Evelyn Höbenreich / Giunio Rizzelli: Scylla. Fragmente einer juristischen Geschichte der Frauen im antiken Rom, Wien: Böhlau 2003, 340 S., ISBN 978-3-205-77012-1, EUR 35,00
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Scylla, so erfährt der Leser des gleichnamigen Buches der Rechtshistoriker Evelyn Höbenreich und Giunio Rizzelli, Scylla also, "das schreckliche Monster", halb ein junges schönes Mädchen, halb tierisches Ungeheuer mit Wolfsbauch und Delfinschwänzen, könnte "als Symbol des weiblichen Geschlechts" im antiken Rom verstanden werden (196). Denn der einhelligen Überzeugung der römischen Männer zufolge besitzt die Frau quasi von Natur aus, mit der ihr angeborenen Leichtfertigkeit und Unbeständigkeit, ihrer levitas animi, ihrer Ergebenheit an die Lüste, allesamt Spiegelungen ihrer auch physischen Unterlegenheit, gesellschaftszerstörendes Potenzial. Und doch blieb man(n) fatalerweise auf sie angewiesen, sollte sich die Familielinie in die Zukunft fortsetzen. Es galt demnach, nicht nur die Frau vor sich selbst und ihren Lüsten, sondern die Gemeinschaft insgesamt zu schützen. Und folgerichtig fand dieses Paradigma, so die Autoren, einen Niederschlag auch in der Entwicklung des römischen Rechts, und zwar im Personen- und Familienrecht ebenso wie im Erbrecht, im Obligationenrecht, ja selbst im Kriminalrecht.
Höbenreich und Rizzelli nun nehmen sich nicht weniger vor, als "das Rechtsgebilde in seiner Gesamtheit, das geschlechtsbedingte Differenzen statuierte und die wechselseitigen Begegnungen zwischen Frau und Mann reglementierte", einem analytischen Blick zu unterziehen sowie die dahinterliegenden "Denkstrukturen" zu offenbaren (5). Sie haben sich die Aufgaben geteilt: Evelyn Höbenreich, Professorin am Institut für Römisches Recht, antike Rechtsgeschichte und Neuere Privatrechtsgeschichte der Universität Graz, zeichnet für den ersten Abschnitt, überschrieben mit "Familie und Gesellschaft" (9-187), verantwortlich, Giunio Rizzelli, der als Professor für Römisches Recht an der Universität Foggia lehrt, hat den zweiten Teil, "Sexualität und Rollen" (189-316), übernommen. Das Buch wird abgeschlossen durch ein umfangreiches Literaturverzeichnis (317-328) und ein Quellenregister. Ein Sachregister fehlt leider, wäre aber durchaus hilfreich angesichts des Umstandes, dass manche Themen in beiden Großabschnitten behandelt werden, und der oft mangelnden Leitfunktion der Kapitelüberschriften (dazu unten).
Der zweigeteilte Aufbau des Buches ist nicht ohne Reiz und Nutzen: Evelyn Höbenreich führt kenntnisreich und trotz der Komplexität der Materie verständlich in die rechtlichen Strukturen der römischen Familie ein; dem Leser wird anhand von einschlägigen Digestentexten vor Augen geführt, was die Römer unter familia verstanden und wo die Differenz zu dem lag, was wir heute unter Familie verstehen. Sodann werden das Rechtsverhältnis von Ehemann und Ehefrau sowie die aus der römischen Familienstruktur erwachsenden erbrechtlichen Bestimmungen erörtert (11-31). Höbenreich geleitet den Leser weiter zu den unterschiedlichen Formen der Persönlichkeitsverletzung, die einer Frau oder vielmehr über sie ihrem Gewalthaber, dem pater familias, zugefügt werden konnten: Die weibliche Ehre war ein zu schützendes Gut, aber sie engte den Spielraum der Frauen auch ganz buchstäblich ein: Die Männer schrieben vor, was eine "anständige" Römerin zu tragen hatte, wo und mit wem sie sich zeigen durfte, ja selbst die Körper- und Bewegungsschemata waren reguliert (32-35). Weil die Frauen als unzuverlässig und zu keiner fundierten Entscheidung fähig erachtet wurden (infirmitas consilii), bedurften sie Zeit ihres Lebens der rechtlichen Aufsicht durch einen Tutor. Erst im Laufe der Kaiserzeit erfuhr das Regime der Geschlechtstutel eine Reihe von zunächst faktischen, dann auch formalen Lockerungen, die den Handlungsspielraum einer (wohlhabenden) römischen Frau im Geschäfts- und Rechtsleben beträchtlich erweiterten (40-55). Doch das Gewohnheitsrecht (mos maiorum) schloss die Frauen weiterhin von einem großen Bereich des öffentlichen Lebens aus, erlaubte ihnen nur indirekten Einfluss auf politische Entscheidungen und gestand lediglich eingeschränkte Möglichkeiten vor Gericht, etwa bei der Popularanklage, zu (61-96). Zudem wurde auf dem Wege der Gesetzgebung versucht, die Bildung großer Vermögen in weiblicher Hand zu verhindern (zum Beispiel durch die lex Voconia, 97-111).
