Martin Ostwald: Oligarchia. The Development of a Constitutional Form in Ancient Greece (= Historia. Einzelschriften; Heft 144), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2000, 96 S., ISBN 978-3-515-07680-7, EUR 28,00
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Der amerikanische Althistoriker und klassische Philologe Martin Ostwald - 1922 in Dortmund geboren und nach der 'Reichspogromnacht' aus Deutschland aufgrund seiner jüdischen Herkunft geflohen [1] - hat nach mehreren wichtigen Studien zur griechischen Verfassungs- und politischen Ideengeschichte [2] im Jahre 2000 eine Monografie vorgelegt, die einem zentralen Phänomen der griechischen Geschichte gewidmet ist, welches aber überraschenderweise für lange Zeit nicht die ihm zustehende Aufmerksamkeit seitens der modernen Forschung erhalten hat: Die Rede ist von der Oligarchie. Zielsetzung des Buches ist es ausdrücklich nicht, eine Untersuchung einzelner Oligarchien in der griechischen polis-Welt vorzulegen, wie dies seinerzeit Leonard Whibley in seinem immer noch wichtigen Buch über Charakter und Organisation griechischer Oligarchien Ende des 19. Jahrhunderts getan hat. [3] Ostwalds Zielsetzung ist es vielmehr, Whibley's typologisch orientierte Studie mit einer Untersuchung der Wahrnehmung und Einschätzung von Oligarchie durch die Griechen von der frühklassischen Zeit bis hin zu Aristoteles zu komplementieren.
Bei diesem Unterfangen konzentriert sich Ostwald auf die Analyse einiger zentraler Autoren beziehungsweise Quellenpassagen. Im Vordergrund stehen Texte von Pindar, Herodot, Thukydides, Platon und Aristoteles; der Schwerpunkt der Ausführungen liegt dabei eindeutig auf Platon sowie vor allem Aristoteles - diesen beiden Autoren sind mehr als zwei Drittel des Buches gewidmet.
Ostwald stellt seinen Untersuchungen zur Oligarchie ein kurzes Kapitel unter dem Titel "Constitutions: Early Classifications" voraus (12-20), in dem er frühe antike Klassifizierungen von Verfassungen einer Betrachtung unterzieht. Ausgangspunkt ist dabei die 'klassische' Unterteilung von Verfassungen in drei Grundtypen - nämlich die Herrschaft des Einen, der Wenigen und der Vielen -, die Ostwald als ein ebenso spezifisch wie originär griechisches Phänomen erachtet. Die Etablierung dieser Dreiteilung ist für Ostwald nicht zuerst in der berühmten und viel diskutierten herodoteischen Verfassungsdebatte im dritten Buch seiner 'Historien' nachweisbar (Hdt. 3,80-82), sondern bereits in der zweiten 'Pythischen Ode' Pindars (Pind. P. 2,86-88) erstmals greifbar, die dreißig bis vierzig Jahre vor der Abfassung der 'Historien' Herodots in die Zeit um 470 vor Christus datiert. Auch im pindarischen Text soll aber nach Ostwald bereits keine 'invention' des Autors vorliegen; vielmehr handele es sich um einen überkommenen Reflex vergangener Zustände, die in der auktorialen Gegenwart nurmehr in der Erinnerung präsent gewesen seien. Zu den einzelnen prononcierten Ausführungen Ostwalds zu Pindar und Herodot könnte gerade vor dem Hintergrund der umfangreichen Forschungsdiskussionen viel geschrieben werden - diese Erörterungen würden aber von Ostwalds Hauptuntersuchung wegführen. Zu konstatieren ist, dass trotz der Forschungslage Ostwald einige neue Punkte und Beobachtungen in die Diskussion einbringt, die im Einzelnen jedoch durchaus als kontrovers zu erachten sind. [4]
Einer der zentralen Punkte der Arbeit von Ostwald ist die Entwicklung der Oligarchie als ideologische Opposition der Demokratie, der der Autor sein zweites Kapitel ("The Rule of a Few and Ideology", 21-30) widmet und die er zeitlich im Peloponnesischen Krieg verortet und historisch kontextualisiert. Zu Recht verweist der Autor auf den Umstand, dass es vor allem Athen war, das die Perspektive auf oligarchische Herrschaften geprägt hat - und zwar vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Jahre 411 und 404, die sich in zahlreichen Texten des vierten Jahrhunderts widerspiegeln. Über Oligarchien in anderen griechischen Städten - wie beispielsweise Theben und Megara - und ihre institutionelle Ausgestaltung ist wegen der Quellenlage kaum etwas bekannt. Grundsätzlich besteht das Problem, inwieweit Athen nicht aufgrund der Umstände der jeweiligen Genese der beiden Oligarchien der Jahre 411 und 404 als 'untypisches' Beispiel dieser Herrschaftsform anzusehen ist.
