Kari Jormakka: Geschichte der Architekturtheorie, Edition Selene Wien 2003, 244 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-85266-197-1, EUR 18,60
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In der kunstgeschichtlichen Forschungsliteratur stellen deutschsprachige Publikationen zur Architekturtheorie eher ein Randgebiet dar, dementsprechend rar sind hier die Veröffentlichungen zum Thema. In den letzen 10 Jahren wurden hauptsächlich Bücher herausgegeben, die eine mehr oder weniger umfangreiche Sammlung von Primärtexten und deren Zusammenfassung beinhalten. [1] So bleibt das Standartwerk zu einer Geschichte der Architekturtheorie immer noch das gleichnamige Buch von Hanno-Walter Kruft, das mittlerweile 2004 in der fünften Auflage erschienen ist. [2]
Der Titel des vorliegenden Taschenbuchs "Geschichte der Architekturtheorie", verfasst von Kari Jormakka, suggeriert zwar, dass es sich hier um eine kompaktere Ausgabe von Hanno-Walter Krufts Buch handelt, doch beide Bücher haben nur den Titel gemeinsam. Kari Jormakka, Professor für Architekturtheorie an der TU Wien, will hier keine "gewöhnliche Geschichte der westlichen Architekturtheorie vom antiken Griechenland bis in die heutige Zeit" präsentieren, sondern möchte anhand weniger Beispiele zeigen, welche Qualitäten beziehungsweise ontologisch betrachtet Kategorien ein Bauwerk erfüllen musste, um in einer bestimmten Epoche als Architekturwerk anerkannt zu werden. Dabei kommt der Autor ohne eine größere Ansammlung von Primärquellentexten aus. Das Buch ist daher nicht, im Gegensatz zu den Büchern wie von Kruft und Neumeyer, als umfangreiche Anthologie zu verstehen. Der Verfasser gibt die Quellen, wenn überhaupt verwendet, nur mit wenigen sinngemäßen Worten wieder, ohne lange Passagen zu zitieren.
Einleitend geht Jormakka davon aus, dass die "Architekturtheorie kein Projekt mit einer narrativen oder kontinuierlichen Entwicklungslinie ist, sondern eine diskontinuierliche Verlaufsform besitzt, deren Positionen durch formale, theoretische und linguistische Fäden miteinander verwoben ist." (8).
Der Aufbau der Essays folgt zwar dem traditionellen kunsthistorischen Schema der aufeinander folgenden Zeitalter, doch werden hier die einzelnen Kapitel des Buches nicht mit Epochennamen überschrieben, sondern nennen eine "ontologische Position", die nach Annahme des Autors als signifikante Konzeption einem Gebäude innerhalb einer bestimmten Zeitperiode zu Grunde lag. So überschreibt das Wort "Ritual" zum Beispiel die Konzeption der römischen Architekturtheorie oder das Wort "Vernunft" die Zeitperiode von Claude Perrault bis Jean-Nicolas-Louis Durand. Die gesamte historische Zeitspanne von der griechischen Antike bis in das ausgehende 20. Jahrhundert wird somit in elf kurze Kapitel unterteilt.
Um diese kategoriale Einteilung nicht spekulativ oder effekthascherisch erscheinen zu lassen, erklärt der Autor in der Einleitung den methodologischen Ansatz seiner Untersuchung. Jormakka geht davon aus, dass "ein Objekt Architektur verkörpert, wenn sich von ihm aus ein Konzept konstatieren lässt, das für die Tradition der Architektur relevante Probleme anspricht."(16). Nach einer kunsttheoretischen Diskussion über die Methoden von Form und Stil, erscheint dem Verfasser der "ontologische Intentionalismus" als geeignetes Interpretationsprinzip für seine nachfolgenden Architekturbeispiele (27). Die einzelnen Architekturtheorien einer Zeit geben somit Auskunft über die Intention des Autors (Architekten) und tragen dazu bei, Kategorie und Kontext, innerhalb der ein Kunstwerk steht, zu bestimmen.
Das erste Kapitel widmet sich unter der Kategorie "Ordnung" der griechischen Architekturauffassung. Auf Grundlage der philosophischen Gedanken über eine Kunstästhetik - hier allen voran denen von Sokrates - die sich gegen eine Sinn gesteuerte Erfahrung und Beurteilung von Gegenständen wendet, untersucht Jormakka die griechischen Architektur auf ihre "antivisuelle Tendenz" hin. Diese äußert sich zum Beispiel in den "optischen Korrekturen", wie die kaum wahrnehmbare Überhöhung des Stylobats oder die Ausbildung der Entasis. Diese Ausformungen besitzen eher eine symbolische Bedeutung, als dass sie eine gezielte Maßnahme sind, um perspektivische Verzerrungen zu verhindern.
Im folgenden Kapitel interpretiert der Autor die römische Baukunst als "rituelle Architektur", in der "das architektonische Objekt eher als visuelle Kommunikationsform zwischen einem Sender und einem Publikum" verstanden werden muss (51). Diese These versucht Jormakka mit einer ikonologischen Interpretation des Pantheons zu untermauern.
