Jenny Strauss Clay: Hesiod's Cosmos, Cambridge: Cambridge University Press 2003, XII + 202 S., ISBN 978-0-521-82392-0, GBP 45,00
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Sympathisch wirkt gleich in den ersten Zeilen des Vorwortes das Eingeständnis von Jenny Strauss Clay, dass sie es einfach unmöglich findet, Wörter wie "conceptualize", "thematize" oder "problematize" zu verwenden. Sie will zeigen, dass Hesiods "Theogonie" und die "Werke und Tage" (im Folgenden: "Erga") eine Einheit bilden, indem sie den göttlichen und den menschlichen Kosmos umfassen. Im Mittelpunkt ihrer Ausführungen stehen daher die Beziehungen zwischen Göttern und Menschen in diesen Gedichten. Der historische Kontext und das kulturelle Milieu finden in ihren Interpretationen geringere Beachtung. Sie räumt ein, von der strukturalistischen Textanalyse beeinflusst zu sein, möchte sich aber keinesfalls auf eine bestimmte Methode festlegen oder die narrativen Elemente herunterspielen, die zum Verständnis der "Erga" bedeutsam sind.
In den beiden ersten Kapiteln bietet die Verfasserin einen allgemeinen Überblick über die beiden Dichtungen. Sie beschränkt sich hierbei nicht auf bloße Zusammenfassungen, sondern sucht auch die kompositorischen Prinzipien zu erklären. So deutet sie die "Theogonie" als Versuch des Dichters, den Kosmos der Götter als Produkt einer genealogischen Evolution und als Prozess einer Individuation mit dem Ziel der Formierung einer stabilen Ordnung unter dem Schutz des Zeus zu verstehen.
In der Übersicht über die "Erga" im 2. Kapitel will die Verfasserin vor allem die innere Dynamik in der Argumentation Hesiods erläutern. Sie verweist darauf, dass die "Erga" in erster Linie an Perses und in zweiter Linie an die "basilees" gerichtet sind. Da der Dichter diesen Adressaten keine Gelegenheit zur Antwort gebe, habe er gleichsam die Prärogative der "basilees" in der Verkündung von Schiedssprüchen übernommen, während Perses schweigend einer Unterweisung zuhöre. Nach der communis opinio soll Perses in einem früheren Streit ein größeres Erbe als Hesiod erhalten und dann intendiert haben, noch mehr zu gewinnen. Die Verfasserin bestreitet demgegenüber, dass es einen eindeutigen Beleg für eine Niederlage des Dichters im Streit mit dem Bruder gibt (34 f.). Es gehe hier nicht um ein Erbe, sondern um die Frage der richtigen Lebensführung, und es sei daher gar nicht Sache der "gabenverschlingenden basilees", hierüber zu entscheiden. Hiermit sucht sie zugleich die entscheidenden Unterschiede zwischen den beiden Dichtungen zu erklären: Die "Theogonie" präsentiere eine positive Entwicklung bis zur ewigen Herrschaft des Zeus, während in den "Erga" positiv und negativ zu bewertende Bedingungen für die menschliche Existenz dargestellt seien (48).
Die aus der Sicht Hesiods resultierenden unauflöslichen Spannungen zwischen dem göttlichen und dem menschlichen Kosmos erörtert die Verfasserin in den folgenden Kapiteln. Sie weist Hesiod eine bemerkenswerte Rolle in den Anfängen der Philosophiegeschichte zu, indem sie seine Deutung der Entstehung des Kosmos als Vorstufe zur Welterklärung der Vorsokratiker sehen möchte (49 f.). Hesiods Seinsordnung ist freilich von mythischen Vorstellungen geprägt. Die ionischen Naturphilosophen erschlossen demgegenüber neue Möglichkeiten der Erklärung des Seins. Hesiod versteht sich - wie die Verfasserin in anderem Zusammenhang selbst betont (57) - als Rezipient göttlicher Instruktionen. Die Frage der Vorsokratiker nach dem Ursprung und Wesen des Seins impliziert hingegen eine Lösung aus mythischen Bindungen. Dies ist kennzeichnend für einen neuen geistigen Aufbruch. Der Unterschied wird nicht zuletzt am Verständnis der "aletheia" deutlich. Hiermit wird in der "Theogonie" (v. 28) der 'Wahrheitsgehalt' der Erzählung der Musen bezeichnet. Demgegenüber konzipierten die Vorsokratiker nach Aristoteles (Metaphysik 984 b 10) die "physis ton onton", das heißt das Wesen, das Wassein des Seienden in seiner Gesamtheit als "aletheia".
