisierung der DDR als Arbeitsgesellschaft ist dabei vor allem der Betrieb als Ort des Sozialen hervorgehoben worden. Welches Potenzial der Untersuchungsgegenstadt Stadt als Herrschaftsraum sowie als Sozial- und Kommunikationsraum besitzt, demonstrieren nunmehr die Ergebnisses eines Forschungsprojekts unter Leitung der profilierten Sozial- und Kulturhistorikerin Adelheid von Saldern. Im Zentrum des daraus hervorgegangenen Sammelbandes steht die Analyse von städtischen Großfeiern. Allerdings bietet er weit mehr als einen quasi selbstgenügsamen kulturgeschichtlichen Blick auf die Festkultur im städtischen Raum. Die Untersuchung der aus dem Alltag herausgehobenen Ereignisse dient vielmehr dazu, Handlungs- und Gestaltungsspielräume der Städte sowohl im institutionellen Herrschaftsgefüge der DDR als auch gegenüber der jeweiligen Stadtgesellschaft auszuloten.
Hervorzuheben ist zunächst die für einen Sammelband ungewöhnliche Kohärenz. Sieben Fallstudien zu Festlichkeiten vorwiegend der Sechzigerjahre setzen im Einzelnen zwar eigene Schwerpunkte, greifen aber die einleitend entwickelten Fragestellungen systematisch auf. Eine synthetisierende und abstrahierende Zusammenfassung bündelt die Vielzahl der Einzelbefunde und macht sie anschlussfähig für weitere Forschungen.
In einer luziden Einleitung verknüpft von Saldern innovativ Fragestellungen und Methoden stadtgeschichtlicher Analysen mit dem Forschungsstand zur Geschichte der DDR. Sie integriert kulturgeschichtliche Ansätze in die politik- und sozialgeschichtliche Analyse von Herrschaft und gibt hier Impulse, die durchaus über das Feld der eigentlichen Stadtgeschichte hinausweisen. Das systematisch entwickelte Set von Fragestellungen erstreckt sich auf mehrere Ebenen. Stadt kommt einmal ins Blickfeld als Akteur im Institutionengefüge der DDR, in ihren Beziehungen zu übergeordneten Instanzen wie den Bezirken oder der Zentrale der Diktatur und zu Großbetrieben, aber auch als Akteur in der Konkurrenz mit anderen Städten. Ausgelotet werden soll der Spielraum der Kommunen bei der Gestaltung von Feierlichkeiten im Spannungsfeld zwischen politisch-ideologischen Dogmen, konkreten Interventionen der SED-Spitze und den Versuchen städtischer Selbstrepräsentation. Zugleich wird die Frage gestellt, welche Chancen sich durch die Ausrichtung von Feiern für die Städte im Wettbewerb um Reputation und Ressourcen boten.
Zum anderen richtet sich der Fokus auf die Stadt als Sozial- und Kommunikationsraum, in dem sich Herrschaft in Form der städtischen Institutionen und Gesellschaft überschneiden. Von Saldern blendet auf dieser Ebene keineswegs den Herrschaftsaspekt in der Diktatur aus, aber, so die erkenntnisfördernde Grundannahme, Herrschaft beruhte eben nicht allein auf Oktroi und Repression, sondern stets auch auf symbolischen und materiellen Integrationsangeboten, die sich zumindest teilweise an den Adressaten orientieren mussten. Die Frage nach den sinnstiftenden Identifikationsangeboten erhält hier ihre besondere Relevanz durch die Interpretation von städtischen Feiern als einem Versuch, Gemeinschaft erfahrbar zu machen und ein Gemeinschaftsbild zu inszenieren, in dem Staat, Stadt und Adressaten ihren Platz hatten. Die in diesem Zusammenhang in die Diskussion eingeführten Begriffe der "Inszenierung" und der "Communitas" - einer nicht durch diskursive Verständigung, sondern durch kollektive Sinndeutung, Rituale und Handlungen konstituierten Gemeinschaft - verdienen es, auch außerhalb des stadtgeschichtlichen Kontextes auf ihre Leistungsfähigkeit für eine politische Sozialgeschichte von Herrschaft in der Diktatur getestet zu werden.
