Susanna Burghartz / Maike Christadler / Dorothea Nolde (Hgg.): Berichten, Erzählen, Beherrschen. Wahrnehmung und Repräsentation in der frühen Kolonialgeschichte Europas (= Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit; Bd. 7 (2003), Heft 2/3), Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann 2003, 479 S., ISBN 978-3-465-03276-2, EUR 32,00
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Dorothea Nolde / Claudia Opitz (Hgg.): Grenzüberschreitende Familienbeziehungen. Akteure und Medien des Kulturtransfers in der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008
Maike Christadler: Kreativität und Geschlecht. Giorgio Vasaris 'Vite' und Sofonisba Anguissolas Selbstbilder, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2000
Susanna Burghartz (Hg.): Inszenierte Welten - Staging New Worlds. Die west- und ostindischen Reisen der Verleger de Bry, 1590-1630, Basel: Schwabe 2004
Probleme der Wahrnehmung und Repräsentation haben sich zum übergreifenden Thema all jener Disziplinen entwickelt, die sich im weitesten Sinne mit der europäischen Expansion und deren Folgen auseinandersetzen. Seit dem Erscheinen von Edward Saids "Orientalism" im Jahre 1978 haben immer wieder radikal herausfordernde und nicht immer unproblematische Thesen und Ansätze eine Diskussion geprägt, für die unter anderem Namen wie Gayatri Spivak, Homi Bhabha oder Gananath Obeyesekere stehen. Hier zu Lande haben diese Debatten deutlich niedrigere Wellen geschlagen; die Zahl der geografische wie disziplinäre Grenzen überschreitenden Aufsatzsammlungen ist unverhältnismäßig klein. Mit "Berichten, Erzählen, Beherrschen" wird sie allerdings um ein wichtiges, spannendes und international anschlussfähiges Exemplar ergänzt. Der Band geht zurück auf eine im April 2002 an der Universität Basel veranstaltete Tagung, die von den Herausgeberinnen im Rahmen des dortigen Forschungsprojektes "Translating Seen into Scene" ausgerichtet wurde. Neben einer Erstedition umfasst der Sammelband 13 deutsch- und englischsprachige Aufsätze aus Kunstgeschichte, Ethnologie, Literatur- und Geschichtswissenschaften.
Die Projektleiterin Susanna Burghartz geht einleitend auf dekonstruktivistische Grenzziehungen zu älteren "ideologiekritischen" Ansätzen ein. Die Annahme einer fundamentalen Undurchschaubarkeit von Quellen beziehungsweise Diskursen im Hinblick auf die Wirklichkeit(en) des je Differenten, liefe Gefahr "die Dominanzbehauptung" eben jener Diskurse "zu wiederholen" (167). In Anlehnung unter anderem an die neuere Ethnologie setzt sie sich für eine Perspektive ein, die "Vielstimmigkeit", "Interferenz" und "Koexistenz von Differentem" in eine "Pragmatik des Übersetzens" überführe - auch wenn die Wahrnehmung von Indigenen beziehungsweise Nicht-Europäerinnen und Nicht-Europäern im Großteil der Überlieferung allein als "Spuren, Echos oder Schatten" (168) aufzufinden seien.
Unter der Überschrift "Kontrastierende Stimmen" diskutieren die vier Aufsätze des ersten Hauptteils solche Zugänge explizit. Gefahren und Grenzen allzu simpler Opfer-Täterschematisierungen spricht der Literaturwissenschaftler Hartwig Isernhagen an, um dagegen Richard Whites Konzept des "middle ground" zu setzen. Dieses sei geeignet, "to recover the messiness of history" (179), indem es eine Zone des "in-between" (179) umschreibe und darin die Denkbarkeit von Verhandlungen, von Austausch beziehungsweise Anpassung - die Pluralität von Differenzen, Grenzen, Machtformen et cetera - einschließe. Gerne hätte man auch etwas über die Grenzen dieses wichtigen, aber wohl nicht in jedem Kontext erfolgreich einzusetzenden Analyseinstruments erfahren.