Das Problem des Ursprungs der Menschheit in der Dichtung Hesiods sucht die Verfasserin in Kapitel 4 zu erläutern. Sie geht davon aus, dass die "Theogonie" durch das Medium der Musen gewissermaßen vom Olymp aus eine Sicht auf den Kosmos eröffnet und in den "Erga" "the human viewpoint" erläutert wird (80). Gelungen ist in diesem Abschnitt vor allem die Interpretation der Vorstellung Hesiods von der Dike als Geschenk des Zeus. Die Verfasserin verbindet dieses Thema mit der selbst gestellten Aufgabe des Dichters in den "Erga", die Gerechtigkeit zu stärken, damit die Hybris nicht ihr unheilvolles Werk vollenden kann.
Dass die beiden Versionen des Prometheus-Mythos in der "Theogonie" und in den "Erga" die poetische Vision eines Gegensatzes zwischen der Bestimmung der Götter und dem Schicksal der Menschheit bestätigen, zeigt die Verfasserin im folgenden Kapitel. Sie legt hier überzeugend dar, wie der Dichter in diesen Erzählungen dem Menschen eine dauerhaft problematische Position zwischen Gottheit und Tier zuweist. Die Menschheit kann hiernach ihrer schicksalhaften Zuordnung im Kosmos nicht entrinnen und eine ursprüngliche Glückseligkeit auch dann nicht wiederherstellen, wenn es ihr gelingt, eine finale Katastrophe zu vereiteln.
Auf der breiten Basis der skizzierten Ergebnisse ihrer Interpretationen analysiert die Verfasserin sodann die Rolle der Menschen in der "Theogonie" und die der Götter in den "Erga". Sie findet hiermit eine weitere Bestätigung ihrer Deutung des Weltbildes des Dichters, der das göttliche Prinzip und die Menschheit als die beiden Pole des Kosmos verstanden habe. Die stabile Ordnung der Götterwelt in der "Theogonie" sei als Gegenbild zur Instabilität des menschlichen Seins in den "Erga" konzipiert, und mit der Darstellung der Mischwesen vermittle Hesiod einen Eindruck von den Konsequenzen im Fall einer ungeordneten Welt.
In der Hesiod-Forschung werden generell die "Theogonie" und die "Erga" als thematisch aufeinander bezogene Dichtungen verstanden, in denen die Entwicklung und der erreichte Zustand der Welt erklärt werden sollen. Die Verfasserin hat darüber hinaus mit ihren feinsinnigen Interpretationen zu verdeutlichen versucht, dass Hesiod nicht nur aus unterschiedlicher Perspektive ein Gesamtbild der Seinsordnung entwerfen will und dabei auch auf altes Traditionsgut unterschiedlicher Provenienz zurückgreift. Sie vertritt zudem entschieden die Auffassung, dass der Dichter in mancher Hinsicht auch bereits vorausweist auf eine künftige Welterklärung durch die ionischen Naturphilosophen. Die Distanz zwischen Hesiod und den Vorsokratikern hat sie aber wohl unterschätzt. Gleichwohl ist es ihr gelungen, sowohl ein komplexes Thema in allgemein verständlicher Form einem breiteren Kreis von Adressaten zu vermitteln als auch für Experten einen zwar kurzgefassten, aber informativen und anspruchsvollen Anmerkungsapparat zu bieten.
Karl-Wilhelm Welwei