Ein kurzes drittes Kapitel ist Platon und seinen zentralen Aussagen in seinen Schriften 'Politeia', 'Gesetze' und 'Staatsmann' zur Oligarchie als Bestandteil der Verfassungstypologie gewidmet ("Philosophical Revaluation: Plato", 31-35). Ostwald hebt hervor, dass für Platon die 'Aristokratia' als Herrschaft der Besten (im ethischen Sinne) der 'Oligarchia' als Herrschaft der Wenigen, basierend auf Reichtum, entgegengesetzt ist. Als einen wesentlichen Gesichtspunkt der platonischen Definition der Oligarchie wird seine Verwandtschaft mit Mitgliedern der Herrschaft der 'Dreißig' im Jahre 404 extrapoliert.
Auf das Platonkapitel folgt der eigentliche Kern von Ostwalds Buch - seine Auseinandersetzung mit Aristoteles, die sich in zwei Kapitel unterschiedlicher Länge gliedert: "Theory and Practice: Aristotle" (37-40) und "The Oligarchical Citizen in Aristotle" (41-75) - ein Kapitel, das in mehrere Unterkapitel unterteilt und nahezu ausschließlich auf aristotelische 'Politik' fokussiert ist. Die Ausführungen von Ostwald zu "Theory and Praxis: Aristotle" stellen einen kurzen Vorspann zum Thema Aristoteles dar. Ausgangspunkt bilden einige kurze Bemerkungen zur aristotelischen 'Rhetorik'. Daran anschließend wendet sich Ostwald der 'Politik' zu. Seinen Fokus richtet der Autor hier zunächst auf das bekannteste aristotelische Verfassungsschema in der 'Politik', das eine Mischung aus "historical reality" und "theory" darstelle und stark auf Platons 'Staatsmann' (Plat. polit. 297c-303b) basiere, respektive von diesem beeinflusst sei. Doch gerade an diesem wichtigen Punkt fehlt eine tiefergehende Analyse - es bleibt allein bei der Konstatierung.
Im sich daran anschließenden Kapitel über den oligarchischen Bürger bei Aristoteles ("The Oligarchical Citizen in Aristotle", 41-75) folgt eine Exegese von Passagen aus der aristotelischen 'Politik', die für die Beschäftigung mit der Oligarchie von Relevanz sind. Dass Ostwald dabei ein Kompendium aristotelischer Aussagen zum Oligarchen vorlegt, ist für den Leser zweifelsohne von Nutzen. Und zu Recht steht der Aspekt des Reichtums im Zentrum der Analyse, da dieser das Konstituens des Oligarchen nach Aristoteles darstellt. Auch die einzelnen Unterkapitel stellen je für sich genommen präzise Auseinandersetzungen mit dem aristotelischen Text dar - was jedoch ein Desiderat darstellt, ist die Berücksichtigung des historischen Kontextes sowie die Überwindung der reinen Textimmanenz. So aber verbleibt Ostwald leider sehr stark auf einer rein deskriptiven Ebene - was andererseits wiederum eine Stärke des Buches ausmacht: Hier findet man äußerst materialreich den Oligarchen, respektive den oligarchischen Bürger, nach Aristoteles präsentiert.
