Stella von Boch: Jacob Burckhardts "Die Sammler". Kommentar und Kritik, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2004, 167 S., ISBN 978-3-422-06432-4, EUR 39,90
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Peter Betthausen: Georg Dehio. Ein deutscher Kunsthistoriker, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2004
Frank Zöllner: Sandro Botticelli, München: Prestel 2005
Julian Kliemann / Michael Rohlmann: Wandmalerei in Italien. Die Zeit der Hochrenaissance und des Manierismus. Aufnahmen von Antonio Quattrone und Ghigo Roli, München: Hirmer 2004
Manchen seiner besten Gedanken hat Jacob Burckhardt, der vielleicht Bescheidenste unter den großen Historikern des 19. Jahrhunderts, nur in der mündlichen Form der Vorlesung, im Vortrag, gar beiläufig im Brief geäußert. Als Ideal wissenschaftlicher Äußerung galt ihm jedoch das literarisch komponierte Buch. Wie skrupulös und anspruchsvoll Burckhardt war, wenn es um die argumentative Verknüpfung von Materialien und Gedanken zu einem großen wissenschaftlichen Werk ging, zeigt besonders sein Ringen um eine angemessene Darstellung der Kunst der italienischen Renaissance. Hieraus ging schließlich kein vollendetes Buch hervor, aber immerhin Burckhardts kunsthistorisches "Vermächtnis", die "Kunstgeschichte nach Aufgaben". Am weitesten vorangetrieben wurde dieses Projekt in den zwischen 1893 und 1896 verfassten Texten, die 1898 unter dem von Burckhardt autorisierten Titel "Beiträge zur Kunstgeschichte Italiens" aus dem Nachlass veröffentlicht wurden. Sie bestehen aus den Aufsätzen "Das Altarbild", "Das Porträt in der Malerei" und "Die Sammler". Mit dem letztgenannten Text beschäftigt sich jetzt die schon 1998 (!) eingereichte, von Martin Warnke betreute Hamburger Dissertation von Stella von Boch.
Burckhardts "Beiträge" sind innerhalb des Faches zunächst kaum rezipiert worden, wie von Boch in der Einleitung darlegt. Die große Ausnahme stellt Aby Warburg dar, der sein Buch zur "Florentinischen Bildniskunst" (1902), ausdrücklich als "Nachtrag" zu Burckhardts Porträt-Aufsatz verstanden wissen wollte. Im Vorwort gab der Hamburger Bankierssohn eine klarsichtige Beschreibung von Burckhardts Forschungsanliegen. Die "Beiträge", so Warburg, würden den Weg weisen zu einer "synthetischen Kulturgeschichte", indem "dem einzelnen Kunstwerke in seinem direkten Zusammenhange mit dem zeitgenössischen Hintergrund" nachgeforscht würde, "um die idealen oder praktischen Anforderungen des wirklichen Lebens als 'Kausalitäten' zu erfassen." Seit den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts hat man diesen Ansatz wieder entdeckt, zu einem Zeitpunkt, so wird man die Ausführungen von Bochs ergänzen dürfen, als sich das Fach für eine kulturwissenschaftliche Frageweise wieder zu öffnen begann. Doch Burckhardts Gründungsgedanken wurden gerade durch die nun breite Neulektüre der Schriften Panofskys und Warburgs verdrängt. Seit dem Ende der Achtzigerjahre hat sich dies etwas verändert. Vom Aufsatz über das Altarbild erschien eine erste, prächtig illustrierte englische Übersetzung, zu Beginn der neunziger eine italienische, ebenso von den anderen beiden Aufsätzen. Während in der Forschung der Aufsatz über das Altarbild verschiedentlich aufgegriffen wurde, war dem "gehaltvollsten Aufsatz" (von Boch über "Die Sammler") eine solche Rezeption bislang nicht beschieden. Als plausiblen Grund hierfür gibt von Boch an, dass der Text Burckhardts verdeckt worden ist von Julius von Schlossers gänzlich anders orientiertem Buch über "Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance" (1908).
In sorgfältiger Analyse des Sammler-Aufsatzes unternimmt es Stella von Boch, die Bedeutung dieses Textes zu belegen, indem sie den Leser über die biografische und problemgeschichtliche Einordnung auf jene Probleme hinführt, die gänzlich zu lösen sich der alte Burckhardt nicht mehr zugetraut hatte. Die Verfasserin kann sich auf beste Kenntnis der Manuskripte stützen, die sie sich als Mitherausgeberin der betreffenden Bandes der neuen Burckhardt-Werkausgabe erworben hat. [1]
Im Nachvollzug der Argumentation von Bochs wird klar, dass Burckhardt mit den "Beiträgen" nach eigenen Begriffen gewiss kein vollendetes literarisches Werk vorlegte, wenn das Manuskript auch vom Autor zur Veröffentlichung freigegeben war. Während der Text fortlaufend, ohne Überschriften verfasst ist, lässt sich über das erhaltene Inhaltsverzeichnis das relativ stringente Konzept der ersten Niederschrift nachvollziehen. Spätere Umarbeitungen, Ergänzungen und Streichungen zeigen allerdings, dass Burckhardt mit der immerhin angelegten Strukturierung des Materials in größere Sinnzusammenhänge nicht vollständig zufrieden war. Im Vordergrund stand denn auch nicht die weitere konzeptuelle Arbeit, sondern die übersichtliche Ordnung jener Materialien, die Burckhardt seit den fünfziger und Sechzigerjahren gesammelt hatte und die ihm offensichtlich für sich wertvoll genug waren.
