Ernst Baltrusch: Die Juden und das römische Reich. Geschichte einer konfliktreichen Beziehung, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2002, 224 S., ISBN 978-3-534-15585-9, EUR 34,90
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Dass das Verhältnis der Juden zu den Römern nicht konfliktfrei war, ist sattsam bekannt. Baltrusch schreibt allerdings keine neue Geschichte der großen Auseinandersetzungen und Kriege vor allem des 1. und 2. Jahrhunderts nach Christus, obwohl dies der Untertitel - der wohl auf das Konto des Verlages geht - suggeriert, sondern schildert die Vorgeschichte dieser Konflikte, wenn man so will die tieferen Ursachen. Dabei greift er weit aus und lässt seine Darstellung im 8. Jahrhundert vor Christus beginnen ("'Das Gesetz deines Gottes und das Gesetz des Königs': Die Herausbildung der jüdischen Religion als politisches Phänomen vom 8. bis 4. Jahrhundert v.Chr.", 21-39). Die Kultreform Hiskijas und die 'Auffindung' des zweiten Gesetzbuches durch Josija dienten demnach vor dem Hintergrund der unsicheren Lage des kleinen Landes, insbesondere der Bedrohung durch die Assyrer, der Festigung und Vereinheitlichung des Volkes und seiner Religion. Letztere erhielt eine eindeutig politische Dimension dadurch, dass der Erhalt der Autonomie und Freiheit an die Einhaltung der religiösen Vorschriften gekoppelt wurde. Das dadurch geschaffene Zusammengehörigkeitsgefühl ging auch in der Zeit der Babylonischen Gefangenschaft nicht verloren, sondern verstärkte sich sogar noch.
Maßstäbe für die weitere Existenz des jüdischen Volkes (teilweise auch Staates) unter anderen Oberherren setzte die Zeit der persischen Herrschaft, in der es durch Esra und Nehemia gelang, den Juden weitgehende Autonomie bei gleichzeitiger Loyalität gegenüber dem persischen König zu sichern. Wichtig ist hierbei, dass dem Judentum aus persischer Sicht eine ordnungspolitische Komponente zukam - ein entscheidender Unterschied zur nachfolgenden hellenistischen Zeit. Deren Herrscher setzten zwar formal die persische Politik fort, doch bekam die gewährte Autonomie einen völlig anderen Stellenwert, da die Herrscher sie nicht als notwendig für eine Zusammenarbeit ansahen und sie daher lediglich als jederzeit widerrufbare Wohltat gewährten ("'Alle sollten ein Volk werden und jeder seine Gebräuche aufgeben': Die jüdischen 'väterlichen Gesetze' und der Hellenismus", 41-58). Ein prägnantes Beispiel hierfür war die Politik Antiochos' IV., die in den Makkabäeraufstand mündete.
Zu dieser Zeit kam es zu den ersten Kontakten der Juden mit den Römern, deren Politik Baltrusch im dritten Kapitel charakterisiert, wobei er besonderes Augenmerk auf die möglichen Missverständnisse legt ("'Die Unterworfenen zu schonen und die Hochmütigen niederzuwerfen': Die Römische Republik als Weltmacht", 59-81). Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Darstellung Roms als eines Rechtsstaates, in dem alle Macht bei den Institutionen lag, nicht doch zu idealisiert ist. Die Geschichte der Beziehungen zwischen Juden und Römern in dem auf den Makkabäeraufstand folgenden Jahrhundert, insbesondere der verschiedenen "Verträge", ist Gegenstand des 4. Kapitels ("'Freundschaft mit allen, die zu ihnen kommen' [1. Makk. 8,1]: Die Juden als 'Verbündete und Freunde' im Vorhof des Römischen Reiches zwischen 164 und 63 v.Chr.", 83-113). Insgesamt sechs echte Verträge hat es nach Baltrusch in diesem Zeitraum gegeben, wobei allerdings das Ziel der jüdischen Seite nie konkrete, sondern eher moralische Unterstützung und Anerkennung durch mächtige Staaten gewesen sei, worauf auch der Kontakt zu Sparta hindeute. Diese Verträge wiegten die Juden in einer fatalen Illusion ("'Jeder Staat hat seine eigene Religion, wir die unsere': Die Grenzen der Toleranz im Verhältnis des republikanischen Rom und der jüdischen Diaspora", 115-123). Die Vertreibung von Juden aus Rom 139 vor Christus machte deutlich, dass Toleranz in Rom etwas anderes bedeutete als Toleranz gegenüber einem Ethnos, das damals noch nicht zum Römischen Reich gehörte.
Dieser Zustand änderte sich in den Sechzigerjahren des 1. Jahrhunderts vor Christus, als Pompeius in die Angelegenheiten des Nahen Ostens involviert wurde - nicht zuletzt auf jüdischen Wunsch hin ("'Wie deren Nachkommen, miteinander im Streit um die Königsherrschaft, die Römer und Pompeius in die Angelegenheiten hineinzogen': Die Einrichtung der römischen Herrschaft über Judäa und die Ursachen für ihr Scheitern", 125-147). Im Ergebnis wurde Judäa eines von sieben Klientelkönigtümern im Osten. Wie wenig beide Seiten wirklich von einander verstanden hatten, machte schon das Betreten des Tempels in Jerusalem durch Pompeius deutlich. Es verwundert nicht, dass es schon bald zu Aufständen kam, die letztlich durch Gabinius niedergeschlagen wurden, der Judäa in fünf Bezirke aufteilte und einen Verwalter einsetzte.
In einem letzten Kapitel "Zusammenfassung und Ausblick" (149-157) lässt Baltrusch die Genese der Katastrophe, wie er es nennt, noch einmal Revue passieren. Für ihn sind damit die Ursachen der weiteren Entwicklung klar dargelegt: Die jüdische Religion war eben nicht nur eine Religion, sondern auch ein politisches Phänomen, während die Vertreter des römischen Herrschaftssystems diese politische Rolle nicht erkannten beziehungsweise sie nicht akzeptierten.
Es wäre sinnvoll gewesen, den Bogen noch etwas weiter zu spannen, denn die großen Aufstände und Kriege des 1. und 2. Jahrhunderts nach Christus sind zwar sehr intensiv erforscht, aber durch ihre Nichtberücksichtigung gewinnt man den leicht Eindruck, es habe sich nach der Mitte des 1. Jahrhunderts vor Christus in Judäa über eine Spanne von einhundert Jahren nichts mehr geändert. Es gab aber sehr wohl weiter zurückreichende Ursachen und nicht nur kurzfristige Anlässe für die Aufstände, die beispielsweise in der innerjüdischen Entwicklung nach Pompeius zu suchen sind. In jedem Fall aber legt Baltrusch die langfristigen Entwicklungen und Beziehungen der Juden zu anderen Völkern gut dar, was angesichts der heutzutage zu beobachtenden, mangelhaften Kenntnisse über das Alte Israel nur von Vorteil sein kann.
Ein Anmerkungsteil (159-200), eine Bibliografie (201-217) und ein Namens- und Sachregister (219-223) runden den Band ab. Störend wirkt allerdings die wenig sorgfältige redaktionelle Überarbeitung des Buches, was schon im Inhaltsverzeichnis beginnt, in dem ein Teil der Seitenangaben falsch ist.
Kirsten Groß-Albenhausen