Abraham Mangon: Kurze doch wahrhafftige Beschreibung der Geschichte der Reformierten in Frankfurt. 1554-1712. Hrsg. u. kommentiert von Irene Dingel, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2004, 208 S., ISBN 978-3-374-02177-2, EUR 18,80
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Die strikt chronologisch angeordnete Geschichte der französisch-reformierten Gemeinde in Frankfurt am Main aus der Feder des Handelsmanns und Hobbyhistorikers Abraham Mangon blieb in ihrer Zeit handschriftliches Manuskript, wurde erst jetzt von Irene Dingel in die Druckerei getragen. Die fleißige Editorin hat zahlreiche Begriffserklärungen ("Praejudiz" als "Schaden"?) für Nichthistoriker und gelegentlich knappe historischen Erläuterungen hinzugefügt. Was sie in der Einleitung über den reichsrechtlichen Rahmen reichsstädtischer Kultausübung sagt, stimmt nicht ganz, der Reichsstädteartikel des Religionsfriedens sah nicht für "alle Reichsstädte" einen "bikonfessionellen Status" (15) vor, sondern lediglich für diejenigen, die einem solchen, hauptsächlich infolge des Augsburger Interims, 1555 gerade unterworfen waren, (nur) hier wurde dieser Zustand perpetuiert. Solche Petitessen können den sehr günstigen Eindruck von der Arbeit der Editorin nicht trüben.
Mangon greift bis ins Jahr des Thesenanschlags zurück, bietet also zunächst etwas Frankfurter Reformationsgeschichte. Wir erfahren von der Aufnahme der ersten wallonischen Glaubensflüchtlinge im Jahr 1554. Die reformierte Gemeinde wird nun rasch anschwellen (um 1600 gehören mit viertausend Personen zwanzig Prozent der Stadtbevölkerung den reformierten Niederländern zu), aber diese Wachstumsschübe mit ihren unvermeidlichen Verwerfungen sind nicht das Thema Mangons. Von den mutmaßlich vielfältigen Problemen der französischsprachigen, in den spanischen Niederlanden aufgewachsenen Menschen in ihrem neuen Lebensumfeld interessiert ihn nur ein einziges: die Veranstaltung eigener Gottesdienste.
Kaum hatten sich die ersten Wallonen in der Reichsstadt etwas eingewöhnt, da untersagte ihnen der Rat 1561 das Exercitium publicum ihres Glaubens. Die Französisch-Reformierten behalfen sich fortan mit Gottesdiensten "in Häussern und Gärten, auch [...] in einer Scheuren" (88), doch verbot der Rat der Stadt 1594 auch derartigen, auf demonstrative Öffentlichkeit verzichtenden Kultus. Im Jahr 1638 sicherte Graf Philipp Moritz von Hanau den frankfurtischen Französisch-Reformierten (es gab auch viele Deutsch-Reformierte in der Stadt, die Mangon indes nur Seitenblicke wert sind) vertraglich zu, calvinistische Gottesdienste im hanauischen Bockenheim besuchen zu dürfen. Schon der (wegen des Getrappels der Kutschenpferde akustisch eindrückliche) sonntägliche Auszug der französisch-reformierten Frankfurter war indes für viele Mitbürger eine unerträgliche Demonstration der Heterodoxität. Erst ein Dreivierteljahrhundert nach der Niederschrift des Mangonschen Manuskripts, im Jahr 1787, wird die Gemeinde das Exercitium religionis privatum in der Reichsstadt zugestanden bekommen, bis 1916 wird sie Französisch als Kirchensprache beibehalten.
Man kann Mangons Aufzeichnungen nicht als Geschichte der reformierten Glaubensflüchtlinge in Frankfurt lesen, die übrigens mehrere neue Darstellungen aufgearbeitet haben. Sein Fokus ist eng umrissen, er will den Anspruch der Französisch-Reformierten auf eigene Gottesdienste innerhalb der Stadtmauern erhärten, und er will, indem er die unentwegten Bemühungen der Altvorderen um das Exercitium religionis ausbreitet, mithin eine Kampftradition herbeischreibt, Mit- wie Nachwelt davon abhalten, dieses 'Erbe' leichtfertig preiszugeben und sich bequem ohne innerstädtischen Gottesdienst einzurichten. Mit anderen Worten: er will die Identität der Wir-Gruppe stärken und sie zu fortgesetzter Kampfbereitschaft anhalten. Was hierfür nicht taugt, taucht in Mangons "Geschichte" nicht auf.
