Rezension über:

Rosemary J. Barrow: Lawrence Alma-Tadema, Berlin: Phaidon Verlag 2003, 208 S., ISBN 978-0-7148-4358-2, EUR 29,95
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Rezension von:
Ekaterini Kepetzis
Kunsthistorisches Institut, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Stefanie Lieb
Empfohlene Zitierweise:
Ekaterini Kepetzis: Rezension von: Rosemary J. Barrow: Lawrence Alma-Tadema, Berlin: Phaidon Verlag 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 9 [15.09.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/09/4145.html


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Rosemary J. Barrow: Lawrence Alma-Tadema

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Das Interesse an der "offiziellen" Malerei des 19. Jahrhunderts hat in den letzten Jahren exponentiell zugenommen. Seit Mitte der 1990er Jahre betrachtet die Forschung akademische Malerei und beginnende Moderne als zeitgleiche aber gleichberechtigte Phänomene und verzichtet auf polemische Polarisierungen. Jacques Thuilliers 1984 noch provozierende Behauptung, "que les «pompiers» ont peint aussi des chefs-d'œuvre" [1] scheint mittlerweile akzeptiert und die Werke der zur "haute volée" der Zeit gehörenden Malerfürsten Makart, Gérôme, Leighton oder des gebürtigen Niederländers Sir Lawrence Alma-Tadema sind anerkannte Forschungsobjekte.

Zu Alma-Tadema hat Rosemary Barrow, Spezialistin für viktorianische Malerei am King's College in London, eine opulente Monographie vorgelegt, die nunmehr auch als broschierte Ausgabe erschienen ist [2]. Das Buch ist anhand der Biographie des Malers in drei Kapitel gegliedert, Anmerkungsapparat, Bibliographie sowie ein Index runden die Publikation ab. Die Autorin verfolgt ein ambitioniertes Ziel: "to reappraise Lawrence Alma-Tadema's distinctive achievement as an artist within the British Tradition and, beyond it, the history of European painting, through a new consideration of his works" (6). Vorweggenommen sei, dass Barrows Buch zu einer Einbettung des Malers in den nationalen und internationalen Kunstdiskurs wenig beiträgt, jedoch bei den fundierten und kenntnisreichen Bildanalysen interessante Aspekte zu Tage fördert; insbesondere gelingt ihr der Nachweis einer Lesbarkeit von Alma-Tademas Werken "on several distinct levels - sensual and intellectual, polular and élite" (6).

Eingangs charakterisiert die Autorin die belgische Kunstlandschaft um 1850 und die Bedeutung der Historienmaler Wappers, de Keyser und de Taeye für Alma-Tadema. Grundsätzliche Merkmale seines Œuvres lassen sich bereits am Frühwerk aufzeigen: Präzision in der Malweise, weitest mögliche Exaktheit in Kostüm, Architektur und Details, die Imaginierung eines Moments, der vor oder nach dem (literarisch überlieferten) signifikanten Ereignis liegt (16). Barrow versäumt es leider, dabei auf die vielfachen Übereinstimmungen mit der neuen historisierenden Genremalerei insgesamt aufmerksam zu machen. An einzelnen Werken erläutert sie die Vorgehensweise des Malers, die er bis in die 1890er Jahre beibehält: Alma-Tadema kombiniert konkrete Artefakte aus unterschiedlichen Museen und archäologische Erkenntnisse mit sozialgeschichtlichen Aspekten und führt dem Betrachter so eine untergegangene Welt vor. Barrow identifiziert Artefakte und Quellen, zeigt persönliche Beziehungen des Malers zu einzelnen Forschern auf und verdeutlicht den "Appeal" solcher Bilder sowohl für den Laien, der sich an Maltechnik und Präzision erfreut, als auch für den Intellektuellen, der die Authentizität suggerierenden Kunstzitate identifizieren kann. Immer wieder stellt Barrow zudem den abgebildeten Gemälden Reproduktionen aus Alma-Tademas umfangreichem Fotoarchiv archäologischer Artefakte gegenüber.