Das nächste Kapitel beschäftigt sich mit der frühchristlichen Architektur, die nach dem Autor "eine Architektur der Inversion und der Umkehrung" darstellt (67). Während im vorangegangenen Kapitel die These vom Ritual noch konkret am einzelnen Objekt belegt werden konnte, bleibt hier eine genauere Ausführung der "Inversion" aus. Der Text kommt kaum über die übliche Beschreibung von Form und Symbolismus der angeführten Architekturbeispiele - Lateransbasilika, Baptisterium und Hagia Sophia - hinaus.
Die gesamte mittelalterliche und gotische Architektur wird unter der Kategorie "Kopie" beziehungsweise des Kopierens betrachtet. Dabei versteht Jormakka unter einer Kopie nicht die formelle Nachahmung, sondern die Duplizierung der wesentlichen architektonischen Merkmale des Originals (80). So wurde die Anastasis der Grabeskirche in Jerusalem oft nur durch einen geometrischen Verweis oder eine der Kopie werkimmanente Zahlensymbolik kopiert.
Im Kapitel "Proportion" beschränkt sich der Autor auf einen kurzen Abriss über den Kerngedanken der Renaissancetheoretiker, den menschlichen Körper als Maß einer Proportionierung anzunehmen und mithilfe mathematischer Verhältnisse umzusetzen.
Die nachfolgenden beiden Kapitel analysieren die verschiedenen Architekturströmungen im Zeitalter des Barock. Während auf der einen Seite unter der Kategorie "Illusionismus" diejenigen Architekturtheorien subsumiert sind, die eher - wie das Wort schon suggeriert - auf einer optischen Konzeption fußen, finden sich auf der anderen Seite unter der Kategorie "Vernunft" die Entwicklungslinie, die durch den aufkommenden empirischen Kritizismus beeinflusst ist - von Claude Perraults Begriff der "arbiträren Schönheit" bis hin zur Forderung nach einer "architecture parlante" durch Etienne-Louis Boullée und Claude Nicolas Ledoux. In diesen Kapiteln verlässt Jormakka die reine, am Objekt bleibende Architekturinterpretation und bietet eher einen Überblick über die philosophisch-sozialkulturelle Entwicklung Europas vom späten 16. bis hin zum frühen 19. Jahrhundert.
Die folgende Architekturtheorie des 19. Jahrhunderts wird unter der Kategorie des "Typ" nur kurz abgehandelt. Hier streift der Autor die Problematiken der Diskussion über die Antikennachahmung und der Typisierung (164).
Die drei letzten Kapitel des Buches, die sich mit der Entwicklung der Architekturtheorie im 20. Jahrhundert beschäftigen, nehmen mit knapp 40 Seiten ein Viertel des gesamten Buchumfangs ein. Basierend auf der Konzeption von August Schmarsow und Hermann Sörgel, "Raum" als ästhetisches Objekt und Wesen der Architektur anzusehen, widmet sich Jormakka in seinem gleichnamig postulierten Kapitel einer der einflussreichsten Architekturtheorien des frühen 20. Jahrhunderts. Auch hier referiert er eher die verschiedenen Auffassungen von Raum, als diese konkret an Objekten zu erläutern. Das vorletzte Kapitel versucht unter dem Wort "Zeichen" eine Analogie zwischen Linguistik und Architektur herzustellen, dabei verstricken sich die einzelnen Abschnitte in inhaltliche Zusammenfassungen semiotischer und syntaktischer Theorien. Höhepunkt ist hier die meines Erachtens nicht auslotbare 'Beziehung' zwischen Jacques Derridas Philosophien und den Entwürfen von Peter Eisenman (194-200). Im kurzen "Postskriptum" des Buches dagegen gelingt es Jormakka, die verschiedenen Tendenzen der Architekturtheorien der letzten 30 Jahre - hier vor allem der Postmoderne und des Dekonstruktivismus - kurz und nachvollziehbar zusammenzufassen.
Als Resümee lässt sich Folgendes festhalten: Versteht man dieses Buch von Kari Jormakka nicht als Interpretation oder Anthologie gängiger Architekturtraktate, so bleibt ein informativer Essay übrig, der, wenn auch größten Teiles gewollt, über die Architekturinterpretationen und Auffassungen verschiedener Epochen spekuliert. Seine Stärke hat der Text an den Stellen, wo die Theorie am Objekt festgemacht wird, dies trifft vor allem auf die erste Hälfte des Buches zu. Im Bezug hierzu wäre allerdings ein umfangreicheres Bildmaterial wünschenswert gewesen, das ja eventuell - wie so oft - aus rein wirtschaftlichen Gründen vonseiten des Verlages nicht realisiert werden konnte.
Anmerkungen:
[1] Hier sei besonders erwähnt: Fritz Neumeyer: Quellentexte zur Architekturtheorie. München-Berlin-London-New York 2002.
[2] Hanno-Walter Kruft : Geschichte der Architekturtheorie. 5. Aufl. München 2004.
Thomas Werner