Michael R. Hayse: Recasting West German Elites. Higher Civil Servants, Business Leaders, and Physicians in Hesse between Nazism and Democracy, 1945-1955 (= Monographs in German History), New York / Oxford: Berghahn Books 2003, XI + 287 S., 6 charts, 8 tables, ISBN 978-1-57181-271-1, GBP 40,00
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Die Anfänge der Bundesrepublik Deutschland sind mittlerweile historisch gut erforscht. Dabei ist im Laufe der Jahrzehnte der Erfolg der zweiten Demokratiegründung in Deutschland stärker in den Vordergrund getreten als die Kritik an bestimmten Entwicklungen, die in der Vergangenheit nicht selten im Restaurationsvorwurf gipfelte. Die Anhänger dieser These verwiesen insbesondere auf eine als gescheitert angesehene Entnazifizierung und eine Personalpolitik, die ehemaligen NSDAP-Mitgliedern die Fortsetzung ihrer Karrieren in der Bundesrepublik ermöglichte.
Hier setzt die Arbeit von Michael R. Hayse ein, die auf einer Dissertation basiert, die von der Universität von North Carolina in Chapel Hill angenommen worden ist. Die Zusammensetzung des von ihm untersuchten Personenkreises ist ungewöhnlich und bedarf ebenso der Begründung wie die Wahl des Landes Hessen als Untersuchungsgebiet. Hayse erkennt selbst an, dass das Sample Höhere Beamte, Unternehmer und Ärzte als unorthodox erscheint, hält sein Vorgehen aber gleichwohl für sinnvoll, da es sich bei allen drei Gruppierungen um einflussreiche Berufsgruppen handelt, die zu den sozialen Eliten zählten. Hessen hat Hayse ausgewählt, um auf dem Weg einer geografischen Konzentration eine detailliertere Analyse zu erstellen. Hessen biete sich vor allen Ländern deshalb an, weil es fast eine Bundesrepublik im Kleinen darstelle, jedoch mit der Abweichung, dass es über Jahrzehnte durch eine von der SPD geführte Landesregierung regiert wurde.
Hayse hat für sein Werk Quellen aus dem Bundesarchiv, aus den U.S. National Archives und vor allem aus hessischen Archiven herangezogen. Gegliedert ist das Werk in fünf große Kapitel, in denen das Gesamtthema unter jeweils verschiedenen Perspektiven behandelt wird. Die Untersuchung beginnt in Kapitel 1 mit dem Jahr 1945 unter der Überschrift "Mitschuld und Ernüchterung". In Kapitel 2 setzt sich Hayse mit dem Wandel und der Kontinuität in der Zusammensetzung der drei Gruppen bis 1955 auseinander, in Kapitel 3 wird die rechtliche Restrukturierung und professionelle Reorganisation diskutiert. In Kapitel 4 wendet sich Hayse der Entnazifizierung und ihre Folgen zu und beschließt seine Darstellung in Kapitel 5 mit Betrachtungen über das "neue" Personal und dessen berufliche Weltsicht.
Die Ergebnisse der Studie sind nicht gänzlich neu, verdienen aber doch durchaus Beachtung, da Hayse insgesamt sehr differenziert die Probleme zu erörtern vermag und zu einsichtigen Schlussfolgerungen gelangt. So ist er davon überzeugt, dass die Nachkriegswirklichkeit - bezogen auf Personen und Institutionen - stärker durch Wandel als durch Beharrung gekennzeichnet gewesen sei. Für die Beschreibung der damaligen Zustände hält er insbesondere den Traditionsbegriff für angebracht. Die Tradition habe - so der Autor - über die Reform gesiegt; dies habe jedoch nicht zu einer Restauration geführt, da die Tradition in einem Gegensatz zum Nationalsozialismus gestanden habe.
Ebenso deutlich fallen die Urteile über die Entnazifizierung aus. Sie sei zwar an ihrer ursprünglichen Zielsetzung gemessen gescheitert - gleichwohl habe es keine Renazifizierung der Eliten gegeben, da keine Nationalsozialisten in die neuen Stellungen eingerückt seien, sondern lediglich "ehemalige" Nationalsozialisten. Hayse wendet sich zudem entschieden dagegen, von der Kontinuität der Personen auf die Kontinuität des Denkens zu schließen, und verweist in diesem Zusammenhang auf die Ergebnisse seiner Studie, die belegen, dass sich trotz hoher struktureller und auch personeller Kontinuität andere politische und gesellschaftliche Vorstellungen in den von ihm untersuchten Gruppierungen durchgesetzt hätten. Letztlich glaubt Hayse, das Erfolgsrezept für die Stabilität der Bundesrepublik darin erblicken zu können, dass es 1945 keinen abrupten Bruch mit der Vergangenheit gegeben, sondern die Kontinuität der Eliten einen allmählichen Wandel ermöglicht habe.
Udo Wengst