Angesichts der Hinwendung zu pompejianischen Themen um 1865 formuliert Barrow eine interessante Hypothese: Statt dazu lediglich - wie bislang üblich- Alma-Tademas Pompeji-Reise als Erklärung heranzuziehen, beleuchtet die Autorin wirtschaftliche Erwägungen: Pompejianische und klassisch-antikische Darstellungen erfreuten sich einer besonderen Beliebtheit. Diese Tatsache, so Barrow, habe vielleicht auch bei dem 1864 mit dem Kunsthändler Ernest Gambart geschlossenen Kontrakt über vierundzwanzig Gemälde eine Rolle gespielt und den Themenwechsel angestoßen (21). Auch Alma-Tademas 1870 erfolgte Übersiedlung nach London, sieht sie vor dem Hintergrund der Erschließung eines größeren und international geprägten Kundenkreises (56). Folgerichtig beantwortet Barrow die eigene Frage "how far was Alma-Tadema's antiquity constructed to satisfy popular taste, and how far was it a personal vision? (92) wie folgt: "we can, at least, assume that, in general, it is his instinct for the popular assessment of antiquity that dictates his choices of theme" (95). Wie sehr Alma-Tadema im Sinne eines "self-fashioning" auf seine Rolle in der Gesellschaft und sein Auftreten als "Malerfürst" bedacht war, verdeutlicht sein nach eigenen Entwürfen gestaltetes opulentes Haus, das mehrfach Gegenstand von "home-stories" war. Wöchentliche Soireen und Musikabende machten es zudem zum Treffpunkt renommierter Künstlerkollegen und zum Mittelpunkt des Londoner Lebens (121-127).

In Hinblick auf die von Barrow postulierte Lesbarkeit der Bilder Alma-Tademas auf unterschiedlichen Ebenen sind die Bildanalysen der Darstellungen römischer "Kunstsammlungen" besonders interessant. Der von der Autorin konstatierte "Materialwechsel" bei den vorgeführten berühmten Antiken (von Marmor im Original zu Bronze im Gemälde oder umgekehrt; 37, 79) oder die Präsentation antiker Wandmalereien als "Tafelbilder" (36) eröffnen interessante Fragestellungen, welche die Autorin jedoch nur anreißt. Hier darf man vermuten, dass Alma-Tadema mit dieser Art von Darstellungen mehr wollte, als die Projektion zeitgenössischer Rezeptionshaltung in die Vergangenheit: Sein Vorgehen entspricht zeitgleichen Versuchen der Archäologie, die zumeist nur aus Plinius' Beschreibungen bekannten Tafelbilder anhand erhaltener Wandmalereien zu rekonstruieren.

Hervorzuheben ist die Sorgfalt, mit der die Autorin eigene Beobachtungen und Interpretationen von zeitgenössischen Äußerungen scheidet. Ein bezeichnendes Beispiel in Zusammenhang mit den Galeriebildern: "... Alma-Tadema exposes the follies of contemporary society by relating them to those of ancient Rome, and yet the inclusion of his friends, and even himself, suggests that his purpose is tongue-in-cheek irony rather than scurrilous satire." (37).

Spannend ist Barrows Nachweis, dass Alma-Tadema zwar auf die konkrete Umsetzung literarisch überlieferter Szenen zumeist verzichtet, seine Darstellungen jedoch unterschwellig antike "Kommentare" einbeziehen: Bei den "Galeriebildern" sind Plinius' abschätzige Bemerkungen über neureiche "Kunstkenner" mitzudenken, die letztlich doch nur Banausen seien (39), bei den Szenen im Kolosseum die satirischen Bemerkungen Juvenals zum Gladiatorenmilieu (150f), bei den Darstellungen von Paaren und (Braut-) Werbungsszenen, die abschätzigen Betrachtungen römischer Moralisten zum zügellosen Treiben in den "Sommerfrischen" am Golf von Neapel (160f). Solche Verschränkungen zielen vor allem auf ein intellektuelles Publikum. Das gleiche gilt für die in den Bildern erscheinenden Schrifttafeln und Kunstobjekte, die neue Zusammenhänge eröffnen und einen manchmal subversiven "Kommentar" zum vordergründigen Geschehen bieten (so bei 'A favourite Poet', 140-144, oder 'Spring', 151-155). Barrow ist sich bewusst, dass sie sich hier auf unsicherem Terrain bewegt: Zeitgenössische Betrachtungen beschränken sich auf die maltechnische Brillanz der Bilder und kennzeichnen Alma-Tadema als "marble-painter". So formuliert sie ihre - durchaus überzeugende - Prämisse einer polyvalenten Lesbarkeit der Werke als Frage: "Contemporary critics, certainly, did not usually discuss Alma-Tadema's choice of literary and archaeological sources in these terms, but were they, along with his viewers and patrons, nevertheless, complicit in constructing such an enticing vision of the past?" (197).

