Bernhard Forster: Adam Stegerwald (1874-1945). Christlich-nationaler Gewerkschafter, Zentrumspolitiker, Mitbegründer der Unionsparteien (= Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte; Bd. 41), Düsseldorf: Droste 2003, 748 S., ISBN 978-3-7700-1889-5, EUR 48,00
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Zu den "erstaunlichsten politischen Karrieren der kaiserlichen und der Weimarer Zeit" rechnet Theodor Eschenburg die Biografie Adam Stegerwalds. Tatsächlich erstreckte sich das Leben des aus kleinen bäuerlichen Verhältnissen Mainfrankens stammenden Schreiners vom Spitzenfunktionär der Christlichen Gewerkschaften im Kaiserreich über Reichsministerämter und preußische Ministerpräsidentschaft in der Weimarer Republik bis zum Amt des unterfränkischen Regierungspräsidenten in den Anfängen des demokratischen Neuaufbaus 1945. Wenn eine wissenschaftlich fundierte Monografie bislang dennoch Desiderat geblieben war, so lag dies nicht nur an erheblichen Überlieferungslücken im Nachlass, die den mühsamen Rückgriff auf eine Vielzahl anderer Archivbestände notwendig macht. Es hatte forschungsgeschichtlich vielmehr auch damit zu tun, dass die Tragweite des konfessionellen Konflikts als zentraler Belastungsfaktor der politischen Kultur Deutschlands im Kaiserreich und in der Weimarer Republik zwar stets allgemein konstatiert, aber viel zu selten auch in praxi untersucht wurde. Wer das eben nicht nur geistiges Überbauphänomen des deutschen Bikonfessionalismus verstehen will, der blicke beispielsweise in den Spiegel des Lebens von Adam Stegerwald, dem sich Bernhard Forster, ein Schüler Winfried Beckers, jetzt endlich zugewandt hat.
Bei dem in katholischen Gesellenvereinen und dann im Christlichen Holzarbeiterverband Münchens sozialisierten Stegerwald prägten sich Ende des 19. Jahrhunderts sozialpartnerschaftliche, interkonfessionelle und reichstreue Überzeugungen aus, die ein Leben lang hielten. Zur ersten Bewährungsprobe für den nach Köln übergesiedelten Mitbegründer und Spitzenfunktionär der christlich-nationalen Arbeiterbewegung wurde der sogenannte Gewerkschaftsstreit. Dieser Konflikt brach innerhalb des Katholizismus um die Interkonfessionalität der Gewerkschaften aus und eskalierte 1912 mit der Enzyklika "Singulari quadam". Rein konfessionelle, von Geistlichen geleitete Arbeiterfachverbände, wie sie jetzt verstärkt diskutiert wurden, lehnte Stegerwald entschieden ab, war doch die Mehrheit der Arbeitgeber evangelisch und war ohne bekenntnisübergreifende Zusammenarbeit ein ernst zu nehmendes Gegengewicht zu den Freien Gewerkschaften nicht aufzubauen. Schließlich gelang es ihm, ein "ultramontanes" Verdikt gegen die Zusammenarbeit von Katholiken und Protestanten - und damit auch eine neuerliche Gettoisierung der als "Reichsfeinde" stigmatisierten Katholiken - zu verhindern.
Allerdings scheiterte der 1916 ins Kriegsernährungsamt und 1917 gar ins Preußische Herrenhaus berufene christlich-nationale Arbeiterführer in der Umbruchsituation von 1918/19 mit seinem Versuch, parteipolitische Konsequenzen aus dem interkonfessionellen Ansatz zu ziehen, "los vom Zentrum" zu kommen und eine "christliche Mittelpartei" zu gründen. Nicht nur sah Stegerwald mit der bevorstehenden Trennung von Staat und Kirche den Kulturkampf als "Hauptbindemittel" für das Zentrum als beendet an, vielmehr verdross ihn, dass bei einer Weiterexistenz der Partei die christlich-nationalen Arbeiter nach wie vor in drei unterschiedliche politische Lager (Zentrum, Konservative, Nationalliberale) zersplittert bleiben und daher erneut nur "überall das Schwanzstück" bilden würden, statt die Achse einer neuen Mittelpartei zu werden. Der "weltgeschichtliche Moment" wurde allerdings, anders als Stegerwald klagte, wesentlich nicht so sehr "infolge Kleingeisterei im christlichen Arbeiterlager und infolge einer totalen Führungslosigkeit im Zentrumslager" verpasst. Ausschlaggebend war wohl eher die neuerliche Kulturkampfsituation, die der unabhängige Sozialdemokrat Adolf Hoffmann als preußischer Revolutionsminister mit seiner fürchterlichen Religionspolitik jetzt heraufbeschwor und die es den meisten Zentrumspolitikern ausgeschlossen scheinen ließ, ihren festen Turm zu verlassen.