Die Einzelstudien decken ein breites Spektrum kommunaler Feierlichkeiten und unterschiedliche Typen von Städten ab. Mit den Stadtjubiläen von Rostock (Lu Seegers) und Leipzig (Elfie Rembold) kommen zwei Veranstaltungen in größeren Städten in den Blick, die jeweils mit anderen Großereignissen verbunden waren, denen die Partei- und Staatsführung staatliche und sogar internationale Bedeutung beimaß, in Rostock die Ostseewoche 1968 und in Leipzig die Jubiläumsmesse 1965, deren festliche Inszenierung Rembold ebenfalls in einem eigenständigen Beitrag untersucht. Beim Ortsjubiläum der kleinen, stark katholisch geprägten Stadt Leinefelde (Alice von Plato) handelte es sich dagegen um ein Ereignis, das eher im Windschatten der großen Politik stattfand. Mit der Erfurter Internationalen Gartenbauausstellung (von Plato) und dem Elbefest und den Kulturfesttagen in Magdeburg (Seegers) werden verstetigte Feiern einschließlich ihrer Genese in den Fünfzigerjahren untersucht. Schließlich zeichnet von Plato die Geschichte des Karl-Marx-Denkmals von der Projektierung bis zur Aufstellung in Karl-Marx-Stadt als längeren Prozess nach. In leicht unterschiedlicher Gewichtung widmen sich die Beiträge der Planung und Organisation der Feierlichkeiten sowie ihren verschiedenen Bestandteilen von politischen Demonstrationen über die zahlreichen Kulturveranstaltungen bis zu den Gastronomie- und Konsumgüterangeboten. Besondere Aufmerksamkeit erfahren die schwierigen Bemühungen, ein lokales Geschichtsbild zu konstruieren und zu präsentieren. Die Beteiligung der Stadtbevölkerung an den Festen als Mitwirkende oder als Publikum wird ebenfalls analysiert. Und nicht zuletzt thematisieren die Autorinnen die mediale Präsentation der Ereignisse als Versuch, die Erinnerung an die Feierlichkeiten zu formieren.
Mit der Varianz der Festtypen und mit den Unterschieden der ausgewählten Kommunen, etwa hinsichtlich ihrer Einwohnerzahl, ihrer Sozial- und Wirtschaftsstruktur, der Bedeutung städtischer Traditionsüberhänge oder ihrer Relevanz für den Staat, gelingt es, eine erhebliche Bandbreite von Akteurs- und Machtkonstellationen, Interessenkonflikten und Handlungsabläufen abzudecken. Insgesamt - hier bestätigt sich die Ausgangshypothese - war der Handlungsspielraum der Kommunen sowohl gegenüber den übergeordneten Instanzen und dem Zentralstaat als auch gegenüber der Einwohnerschaft eng begrenzt. Im Einzelnen aber waren diese Grenzen allerdings nicht statisch und klar markiert, sondern mehr oder weniger fluide und von der lokalen Konstellation und Situation abhängig. In der Zusammenschau der Beiträge treten neben den Stadtverwaltungen, den Bezirken und der Zentralmacht eine Vielzahl von Akteuren wie etwa Betriebe - volkseigene, halbstaatliche, aber auch private -, die Kirchen oder das Ministerium für Staatssicherheit hervor, die je nach lokaler Kräfteverteilung bei der Ausrichtung von Feiern eine Rolle spielten. Zudem zeigen die Einzelstudien, dass die Stadtverwaltungen selbst und die SED auf kommunaler Ebene keineswegs monolithisch agierten, sondern zuweilen durchaus unterschiedliche Interessen vertraten und sich auch in den SED-Gremien eher dogmatisch und eher pragmatisch orientierte Funktionäre fanden. Aushandlungsprozesse, Kooperation und Konfliktaustragung zwischen diesen Akteuren zeitigten unterschiedliche Resultate. Die Ergebnisse der Fallstudien tragen so dazu bei, allzu schematische Modelle von der Rolle der Städte im Herrschaftssystem der DDR und ihrer Funktion als Raum für Aushandlungsprozesse und Kommunikation zu differenzieren.