Natalie Zemon Davis stellt inter- und transkulturelle Produktion von Repräsentationen als einen Prozess vor, in dem Botschaften von mehreren Seiten "ausgesandt", zugleich aber verändert und reorganisiert wurden. Das Interesse der Historikerin gilt dem arabischen Gelehrten und Diplomaten al-Hasan / Leo Afrikanus, dem Algonkin Etienne Pigarouich, dem ehemaligen Diplomaten und späteren Sklaven Gustavus Vassa sowie der Sklavin Mary Prince. Trotz der Unterschiede in Zeit und Raum verbinde diese "privileged speakers" (219), dass sie mit europäischen Zuhörerinnen und Zuhörern, Protokollantinnen und Protokollanten sowie Leserinnen und Lesern über den Graben von Macht und Differenz hinweg in einem ambivalenten, mehrdeutigen Gespräch blieben, sich selbst und die "Anderen" ständig neu erfanden, aber auch Wissen und Meinungen zurückhielten.
Mit dem Verhältnis von "Konstruktion" und "Erfahrung" schneidet der Historiker Kaspar von Greyerz eine Erkenntnisfrage an, deren Problematik seit einigen Jahren kontrovers diskutiert wird. Gegen Thesen von einer rein diskursiven Produktion des "Subjekts" beziehungsweise von Erfahrung führt von Greyerz Körper- und Schmerzerfahrung ins Feld. Seine Interpretationen zweier Selbstzeugnisse des 16. und 17. Jahrhunderts weisen zwar keinen Bezug zur "neuen Welt" auf, zeigen aber, dass deutlich unterschiedliche Grade der Bezugnahme und der Übernahme von tradierten Wissensbeständen denkbar waren.
Ebenfalls am Beispiel Vassas beleuchtet Jonathan Elmer Probleme der Authentizität dargestellter Erinnerungen. Anstatt sich auf eine vermeintlich unumgängliche Entscheidung zwischen Glaubwürdigkeitspostulat und dem Verdikt der Nicht-Repräsentierbarkeit des Traumatischen einzulassen, begreift der Literaturwissenschaftler die unaufhebbare Gleichzeitigkeit derartiger Gegensätze als Kennzeichen der Moderne. Die von Gustavus Vassa verfasste "Interesting Narrative" deutet Elmer vor diesem Hintergrund als eine Art moderne Ursprungserzählung; der schwarze Autor thematisiere explizit Ambiguitäten, Risiken und Kontingenzen von erzählter Erfahrung, ohne deshalb die zugleich "traurige" und "angenehme" Aufgabe des Erinnerns zurückzuweisen (261).
Die mit dem Titel des zweiten Teils angesprochene Aufforderung, Repräsentationen auf ihre "schillernde[n] Markierungen" zu befragen, löst der Beitrag von Johann Verberckmoes über das "Amerindian laughter" auf mehreren Ebenen ein. Auf breiter und mehrsprachiger Quellenbasis arbeitet der Historiker Kontexte und Funktionsweisen des Gelächters von sowie des Gelächters über indigene Figuren in einer Fülle europäischer "Erzählungen" heraus. In Verberckmoes überzeugender Lektüre treten die Quellen als Ausdruck und Medium der Spannungen und Widersprüche hervor, die mit der aggressiven "Horizonterweiterung" einhergingen.
Viktoria Schmidt-Linsenhoff widerlegt die in der Kunstgeschichte verbreitete Annahme, nach der bestimmte Bilder von Indigenen des Niederländers Albert Eckhout und anderer Künstler in ihrer Detailgenauigkeit und Differenziertheit erste Exempel einer "rationalen" beziehungsweise "realistischen" Präsentation von Nicht-Europäerinnen und Nicht-Europäern darstellten. Indem die Portraits des Malers jedwede Körper-Spur historisch realer Gewalt, Sklaverei und Unterdrückung tilgten, antizipierten sie die "Vision einer Kolonie mit freien Afrobrasilianern" (297). Die einigermaßen gewagte These vom "kolonialen Gegendiskurs" (286) erscheint aus der Detailargumentation nicht ganz unwahrscheinlich, wäre aber ausführlich gegen den nahe liegenden Verdacht der Beschönigung zu diskutieren.
