Rezension über:

Uwe Mewes (Hg.): Katalog der mittelalterlichen deutschsprachigen Handschriften der ehemaligen Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg. Nebst Beschreibungen der mittelalterlichen deutschsprachigen Fragmente des ehemaligen Staatsarchivs Königsberg. Auf der Grundlage der Vorarbeiten Ludwig Deneckes erarbeitet von Ralf G. Päsler (= Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa; Bd. 15), München: Oldenbourg 2000, 286 S., 24 Abb., ISBN 978-3-486-56499-0, EUR 34,80
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Ralf G. Päsler: Deutschsprachige Sachliteratur im Preußenland bis 1500. Untersuchungen zu ihrer Überlieferung (= Aus Archiven, Bibliotheken und Museen Mittel- und Osteuropas; Bd. 2), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2003, 452 S., 2 Abb., ISBN 978-3-412-15502-5, EUR 44,90
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Rezension von:
Jelko Peters
Universität Siegen
Redaktionelle Betreuung:
Winfried Irgang
Empfohlene Zitierweise:
Jelko Peters: Mittelalterliche deutschsprachige Handschriften der ehemaligen Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg (Rezension), in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 9 [15.09.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/09/6996.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Mittelalterliche deutschsprachige Handschriften der ehemaligen Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg

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Die Erforschung der mittelalterlichen Literatur des Preußenlandes lag nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend brach. Erst die politischen Änderungen im Osten Europas und ein kritischer Blick auf die so genannte Deutschordensdichtung ermöglichten neue Zugänge zu diesen Texten. Von der Öffnung Osteuropas profitierten auch Ralf G. Päsler und Uwe Meves, die eine Beschreibung der mittelalterlichen deutschsprachigen Handschriften ehemaliger Bibliotheken und Archive Königsbergs vorlegen, und zwar der Staats- und Universitätsbibliothek (43-179), der Gottholdschen (181-188) und der Wallenrodtschen Bibliothek (189-197) sowie der deutschsprachigen Fragmente des Staatsarchivs Königsberg (199-208).

Die Erstellung dieses Handschriftenkataloges unterscheidet sich von den üblichen Beschreibungen eines Bibliotheksbestandes dadurch, dass die Geschichte der Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg am 6. April 1945 endete. Eine unbekannte Anzahl Handschriften ist verschollen, einige gelangten in den Bestand der Universitätsbibliothek Thorn/Toruń oder anderer Bibliotheken. Die Arbeit an der Beschreibung der Königsberger Bestände wurde darüber hinaus dadurch erschwert, dass für die Zeit bis 1945 kein wissenschaftlicher oder wenigstens vollständiger Handschriftenkatalog vorlag. Auf Grund der breiten Streuung der Bestände und der fehlenden Verzeichnisse mussten die Bearbeiter nicht nur eine Beschreibung der erhaltenen Handschriften der Königsberger Bibliotheken vornehmen, sondern auf der Basis vorhandener Beschreibungen und Veröffentlichungen zunächst ermitteln, welche Handschriften überhaupt zu deren Besitz gehörten: Der Katalog stellt also vornehmlich eine Rekonstruktion der Bestände dar. Als Ausgangspunkt und Grundlage diente den Bearbeitern vor allem das handschriftliche, zwischen 1935 und 1940 erstellte, aber auf Grund des Krieges nicht vollendete Verzeichnis des später berühmt gewordenen Grimm-Forschers Ludwig Denecke, der damals als Bibliothekar an der Handschriftenabteilung der Preußischen Staatsbibliothek in Berlin arbeitete.

In der Einleitung zum Katalog (11-25) werden knapp die Geschichte der Königsberger Bibliotheken referiert und die vorherigen Versuche der Handschriftenkatalogisierungen gewürdigt. Schließlich folgen die Erläuterungen der der Katalogisierung zu Grunde gelegten Materialien und der Anlage der Beschreibungen. Wegen der besonderen Arbeitsbedingungen waren keine spektakulären Handschriftenfunde zu erwarten, sondern allenfalls Neuentdeckungen. Tatsächlich konnten die Bearbeiter bei ihren Recherchen konstatieren, dass doch mehr Handschriften die Kriegswirren überstanden haben, als man weitläufig annahm.