Es ist ein Vorzug des Bandes, dass die Autorinnen durchweg große Sensibilität für die Ambivalenzen von Konstellationen und Aushandlungsprozessen beweisen. Ambivalent fällt etwa die zusammenfassende Charakterisierung des Verhältnisses der Kommunen zur Zentrale aus. Der Gestaltungsspielraum der Städte bei der Ausrichtung von Feiern nahm in dem Maße ab, wie der Zentralstaat Interesse an der jeweiligen Veranstaltung nahm und dementsprechend Vorgaben machte und auch durchsetzte. Umgekehrt allerdings steigerte die Aufmerksamkeit der Berliner Zentrale die Chancen, größere Ressourcen zu erhalten, und sie vergrößerte den gerade unter den Bedingungen ständiger Knappheit relevanten materiellen Gestaltungsspielraum.
Auch das Verhältnis der Organisatoren zu den Adressaten, der Einwohnerschaft und auch größeren Bevölkerungskreisen scheint vor allem mit dem Begriff der Ambivalenz fassbar zu sein. Fast paradigmatisch ist dafür der Verzicht auf die Beteiligung der Bevölkerung an einer Festversammlung zur Leipziger Jubiläumsmesse 1965. Der Absage an die Einwohnerschaft lag eine zweifache Befürchtung zu Grunde. Entweder würden sich nicht genügend Einwohner einfinden, was die Veranstaltung um ihren repräsentativen Charakter bringen würde; fände sich aber genug Publikum ein, sei die Sicherheit der Feierstunde nicht gewährleistet. Die Organisatoren sahen sich stets vor einem Dilemma: Einerseits war die Publikumsbeteiligung für das Gelingen einer Inszenierung unverzichtbar, andererseits galt es eigenständige Beteiligung und Interpretation in die Schranken zu weisen sowie Störungen durch eigensinnige Praxis zu unterbinden. Erkennbar wird hier die passive Macht der Adressaten und die erhebliche Unsicherheit der lokalen Institutionen, wie mit diesem schwer kalkulierbaren Faktor umzugehen sei. Von Partizipation an den offiziellen Feierlichkeiten im Sinne eines Konzepts von Zivilgesellschaft wird man wohl in keinem Fall sprechen können.
Die städtischen Feierlichkeiten stießen durchaus auf erhebliche Resonanz bei den Adressaten, daraus lässt sich aber nicht umstandslos auf die Akzeptanz der Identifikationsangebote schließen. Vorherrschend war offenkundig die selektive Nutzung des Gebotenen durch das Publikum, das beispielsweise die politischen Elemente soweit wie möglich ignorierte, von der gerade im Kontrast zum Alltag attraktiven kulturellen und gastronomischen Vielfalt aber ausgiebig Gebrauch machte; die Gleichzeitigkeit von "distanzieren und mitmachen" (384) diagnostiziert von Saldern als verbreitete Haltung der Adressaten, ohne den Herrschaftszusammenhang zu vernachlässigen, in dem die Teilnahme des Publikums an den politisch aufgeladenen Feierlichkeiten zu interpretieren ist.
Auf Grund der methodischen Schwierigkeiten, die Wirkung der Gemeinschaftsinszenierungen abzuschätzen, bleibt das Fazit zurückhaltend: Ihre Integrationsleistung erstreckte sich offenbar vor allem auf den Stadtraum. Die dadurch konstituierte Gemeinschaft schloss aber kaum den Staat mit ein, sondern setzte sich möglicherweise gerade in Gegensatz zum Zentralstaat, dem die subjektiv erfahrenen Defizite zur Last gelegt wurden.
Für die Stadtgeschichtsschreibung setzt dieser Sammelband Maßstäbe. Die beispielhaft vorgeführte Integration von Sozial-, Politik- und Kulturgeschichte ist aber auch ein weiterführender Beitrag zur DDR-Forschung insgesamt, nicht zuletzt weil sie die Aufmerksamkeit für die Ambivalenzen im Verhältnis von Herrschaft und Gesellschaft in der Diktatur schärft.
Peter Skyba