"Transformationen und Projektionen" ist der dritte Teil des Bandes überschrieben. Margaret Bridges analysiert die Ende des 16. Jahrhunderts zuerst publizierten "Principall Navigations" von Richard Hakluyt, der aus den unterschiedlichsten Erzähltypen über und von englischen Reisenden eine noch heute populäre Anthologie der Geschichte Englands als Handels- und Entdeckernation konstruierte. In einer Art "Kolonisierung der Vergangenheit", so die Literaturwissenschaftlerin, partizipiere das Werk an der Herstellung eines kollektiven Kolonialsubjekts, das sich statt am Konzept der "Christianitas" an dem der Nation zu orientieren begann.
Aus kunstgeschichtlicher Perspektive interpretiert Hildegard Frübis das Motivrepertoire protestantischer und katholischer Autoren des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts, die auf die Erschütterung der Bibeltradition durch die "Entdeckungen" der "neuen Welt" reagierten. Während protestantische Autoren Amerika als erneute Offenbarung der Schöpfung und Heimstatt für Religionsflüchtlinge sahen, drückten sich auf habsburgischer Seite allein machtpolitische und missionarische Ansprüche aus - eine recht scharfe Gegenüberstellung, die für andere Bild- und Schriftzeugnisse zu überprüfen wäre.
Als Erstedition legt der Literaturwissenschaftler Christian Kienig eine um 1520 in Italien zum ersten Mal publizierte, populär gestaltete "Reisebeschreibung" vor, deren Held angeblich im Auftrag des spanischen Königs auf einer geografisch nicht einzuordnenden "Isola de loro" landete. Wie zahlreiche vergleichbare Texte sei der "Viaggio" gekennzeichnet durch scharfe narrative Brüche sowie Verknüpfungen kultureller Versatzstücke aus altem und neuem Wissen. Auffallend sei, in welchem Maße die Hoffnung auf Gold mit der Suche nach einem Ort unverfälschter Christlichkeit einhergehe.
Den mit "Formierung von Blicken" betitelten letzten Teil leitet der Kunsthistoriker Henry Keazor ein, der sich Selbstbildnissen Theodor de Brys widmet, des berühmten Verlegers zahlreicher "Berichte" über die "neue Welt". In textlichen und bildlichen Attributen habe de Bry zwischen der gelehrten Bezugnahme auf die expandierende "äußere Welt" und der "inneren Welt" Parallelen gezogen und so sich selbst, aber auch die Bedeutung der "Entdeckung", für seine Selbstkonzeption neu entworfen.
Anna Greve befasst sich im folgenden Beitrag mit der auch heute noch oft (und oft erstaunlich unbedarft) "zitierten" Bilderwelt der von der Familie de Bry in Serienedition herausgegebenen "Grand Voyages". Anhand der sich wandelnden formalen Gestaltung von (Innen-)Räumen weist die Kunsthistorikerin ein im Verlauf der Eroberung schwindendes Interesse an Lebensweise und "Sitten" der Indigenen nach. Zunehmend werde die "neue Welt" dagegen "zum Synonym der Machbarkeit und Durchsetzung der eigenen Lebensführung" (453).
Zum Abschluss des Bandes führt der Ethnologe Michael Harbsmeier in die Schriften Evliyâ Çelebis, Shah Sulaimans und Ahmad Quaim Al-Hajarîs, und damit in das Werk dreier zumindest weitgehend "von Außen" auf Europa blickender Autoren, ein. Gemeinsam sei diesen eine tiefe Bewunderung für europäische Illusionstechnologien sowie eine Faszination für die relative Unabhängigkeit von Frauen. Eine stärkere Kontextualisierung der ja sehr wichtigen Zeugnisse, ihrer Verfasser oder Leserschaft(en) hätte dem Beitrag allerdings nicht geschadet.
Insgesamt wird in diesem sehr gelungenen Sammelband durch vorsichtig-genaue, dabei methodenbewusste Reflexionen das Feld der Wahrnehmung und Darstellung in der frühen Kolonisation in seinen vielschichtigen Implikationen breit abgedeckt. Aus den text- und bildnahen Fallanalysen treten selbst altbekannte Zeugnisse in neuem Licht hervor.
Monika Mommertz