Klaus Schroeder u.a.: Rechtsextremismus und Jugendgewalt in Deutschland. Ein Ost-West-Vergleich. Unter Mitarbeit von Steffen Alisch, Susanne Bressan, Monika Deutz-Schroeder, Uwe Hillmer, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2004, 617 S., ISBN 978-3-506-71751-1, EUR 48,00
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Die von mehreren Mitarbeitern des Forschungsverbunds SED-Staat verfasste Studie besteht aus zwei Teilen, die jeweils etwa denselben Umfang besitzen. Sie enthält einen ausführlichen Forschungsbericht und stellt anschließend die Ergebnisse einer eigenen Untersuchung vor. Die dafür notwendigen empirischen Daten hat das Team um Klaus Schroeder - finanziell gefördert von der bayerischen und der thüringischen Landeszentrale für politische Bildung - unter Schülern in zwei west- und zwei ostdeutschen Kleinstädten erhoben.
Das erste Hauptkapitel skizziert die historischen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus seit 1945, wobei auf Grund der besseren Quellen- und Forschungslage die Ausführungen zur (alten) Bundesrepublik fundierter ausfallen. Dass es auch in der DDR rechtsextremistische Tendenzen unter Jugendlichen gab, die sich etwa in Hakenkreuzschmierereien oder der Schändung jüdischer Friedhöfe äußerten, wird an einer Vielzahl von Einzelbeispielen illustriert. Insbesondere in den Achtzigerjahren etablierte sich eine gewaltbereite Skinhead-Szene, ebenso kam es immer wieder zu Konflikten zwischen der einheimischen Bevölkerung und Vertragsarbeitern aus dem Ausland; insofern kam der offene Ausbruch einer ausländerfeindlichen Gesinnung nach dem Untergang der SED-Diktatur und ihres Repressionsapparates nicht völlig überraschend. Bei den Straf- und Gewalttaten mit rechtsextremistischen Hintergrund dominiert seit 1990 eindeutig der Osten. Hier fanden 43 von 99 der zwischen 1990 und 2002 verübten Straftaten mit Todesfolge statt. Gemessen an der Einwohnerzahl, liegt das Niveau rechtsextremistischer Gewalttaten in Brandenburg etwa sechsmal höher als in Bayern. Auf Grund eines härteren Vorgehens von Polizei und Politik stagniert aktuell die Ausbreitung des rechtsextremistischen Milieus, wobei in den neuen Ländern die Gefahr einer hegemonialen jugendkulturellen Verfestigung, vor allem im ausgedünnten ländlichen Raum, keineswegs gebannt ist.
Dem einführenden historischen Abriss folgt die Vorstellung unterschiedlicher Erklärungsmodelle für Rechtsextremismus und Jugendgewalt. Sie umfassen ein breites Spektrum von modernisierungskritischen Modellen (W. Heitmeyer) über die Deutung des Rechtsextremismus als soziale Bewegung bis zu sozialisationstheoretischen beziehungsweise individualpsychologischen Erklärungsansätzen in der Tradition der klassischen Studien zur autoritären Persönlichkeit. Das Fazit der kritischen Erörterung fällt ernüchternd aus: "Die unzählige Regalmeter messende Literatur über dieses 'Phänomen' findet keine Entsprechung in einer überzeugenden Plausibilität der vorgebrachten Argumente. Dieser Befund bestätigt sich auch in der bisher leider nur spärlichen empirischen Überprüfung der Erklärungsvarianten." (154)
Im dritten Hauptkapitel werden auf rund 100 Seiten die wichtigsten Resultate bisheriger empirischer Untersuchungen vorgestellt, beginnend mit der bahnbrechenden Sinus-Studie von 1980. Die Zusammenstellung gibt dem Leser einen schnellen, konzentrierten Überblick über die verschiedensten Erhebungen und die ihnen zu Grunde liegende Methodik. Aufschlussreich und erschreckend zugleich sind nicht zuletzt jene Untersuchungen, die die amtliche Kriminalstatistik um eine Dunkelfeldanalyse der Gewalterfahrungen und -handlungen deutscher und ausländischer Jugendlicher ergänzen. Die Übersicht verdeutlicht zudem recht eindrucksvoll, wie unterschiedlich Befragungsergebnisse ausfallen, je nachdem, wie "hart" oder "weich" die Skalen und Einzelitems gewählt und gewichtet werden. So schwankt in den neueren Studien der Anteil ausländerfeindlich eingestellter Personen zwischen 20 und knapp 50 Prozent und das rechtsextremistische Potenzial zwischen fünf und 20 Prozent.