Die katalogisierten Handschriften spiegeln das literarische Interesse der Bewohner des Preußenlandes, vornehmlich des Deutschen Ordens und der Städte, wider. Artusepik und Minnelieder sucht man also vergebens. Die Texte gehören vor allem zur Sachliteratur, vertreten durch die Bereiche Justiz, Geschichtsschreibung und Artes sowie die Theologie. Hervorzuheben sind Handschriften, deren erstmalige vollständige Edition geplant ist, wie die Übersetzung der "Catena aurea super Matthaeum" des Thomas von Aquin (72-75) und die "Christherre-Chronik" mit "Fortsetzung aus der Weltchronik" des Rudolf von Ems (76-78). Zu beachten sind außerdem die Handschriften, deren Edition aus wissenschaftshistorischen Gründen einer genauen Prüfung oder sogar Neuausgabe bedürfen, wie zum Beispiel das "3. Buch des Passionals" (79 f.), die "Paraphrase des Buches Hiob", Rudolfs von Ems "Barlaam und Josaphat" sowie "Daniel" (80-82), die Werke Heinrichs von Hesler (83-86), das "Buch Sidrach" (98 f.), Tilos von Kulm "Von siben Ingesigeln" (104 f.), die Mären Sibotes "Frauenzucht", Rüdegers von Munre "Irregang und Girregar" und Heinrich Rafolts "Der Nussberc" (106-108), die Texte des Nikolaus von Jeroschin (121 f.), die Deutschordensstatuten (122 f., 128-134), die ältere Hochmeisterchronik (125 f.), der "Alter Kulm" (146 f.) und das "Evangelium Nicodemi" (150 f.).

Auf Grund der breiten Streuung des Bestandes bleibt zu hoffen, dass noch weitere Funde den Katalog ergänzen werden. Darüber hinaus sollte die Germanistik den Katalog für ihre Forschungen nutzen und die wieder entdeckten Handschriften weiter untersuchen.

Wie anregend die Beschäftigung mit den Königsberger Handschriften sein kann, beweist die 1999 an der Universität Oldenburg eingereichte Dissertation Ralf G. Päslers, die er parallel zur Bearbeitung des Kataloges verfasste. Der Autor untersucht mit der Sachliteratur jenes Teilgebiet der überlieferten Texte des Preußenlandes, welches bisher die geringste Beachtung gefunden hat.

Seine Grundlagenstudie erweist sich in vielerlei Hinsicht als äußerst wertvoll. Päsler unterliegt nicht der Vorstellung von einer die gesamte Region bestimmenden Deutschordensliteratur, wie sie die Forschung bis Mitte der Neunzigerjahre vertrat, sondern geht von unterschiedlichen Produzenten und Rezipienten der Texte aus. Das literarische Leben im Preußenland wurde eben nicht nur von den Ordensrittern, sondern auch von den Bürgern und Geistlichen in den Städten und den wenigen Klöstern gestaltet. Infolgedessen richtet Päsler seinen Fokus konsequent auf die Region des Preußenlandes (15-32), wodurch seine Darstellung differenzierter und historisch zutreffender wird.

Nach einem Abriss der Bildungsgeschichte und des Buch- und Bibliothekswesens (47-82) folgt ein Verzeichnis der Handschriften zur deutschsprachigen Sachliteratur im Preußenland (83-220), das die Grundlage für seine weiteren Untersuchungen bildet. Ein umfangreicher Anhang, der unter anderem Auszüge aus den mittelalterlichen Bibliothekskatalogen des Deutschen Ordens und des Marienburger Treßlerbuches sowie Bibliotheksrepertorien zum Preußenland bietet, runden das Werk ab.

Vor dem Hintergrund der Überlieferung der Texte und der Forschungsliteratur geht Päsler genauer auf die Rechtsbücher (221-269), Geschichtsschreibung (269-302) und Artesliteratur (303-345) ein. In dem Verzeichnis und den Untersuchungen präsentiert er nicht nur eindruckvoll seine umfassenden Kenntnisse der Handschriften und Literatur; sondern es gelingt ihm darüber hinaus, zahlreiche Fehler, die die Forschung über Jahrzehnte tradiert hat, aufzudecken. Im Ganzen weist er nach, "dass die zu beachtende Literatur deutlich umfangreicher ist, als die bisherigen Literaturgeschichten zu erkennen geben" (347). Die weiteste Verbreitung fand demnach die Rechtsliteratur, gefolgt von der Ordenschronistik, während sich nur vereinzelte Textzeugen der Artesliteratur finden ließen. Allerdings ist zu beachten, dass der Verfasser sich auf die Sachliteratur beschränkt und die bekannten und teilweise weitverbreiteten religiösen Texte, wie die Bibeldichtung, das "Passional" oder das "Marienleben" des Bruder Philipp, außer Betracht lässt. Eine Untersuchung der Überlieferung dieser Texte im Preußenland steht noch aus. Deshalb sind an Päslers Gesamtbewertungen bezüglich der Quantität der Überlieferung der Handschriften Korrekturen und weitere Differenzierungen zu erwarten. Dennoch wird keine künftige Literaturgeschichte des Preußenlandes oder zur mittelalterlichen deutschen Sachliteratur auf dieses Werk verzichten können, dessen Wert sich vor allem im Detail zeigt. Päslers eindrucksvolle Grundlagenstudie lädt, wie der Königsberger Katalog, zu neuen Forschungen ein. Beide Bände lassen sich zu diesem Zweck durch ausführliche Register erschließen.

Jelko Peters