Wolf Nitschke: Adolf Heinrich Graf v. Arnim-Boitzenburg (1803-1868). Eine politische Biographie (= Studien und Texte zur Erforschung des Konservatismus; Bd. 5), Berlin: Duncker & Humblot 2004, 462 S., ISBN 978-3-428-11114-5, EUR 98,00
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Adolf Heinrich Graf von Arnim-Boitzenburg, einer der reichsten Grundbesitzer der Mark Brandenburg, hat sein wichtigstes politisches Amt genau zehn Tage innegehabt. Am 19. März 1848, auf dem Höhepunkt der Berliner Straßenkämpfe zu Beginn der Revolution, wurde er preußischer Ministerpräsident. Am 29. März musste er dem liberalen Ministerium Camphausen / Hansemann Platz machen. Aus dem politischen Betrieb verschwand der studierte Jurist und Karrierebeamte (Landrat in Templin 1830-1833, Regierungspräsident in Aachen 1834-1837, Oberpräsident in Posen 1841/42, Innenminister 1842-1845) nicht mehr. Arnim war 1848/49 und dann vor allem in den 1850er-Jahren einer der Wortführer der preußischen Konservativen. Im preußischen Landtag der 1850er-Jahre war die "Fraktion Arnim" eine entscheidende Kraft. Während der "Neuen Ära" des Prinzregenten und dann König Wilhelms I. schwand der Einfluss Arnims. Bismarcks frühe Ministerpräsidentenjahre konnte er noch unterstützen, bevor er sich 1866 krankheitshalber zurückziehen musste. Er starb 1868.
Wolf Nitschke hat in seiner Berliner Dissertation "eine politische Biographie" dieses Mannes geschrieben, der ein herausragender Akteur während der formativen Phase des Parteikonservativismus in Preußen war, dessen politische Leistung jedoch von der Revolution 1848/49 einerseits und der Bismarck'schen Reichsgründung andererseits überschattet wurde. Nitschke findet den Schlüssel zur Person Arnims im Begriff des "Staatskonservativismus". Damit beschreibt er "ein[en] gouvernementale[n] Flügel des Konservativismus [...], der nicht selten im Gegensatz zum altständischen Flügel stand und zu dem Männer wie Radowitz, Otto von Manteuffel und auch Graf Arnim zählten. Dieser Begriff erschien dem Verfasser prägnanter (und besonders für die Adjektivbildung geeigneter) zu sein als die Begriffe 'Beamtenkonservativismus', 'gouvernementaler Konservativismus', bürokratischer Konservativismus' oder 'aufgeklärter Konservativismus'" (27, Fußnote 110). Der Begriff des Staatskonservativismus fasst für Nitschke die Motivation des politischen Pragmatikers Arnim-Boitzenburg zusammen. Arnim habe ein politisches System verteidigt, "in dem eine starke monarchische Exekutive einem Parlament gegenüberstand, in dem der Adel eine starke Stellung besaß, ohne daß die übrigen Stände von der politischen Mitbestimmung ausgeschlossen worden wären" (398). Gegenüber den Altkonservativen habe Arnim die Bedeutung von Staat und Dynastie betont und die adelsständische Selbstorganisation geringer gewertet.
Parlamentarismus und Bürokratie - weniger die von Nitschke ebenfalls genannte Adelsherrschaft (14) - sind die übrigen zentralen Begriffe des Buches. Wolf Nitschke will mit seinem Werk vor allem einen Beitrag zur politischen Konservativismusforschung leisten. Sein Buch unterteilt er daher in fünf chronologische Kapitel, die sich an den politischen Zäsuren in Preußen orientieren (Frühe Lebensphase unter der Regierung Friedrich Wilhelms III. 1803-1840, vorrevolutionäre Regierungszeit Friedrich Wilhelms IV. 1841-1847, Revolutionsjahre 1848-1850, Restauration 1851-1858, Regierung Wilhelms I. 1858-1866). Jedes Kapitel besteht aus vier Teilen, von denen sich die ersten drei auf die Ereignisgeschichte konzentrieren, soweit Arnim in sie involviert war. Der vierte Teil beschreibt jeweils den Konservativismus, innerhalb dessen sich das Handeln Arnims abspielte.
Die Stärke eines solchen Zugriffs liegt in der sorgfältig-kleinteiligen Analyse der Ereignisgeschichte. Nitschke beobachtet genau - und mit großer Sympathie - die parlamentarischen und außerparlamentarischen Aktionen seines Helden. Sehr schön kann er zeigen, wie beschränkt die Handlungsmöglichkeiten Arnims während seiner zehntägigen Ministerpräsidentschaft waren. Deutlich wird auch, wie Staatsnähe und Königstreue den Politiker der 1850er-Jahren an der Verfolgung zukunftsgerichteter Politikkonzepte hinderten.
Der Zugriff hat aber auch seine Schwächen. Erstens gerät die Person Adolf Heinrich Graf von Arnim-Boitzenburg aus dem Blick, weil sich Nitschke ganz auf Parlament und Bürokratie konzentriert. So erfahren wir en passant, dass er nicht nur ein "weltmännisches Auftreten", sondern auch eine "liebenswürdige Gattin" (107) hatte. Ob und gegebenenfalls wie politisch-private Netzwerke innerhalb des brandenburgischen Adels Mitte des 19. Jahrhunderts funktionierten, wird nicht behandelt. Wenige andere außerparlamentarische und außerbürokratische Grundlagen des politischen Einflusses von Arnim jenseits seiner persönlichen Fähigkeiten werden im ersten Kapitel angedeutet. Sie verschwinden dann aber aus der Erzählung oder bleiben undeutlich. Gerade in der (adels-)politischen Welt des frühen und mittleren 19. Jahrhunderts spielten auf den ersten Blick nichtpolitische Faktoren jedoch für politische Karrieren eine wesentliche Rolle. Wahrscheinlich hätten sie deutlicher machen können, wo die Basis für Aufstieg und Oben-Bleiben des Adelspolitikers Arnim gelegen hat.
Zweitens kann auch die Dynamik des Konservativismus allein aus dem politischen Betrieb heraus nicht erklärt werden. Die als Resümee und Perspektiverweiterung gliederungstechnisch ja nicht ungeschickt eingebauten vierten Teile jedes Kapitels wirken oft wie Wiederholungen der ersten drei Teile, weil ihnen eine sozial- und kulturhistorische Ausweitung der politischen Fragestellung abgeht. Gerade in dieser Erweiterung der Politikgeschichte aber liegen die fruchtbarsten Forschungsfelder der Parteiengeschichte wie der historischen Biografik. Am Ende der Lektüre sind wir daher über die parlamentarische und bürokratische Geschichte des preußischen Konservativismus in den 1840er- und 1850er-Jahren besser informiert. Wir verstehen, dass Adolf Heinrich Graf von Arnim-Boitzenburg eine Schlüsselfigur zu dieser Geschichte ist. Doch die Geschichte selbst bleibt ungerahmt und ungegründet.
Ewald Frie