Die Vorstellung der Aquarelle sowie der Landschaften und Porträts, zweier bislang kaum beachteter Themenkomplexe (104-113), ist faszinierend. Beide verbindet ihr dezidiert privater Charakter, vor allem die Porträts von Freunden und Familie waren zumeist als Geschenke gedacht und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Die Landschaften sind malerischer aufgefasst als die Akademiebilder, bisweilen wirken diese plein-air-Studien fast impressionistisch. Barrows vermutet: "with no commercial pressure he [Alma-Tadema] choose a very different type of style and subject" (104) als in "offiziellen" Werken.

Barrow hat mit dieser prachtvoll und durchgängig mit farbigen Reproduktionen versehenen Monographie ein inspirierendes, gut lesbares und an vielen Stellen Neuland erschließendes Buch und damit eine auch für den Fachmann interessante Publikation vorgelegt. An einigen Punkten bleiben Fragen offen: So hätte sich der Leser mehr Informationen zu Alma-Tademas Maltechnik (von Barrow nur gestreift: 79, 137) oder zu den vom Maler für einzelne Gemälde eigens entworfenen und mit Versen versehenen Rahmen gewünscht (95, 152). Sind diese verloren? Abgebildet sind sie jedenfalls nicht.

Der Katalog der großen Alma-Tadema-Retrospektive von 1996/97, an dem auch die Autorin maßgeblich beteiligt war, bleibt eine unverzichtbare Ergänzung [3]. Hier wird beispielsweise in zwei Aufsätzen der nationale und internationale Kontext solcher Gemälde beleuchtet; Barrows vereinzelte Bemerkungen vermitteln dazu kein einheitliches Bild [4]. Auch bezüglich der teilweise radikal angeschnittenen Bildausschnitte, der spannenden Beziehung des Malers zur Photographie und der schwindelerregenden Perspektiven in einigen Bildern informiert sich der Leser besser in dem Katalog. Für Einzelbildanalysen und die Entschlüsselung der Polyvalenz vieler Werke jedoch zieht man besser Barrows Buch zu Rate.


Anmerkungen:

[1] Jacques Thuillier: Peut-on parler d'une peinture "pompier"? Paris 1984, 52.

[2] Der Rezensentin lag diese, gegenüber der 2001 erschienenen Hardcoverversion unveränderte Paperback-Ausgabe vor.

[3] Edwin Becker; Edward Morris; Elizabeth Prettejohn; Julian Treuherz (Hg.): Sir Lawrence Alma-Tadema. Ausst.Kat. Liverpool, Walker Art Gallery; Amsterdam, Van Gogh Museum, 1996-97.

[4] Gérômes Werk wird beispielsweise übertrieben vereinfacht: "...Gérôme went on to concentrate on straightforward depictions of eroticism (Phryne Before the Tribunal) and bloodshed (Ave Caesar, Morituri te salutant)" (189). In diesem Zusammenhang vgl. die erhellende Charakterisierung von Gérômes 'Phryne' in: Helmut R. Leppien: "Genre im Kostüm". In: Ausst.Kat. Hamburg, Kunsthalle, 1984: Ein Hamburger sammelt in London. Die Freiherr J.H. von Schröder-Stiftung 1910, 38-51, 39-41. Obwohl Barrow auf Schröder als einem wichtigen Käufer von Alma-Tademas Werken verweist (52, 137, 140, 185) fehlt diese Publikation in der angegebenen Literatur.

Ekaterini Kepetzis