Die in der Tat fatalen Folgen des Fehlens einer christlich-konservativen Mittelpartei, durch die Abspaltung der Bayerischen Volkspartei vom Zentrum noch verschärft, sollten Stegerwald und die Weimarer Republik bis zum Ende begleiten. Denn auch die im legendären Essener Programm der Christlichen Gewerkschaften vom November 1920 wiederholte Forderung nach einer "Zusammenfassung der vaterländischen, christlichen, volkstümlich und wahrhaft sozial denkenden Kreise aus allen Volksschichten" blieb, wie der Stegerwald-Biograf es treffend analysiert, "ein lauter Ruf mit leisem Widerhall". Eine symptomatische Ersatzhandlung bedeutete es demgegenüber, wenn der Zentrumspolitiker im Frühjahr 1924 zu einem der bedeutendsten Fürsprecher einer Regierungsbeteiligung der DNVP im Reich wurde, hielt er doch die christlich-nationalen Gewerkschafter in der DNVP-Fraktion für Garanten einer maßvollen Außen- und Sozialpolitik der Deutschnationalen. Der Preis, den Stegerwald auch für sein Werben zu Gunsten des Rechtsblockes zahlte, war wachsende Unpopularität im Zentrum. Deren ganzes Ausmaß wurde schonungslos enthüllt, als Stegerwald 1925 von der DNVP als Kandidat für das Amt des Reichspräsidenten ins Spiel gebracht wurde und daraufhin aus den eigenen Reihen ganze "Jaucheeimer" über ihn ausgegossen wurden. Das Scheitern des vom Zentrum nominierten Kandidaten Wilhelm Marx gegen Hindenburg bewertete Stegerwald bezeichnenderweise auch als Folge der Weigerung Marxens, die DNVP rechtzeitig in die Regierung zu holen.
Die schlechten Erfahrungen mit der DNVP als Koalitionspartner, die wegen des Locarno-Abkommens aus der ersten Rechtsregierung austrat, bestätigten Stegerwalds innerparteiliche Gegner. Mehr noch als sein rechtes Image und sein folgendes Lavieren in der Koalitionsfrage beschädigte ihn aber die ungeschickte Profilierung als reiner Gewerkschaftspolitiker, der von einem nun wirklich ganz abwegigen, von den jeweiligen Arbeiterflügeln getragenen Bündnis des Zentrums und der DNVP mit der SPD träumte. Im Verbandskatholizismus oder bei den katholischen Beamten ließ dies die Furcht aufkommen, Stegerwald wolle das Zentrum zu einer Arbeiterpartei umfunktionieren. So erlitt der stellvertretende Vorsitzende der Reichstagsfraktion auf dem Parteitag im Dezember 1928 eine vernichtende Niederlage, als er sich gegen den Prälaten Kaas und einen weiteren Konkurrenten um das Amt des Zentrumsvorsitzenden bewarb. Obwohl sich der Unterlegene auch noch als schlechter Verlierer erwies, waren die Kommentare überzogen, die das Scheitern Stegerwalds als fortschreitende Zurückdrängung der Arbeitnehmerflügel in den bürgerlichen Parteien, ja als Parallele zum "Fall Lambach" in der DNVP werteten. Jedenfalls gehörte Stegerwald weiterhin dem Zentrum an, diente ihr als Verkehrsminister in der großen Koalition unter Hermann Müller und war dann auch Arbeitsminister im Kabinett Brüning, auch wenn er sich nur schwer damit abfinden mochte, unter seinem ehemaligen "Privatsekretär" - wie er ihn noch 1945 nannte - die zweite Geige zu spielen. Zudem verfestigte sich in Stegerwald die Überzeugung, dass Brünings "Traktätchen-Politik" nicht mehr lange durchzuhalten sei: in regelmäßigen Abständen begrenzte Reformen durchzudrücken und sich der permanenten Kritik von allen Seiten auszusetzen, dies sei nicht zielführend, es gelte, einmalige Einschnitte in einem grundlegenden Reformprogramm durch einen großen Befreiungsschlag zu wagen.