Diese Materialen hätten in eben jenes Buchprojekt eingehen sollen, das in der ersten Ausgabe der "Kultur der Renaissance" (1860) noch angekündigt war als eine selbstständige Darstellung der Kunst der Renaissance. Dass es zur Realisierung nicht kommen sollte, lag an Burckhardts Zweifeln "über gewisse Principien der Eintheilung und sonstigen Behandlung", die ihn dazu bewegten, das zu "7/8 druckfertige Manuskript" noch Anfang der Sechzigerjahre zurückzuziehen. Die Zweifel waren grundsätzlicher Art. Sie betrafen jene Verbindung von "Kunst" und "Kultur", für die er später die verschiedenen Kategorien der Darstellung nach den "Mitteln und Kräften der Kunst", nach "Gegenständen", nach "Inhalten" und eben nach "Aufgaben" entwickelte. Was damit gemeint ist, lässt sich nur anhand der verschiedenen, je vorläufigen Versuche erschließen; und es mag wohl sein, dass sich Burckhardts Gedanken diesbezüglich noch bei der Abfassung der "Beiträge" weiterentwickelten, wie von Boch annimmt. Am einfachsten schien sich Burckhardt der Problemknoten im Feld der Architektur und Dekoration zu lösen. Dieser Teil des einst zurückgelegten Manuskriptes wurde noch zu Lebzeiten unter der Regie von Wilhelm Lübke publiziert. [2] Bei der Abfassung der späten "Beiträge" stellten dann die Arbeiten zum Altarbild und zum Porträt offenbar geringere Probleme, denn diese Stücke wurden ohne größere Korrekturen niedergeschrieben. Im Sammler-Aufsatz, der nicht die Geschichte einer Bildaufgabe oder einer Gattung behandelt, sondern auf die Beweggründe des "Bestellers", des "Sammlers" und die Intention des Künstlers zielt, war die Niederschrift schwieriger. Zuerst begonnen, wurde er als letzter fertig gestellt, wie von Boch in geringfügiger Revision der bislang geltenden Chronologie nachvollziehbar erwägt.
Hieraus mag man die Sonderstellung des Textes ableiten. Dennoch scheint es geboten, die drei Aufsätze trotz ihres etwas unterschiedlichen Charakters weniger isolierend zu lesen als dies von Boch vorschlägt, sondern stärker als Teilstücke eines Werks. Die von Burckhardt autorisierte Reihenfolge, die nicht der Reihenfolge der Abfassung entspricht, legt dies ebenso nahe, wie die Tatsache, dass alle drei Aufsätze um die eine große Idee Burckhardts kreisen: Die "Entwicklung des Individuums". Burckhardt gab im Sammleraufsatz denn auch weniger ein zuvor verfolgtes gattungsgeschichtliches Prinzip auf, als dass er einen neuen Standpunkt einnahm, um jene Frage nach der "Erwartung, die eine Gesellschaft an die Funktion des Kunstwerkes stellte" (79) in einem dritten Schritt neu zu beleuchten. So ließe sich sagen, dass alle drei Texte jene These Burckhardts von der sukzessiven Entwicklung des selbstbewussten modernen Individuums verfolgen, die in der "Cultur der Renaissance" formuliert war und deren Prüfstein ihm die Geschichte der Kunst sein sollte: "Das Altarbild" zeichnet die Geschichte der Emanzipation des künstlerisch Individuellen aus der kultischen Bindung des Bildes nach, der Porträt-Aufsatz thematisiert die Selbstreflexion des Individuums im Bild, "Die Sammler" schließlich umreißt die Entwicklung des individuellen Geschmacks, des "Privatgeschmacks", in der ästhetischen Praxis des Sammelns.
Erst in dieser Zusammenschau der drei Stücke wird die Bedeutung der "Beiträge" in ihrem ganzen Anspruch sichtbar. Sie repräsentieren den Schlussstein von Burckhardts kulturgeschichtlichem Lebensprojekt, das darauf abzielte, die Kunst der italienischen Renaissance als Höhepunkt und Resultat der abendländischen Kulturentwicklung zu verstehen (vergleiche zum frühen Ursprung der Idee von Boch 51). Für sich gelesen erweist sich der von Stella von Boch vorzüglich zum Verständnis aufbereitete Sammleraufsatz als ein wegweisender, wenn auch keineswegs widerspruchsfreier Versuch, die Entstehung jener Sammelkultur der Neuzeit zu beschreiben, die sich nicht mit Kuriosa verschiedenster Art befasst, sondern immer exklusiver mit visuellen Objekten, die in der Absicht produziert wurden, als "Kunst" betrachtet und gesammelt zu werden. Es ist ein zentraler Beitrag zur Vorgeschichte der Institutionalisierung von Kunst im Museum, die bisher wohl zu einseitig im Anschluss an Julius von Schlosser beschrieben worden ist.
Anmerkungen:
[1] Jacob Burckhardt Werke, Kritische Gesamtausgabe Bd. 6, Das Altarbild, Das Porträt in der Malerei, Die Sammler. Beiträge zur Kunstgeschichte von Italien, aus dem Nachlaß hrsg. von Stella von Boch, Johannes Hartau, Kerstin Hengevoss-Dürkop, Martin Warnke, München: C. H. Beck, Basel: Schwabe 2000.
[2] Jacob Burckhardt Werke, Kritische Gesamtausgabe Bd. 5, Die Baukunst der Renaissance in Italien. Nach der Erstausgabe der "Geschichte der Renaissance in Italien", hrsg. v. Maurizio Ghelardi: München: C. H. Beck, Basel: Schwabe 2000.
Hubert Locher