Diese außerordentliche Schwankungsbreite spiegelt die erheblichen methodischen Probleme und politischen Vorentscheidungen wider, die sich nicht selten in einer unklaren Operationalisierung und fragwürdigen Items niederschlagen. So etwa, wenn die Zustimmung zu dem Satz: "Die Ausländer nehmen den Deutschen die Arbeit weg, weil sie für weniger Geld arbeiten." umstandslos als Beleg für Ausländerfeindlichkeit gewertet wird, während die IG Bau aus diesem Grund auf Mindestlöhnen besteht. "Empirisch belegt scheint", so das eigentlich banale Fazit, "dass 'Fremdenfeindlichkeit' nicht in 'Rechtsextremismus' aufgeht: Zwar sind nahezu alle Personen mit rechtsextremistischen Einstellungen auch fremdenfeindlich, aber umgekehrt können nicht alle Fremdenfeinde dem Rechtsextremismus zugeordnet werden. Ferner wird das rechtsextremistische Milieu in nahezu allen Studien überproportional häufig bei den bildungsfernen Schichten und in kleineren Städten verortet." (240)
Im Mittelpunkt des zweiten Teils stehen die Ergebnisse einer empirischen, jedoch nicht repräsentativen Studie, die auf der Befragung von insgesamt 899 Schülern verschiedener Schultypen in den Kleinstädten Arnstadt (Thüringen), Neuruppin (Brandenburg), Einbeck (Niedersachsen) und Deggendorf (Bayern) beruht. Das methodische Verständnis und der standardisierte Fragebogen werden mit Items und Faktorwertung ausführlich vorgestellt. Die Rechtsextremismusskala basiert auf den Kriterien: Nationalismus, Antisemitismus, Biologismus, Ausländerfeindlichkeit, Antiparlamentarismus und NS-nahes Geschichtsbild; getrennt davon wurde eine Skala für anti- beziehungsweise nichtzivile Einstellungen entwickelt: Gewaltbereitschaft, Devianzbereitschaft, Intoleranz, Autoritarismus und Antiindividualismus.
Legt man das hier angewandte Raster zu Grunde, so sind nur 2,1 Prozent der befragten Schüler im engeren Sinne rechtsextremistisch eingestellt; selbst bei einer großzügigeren Interpretation der Kriterien kamen die Autoren der Studie nur auf eine Quote von sechs Prozent. Dabei ergibt die vergleichende Analyse, dass "deutlich mehr männliche als weibliche Jugendliche, in etwa gleich viel in Ost und West, sehr viel mehr im Norden als im Süden sowie mehr Haupt-/Gesamtschüler und Berufsschüler als Gymnasiasten" eine rechtsextremistische Einstellung an den Tag legten. "Überdurchschnittlich ablehnend votierten Schülerinnen, Westdeutsche, Süddeutsche, Einbecker und Deggendorfer sowie Gymnasiasten In Ostdeutschland, in Neuruppin und unter Haupt-/Gesamt- sowie Berufsschülern liegt dagegen der Anteil der in die Kategorie 'neutral' fallenden Befragten überproportional hoch." (301 f.) In dieselbe Richtung weist die Auswertung der antizivilen Einstellungsmuster: Auch hier fällt der Anteil von Personen mit ausdrücklich antizivilen Einstellungen verschwindend gering aus, erschreckend hoch ist allerdings die Quote der neutral beziehungsweise indifferent antwortenden Schüler. Etwas mehr als jeder Dritte bekennt sich nicht ausdrücklich zu zivilen Tugenden. Während im Osten 37,9 Prozent Personen mit indifferenten Einstellungen zu verzeichnen sind, liegt der entsprechende Anteil im Westen bei 29,9 Prozent. Unter Haupt-/Gesamtschülern sind es gar 53,8 Prozent, bei Gymnasiasten hingegen nur 17,3 Prozent.
Die statistische Auswertung wird ergänzt durch vier Fallstudien zu den untersuchten Kleinstädten, die mithilfe qualitativer Interviews eine dichte, manchmal geradezu bedrückende Beschreibung des lokalen Umfelds und der Lebenswelt jugendlicher Schüler geben. Sie verdeutlichen einmal mehr, dass Jugendgewalt ein wesentlich weiteres Spektrum umfasst, das nur partiell im Phänomen Rechtsextremismus aufgeht. Die Fallstudien zeigen zudem, dass die Eindämmung eines gewaltbereiten und rechtsextremistischen Jugendmilieus des abgestimmten und konsequenten Handelns von Lehrern, Jugendarbeitern und Kommunalpolitikern vor Ort bedarf. Man kann nur hoffen, dass sich alle Kommunen diese Einsicht bald zueigen machen und Prävention als eine selbstverständliche Daueraufgabe begreifen. Insgesamt stellt der Band eine vorzügliche Einführung in die Thematik dar, die besonders Multiplikatoren der politische Bildung empfohlen werden kann.
Clemens Vollnhals