Das Buch beschließen eine knapp gehaltene Bibliografie (77-80) sowie ein "General Index" (81-85), ein "Index Locorum" (86-94) und ein "Greek Index" (95-96). Gewünscht hätte sich der Leser am Ende von Ostwalds anregendem Buch eine Zusammenfassung. Zu hoffen ist, dass auf diese von Ostwald selbst zunächst als "introduction to an extended study of oligarchical states in ancient Greece of the classical period" (7) intendierte Monografie des Autors das eigentlich geplante Opus über die Oligarchie im klassischen Griechenland folgen möge. Und so plausibel die Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes auf das klassische Griechenland ist, so wünschenswert wäre es, dass der Blick zukünftig auch den Hellenismus mit einbezöge. Ostwalds unbestreitbares Verdienst ist es aber, die Oligarchie mit seinem Buch wieder stärker in den Fokus der Forschung gerückt zu haben.
Anmerkungen:
[1] Zur Biografie von Martin Ostwald sei auf das 'Preface' in Ralph M. Rosen / Joseph Farrell (Hg.), Nomodeiktes. Greek Studies in Honor of Martin Ostwald, Ann Arbor 1993, xi-xviii verwiesen.
[2] Vgl. unter anderem Martin Ostwald: Nomos and the Beginnings of the Athenian Democracy, Oxford 1969; ders.: Autonomia. Its Genesis and Early History, Chico, CA 1982; und ders., From Popular Sovereignity to the Sovereignity of Law: Law, Society and Politics in Fifth-Century Athens, Berkeley 1986.
[3] Leonard Whibley: Greek Oligarchies. Their Character and Organisation, New York / London 1896.
[4] Verwiesen sei an dieser Stelle allein auf zwei Aspekte: Im Zusammenhang mit den Ausführungen zu Pindars zweiter 'Pythischer Ode' wäre eine Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich um ein Epinikion für den Tyrannen Hieron von Syrakus handelt, sicher gewinnbringend gewesen; vgl. dazu beispielsweise Christian Mann: Athlet und Polis im archaischen und frühklassischen Griechenland (= Hypomnemata; 138), Göttingen 2001, 248-253). Der andere Punkt bezieht sich auf die herodoteische 'Verfassungsdebatte' der sieben persischen Verschwörer nach der Ermordung der Mager - historisch im Jahre 522/521 vor Christus zu verorten - und die Frage der Historizität dieser Erörterung in Sachen Verfassung, für die Ostwald plädiert. Ostwald vergemeinschaftet mit Hdt. 3,80-82 eine Passage aus dem sechsten Buch von Herodots 'Historien' (Hdt. 6,43,3), in der es um die Etablierung von Demokratien anstelle von Tyrannenherrschaften in den ionischen Städten durch den persischen Feldherren Mardonios im Jahre 492 geht. Herodot spricht an dieser Stelle explizit davon, dass Mardonios' Handeln eine Bestätigung des Vorschlages eines der persischen Granden sei, der im Rahmen der Verfassungsdebatte seinerzeit die Einführung der Demokratie vorgeschlagen haben soll. Herodot arbeitet hier mit dem logischen Instrument des Analogieschlusses, um die Glaubwürdigkeit seiner Darstellung im dritten Buch zu demonstrieren (siehe Nino Luraghi: Local Knowledge in Herodotus' Histories, in: ders. (Hg.): The Historian's Craft in the Age of Herodotus, Oxford 2001, 138-160, hier 142-143). Es erscheint von daher nicht angebracht, die beiden Passagen als Belege für die Historizität der 'Verfassungsdebatte' in der Weise aufzufassen, wie Ostwald dies tut.
Matthias Haake