Trotz seiner Skepsis blieb Stegerwald nach außen hin so loyal zu Brüning, dass er auf dessen Empfehlung 1945 auf eine der "Weißen Listen" der Amerikaner kam und für die Mitarbeit am demokratischen Wiederaufbau Deutschlands als geeignet befunden wurde. Allerdings mochte sich Stegerwald mit dem regional beschränkten Amt des Regierungspräsidenten in Würzburg schwerlich abfinden. Einmal mehr war er im Herbst 1945 für ein höheres Amt, das des bayerischen Ministerpräsidenten, im Gespräch, um abermals zu kurz zu springen, sei es wegen seiner Meinungsverschiedenheiten mit Kardinal Faulhaber in Sachen Bekenntnisschule, sei es, weil er in Südbayern als "verpreußter Bayer" diskrediert worden wäre.
Forster versteht es in seiner minuziösen Untersuchung nachvollziehbar werden zu lassen, wie die selbst für einen robusten Politiker ziemlich lange Kette von fehlgeschlagenen Kandidaturen zu erklären ist: Aus dem nachgerade tragischen Widerspruch zwischen der ganz auf Ausgleich zwischen sozialen Schichten und religiösen Bekenntnissen ausgerichteten Programmatik Stegerwalds und dem oft genug aufbrausenden und polarisierend wirkenden fränkischen Temperament, mit dem er die als notwendig erkannte Politik durchzusetzen bemüht war. Politisches Engagement diente bei einem Stegerwald eben noch weniger der Befriedigung persönlicher Eitelkeiten, sondern wurzelte wesentlich in der Leidenschaft für die richtige Sache. Wie sehr Stegerwald am Ende recht behielt, zeigt am besten ein Blick auf die Erfolgsgeschichte der Unionsparteien CDU und CSU, die er 1945 noch mit auf den Weg bringen konnte, auch wenn ihm der bayerische Sonderweg nicht behagte.
Es ist sehr zu begrüßen, dass dem vielleicht tatkräftigsten Pionier einer interkonfessionellen Volkspartei in Deutschland ein - auch wissenschaftlich überzeugendes - literarisches Denkmal gesetzt worden ist. Nur ein kleiner Einwand sei abschließend erlaubt: Auch wer die modisch gewordenen (pseudo-)methodologischen Expektorationen vieler heutiger Dissertationen leid ist, die oft in keinem erkennbaren Zusammenhang zu dem empirisch dann wirklich Geleisteten stehen, kommt um den Eindruck nicht herum: Das Diktum "Wer nichts zu sagen hat, redet von der Methode" wurde in diesem Fall vielleicht allzu sehr beherzigt. Das Fehlen eines neuen Aufgusses der Debatte um den Stellenwert politischer Biografie lässt sich gewiss verschmerzen. Bedauerlich ist aber doch, dass die Ergebnisse der Untersuchung nicht stärker vernetzt worden sind mit den grundsätzlichen Fragen, die in letzter Zeit - auch unter dem vielleicht etwas sehr zugespitzten Schlagwort vom "Zweiten konfessionellen Zeitalter" - an die politische Kultur der Weimar Republik gestellt werden. Dies schmälert aber insgesamt nicht den Verdienst der Studie Forsters, die im übrigen stets auf der Höhe des Forschungsstandes argumentiert. Die Arbeit ist grundsolide, berücksichtigt angemessen die komplexen gesamtpolitischen Kontexte und entgeht auch der Gefahr, dem Protagonisten unkritisch zu begegnen. Eine schmerzliche Lücke in der Geschichte der christlichen Demokratie in Deutschland ist damit geschlossen.
Manfred Kittel