Er verbeißt sich vielmehr in den immergleichen Kampf der Gemeinde für ihr Exercitium religionis, referiert ihre Gesuche und Lamentationen, die bösartigen Repliken der Lutheraner. Seine Themen sind "die anhaltende Paßion" (93) der kleinen verfolgten Schar und "blinder Eyffer" (58, 93) im undifferenziert schwarz gemalten feindlichen Lager, wo in nur geringer stilistischer Variationsbreite "der [scilicet lutherischen] Prediger liebloser Eyffer und der Consulenten verkehrte Politicq" (134) angeprangert werden. Gemeindeinterne Spannungen zwischen ökonomisch ungemein erfolgreicher Anpassung und trotziger kultureller Selbstbehauptung? - Klingen allenfalls in Bemerkungen wie der an, dass die Reformierten 1598 vielleicht, "wofern sie eines Sinns gewesen und in ein Horn geblasen hetten, weit favorabelere Resolution" in Sachen Gottesdiensterlaubnis erhalten hätten (114). Die sich vielfach überkreuzenden Konfliktlinien innerhalb der überdurchschnittlich heterogenen Frankfurter Bevölkerung (patrizischer Rat versus Zunftbürgertum, Zünfte versus zunftfreies Unternehmertum - gerade hierbei spielten die Niederländer, beispielsweise wegen ihres im Verlagssystem betriebenen Seidengewerbes, eine exponierte Rolle)? - Sind nur in Spurenelementen zu erahnen, wenn Mangon Vorwürfe seiner Lieblingsfeinde, des Rats und der lutherischen Prediger, referiert. So heißt es an einer Stelle, dass "die Frembden auff dem Marckt alles vertheuretn, in denen Zünfften Ungelegenheit machten" (62), oder: "wollen wie das Fett empor schwimmen" (160). Sogar über gemeindliche Organisationsstrukturen und "Kirchenzucht" (98) erfahren wir ziemlich wenig. Der Frankfurter Fettmilch-Aufstand schrumpft auf die Bemerkung ein, es sei 1614 "von der Cantzel abgelesen" worden, dass "diejenige der Unsrigen, so sich etwan bey dem Plündern eingefunden und mitgeraubt haben mögten, das Geraubte restituiren oder von des herren Nachtmahl ausgeschlossen seyn sollten" (143).
Frankfurter Stadtgeschichte also ist nur ganz schemenhaft zu erhaschen. Das Große und Ganze der deutschen Geschichte? - Der Augsburger Religionsfrieden wird zum ersten Mal unter der Rubrik "Anno 1651" erwähnt, weil er in einer Eingabe dieses Jahres vorkommt (160). Selbst die Jahre des Dreißigjährigen Krieges präsentieren sich als die immergleiche Abfolge von Eingaben wegen der Gottesdiensterlaubnis, der längst ermüdete Leser ist schon froh, dass sich die Zeitumstände in der Notiz niederschlagen, die Gemeinde habe Armenspeisungen organisiert (148). Dass die Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 zigtausende von Glaubensflüchtlingen nach Frankfurt spülte, wird von Mangon mit keinem Wort erwähnt, es hat für ihn eben nichts mit der Gottesdiensterlaubnis zu tun. Auch theologiegeschichtlich sind seine Aufzeichnungen ganz unergiebig, Pietismus oder Aufklärung kommen nicht vor. Wer den ungemein sorgfältig edierten Text trotzdem liest, wird ihn als Versuch interessant finden, durch selektiv zusammengestellte "Geschichte" eine bedrohte Gruppenidentität zu stabilisieren.
Axel Gotthard