Nach dieser tour d'horizon der rechtlichen Grundbedingungen eines Frauenlebens in Rom lenkt Höbenreich den Blick zurück auf den Bereich der römischen Ehe, von der Verlobung über die Heirat bis hin zur Beendigung der Ehe durch den Tod eines der Ehepartner oder durch Scheidung ("Verliebt, verlobt, verheiratet...", 112-166). Die juristischen Aspekte werden hier zum Teil durch sozial- beziehungsweise demografiegeschichtliche Angaben ergänzt: Man lernt einiges über das Alter der Frauen (beziehungsweise Mädchen) bei der Verlobung, die Bestimmung der "Mannbarkeit", über den Zeitpunkt der Heirat, über die Praxis der Wiederverheiratung im Kontrast zum Ideal der nur einmal geehelichten Frau (univira). In zwei weiteren Kapiteln wird - allerdings sehr kursorisch - die wirtschaftliche Aktivität von Frauen untersucht und schließlich ihr Status "nach der Menopause" thematisiert (167-177 und 178-187).
Die Verfasserin geht bei alledem in guter romanistischer Übung konsequent von den Quellen, und das heißt in diesem Fall: ganz überwiegend von den Rechtstexten und hier vor allem von Fragmenten aus den Digesten, aus. Die relevanten Passagen werden im Fließtext in gut lesbarer deutscher Übersetzung, in den Fußnoten im lateinischen beziehungsweise griechischen Original geboten. Dem schließt sich jeweils ein knapper Kommentar an, der dem Leser die oftmals verschlungenen und voraussetzungsreichen Argumentationen der antiken Juristen gut erschließt. Über rudimentäre juristische beziehungsweise rechtshistorische Kenntnisse sollte der Benutzer jedoch verfügen, denn auch Höbenreichs Sprache ist nicht frei von Fachtermini und juristischen Formeln. Als eindeutiges Manko ist aber die fast völlig fehlende explizite Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur zu benennen: So sehr es zu begrüßen ist, dass die Arbeit mit und an den Quellen im Vordergrund steht, so sehr das zu besprechende Buch auch eine reiche Fundgrube faszinierender Texte darstellt, so befremdend mutet es doch an, dass Verweise auf die entsprechende Sekundärliteratur nur äußerst sporadisch begegnen. Verschärft stellt sich dieses Problem im Übrigen noch in dem von Rizzelli bearbeiteten Teil. Immer wieder lässt die Darstellung zwar darauf schließen, dass ein Sachverhalt durchaus kontrovers diskutiert wird, an welchem Ort aber diese Kontroversen ausgetragen wurden, bleibt dem Leser verborgen. Auch lässt dieses Vorgehen allzu oft offen, was der eigentliche Beitrag der Verfasser zur Materie denn ist.
"Die Kontrolle des weiblichen Sexualverhaltens im antiken Rom" (286) thematisiert Giunio Rizzelli. Er greift auf den bereits von seiner Ko-Autorin erörterten Topos der infirmitas sexus zurück, sucht nun aber dieses Schlagwort im gesellschaftlichen Diskurs zu verorten: Sexualnormen und gesellschaftliche Rollenverteilung sind interdependent, den Frauen bleibt in beiden Bereichen der passive Part vorbehalten. Überschreitet eine Frau den ihr zugewiesenen Aktionsradius, "vermännlicht" sie und wird zu einem Monstrum, das es zu bekämpfen gilt. Um sie zu kontrollieren, unterstellen die Römer die Frau (genauer: den Körper der Frau) zunächst ihrem Vater, dann ihrem Ehemann. Damit konnte zugleich einer zweiten Angstvorstellung der römischen Männer vorgebeugt werden: der "Immission familienfremden Blutes" in den agnatischen Verband (213) durch den außerehelichen Geschlechtsverkehr der Frau. Konsequent wurde der Ehebruch als Befleckung des Ehebettes eines anderen konzipiert - vergnügte sich jedoch ein verheirateter Mann etwa mit einer Prostituierten oder gar mit einer Sklavin, musste er keine Konsequenzen fürchten: Rizzelli gibt hier einen fundierten, äußerst erhellenden Abriss über die gesamte Problematik des adulterium und seiner strafrechtlichen Verfolgung ("Sperma, Blut und Gift", 207-227, "Der Princeps greift ein", 228-243).
Die Verwandlung des Frauenideals zwischen Republik und christlicher Spätantike bildet einen weiteren inhaltlichen Schwerpunkt, den Rizzelli rund um den Zentralbegriff der pudicitia und seine unterschiedlichen semantischen Füllungen anordnet und in einem mit "Verginia und Gorgonia" betitelten Abschnitt (268-276) diskutiert. Und ein umfangreiches Schlusskapitel (286-316) ist - ausgehend von der Figur der Lucretia - dem Komplex der Vergewaltigung in der römischen Rechtspraxis gewidmet, insbesondere der Frage, inwiefern der betroffenen Frau stillschweigende Zustimmung zu dem erzwungenen Geschlechtsverkehr unterstellt wurde. Schon in der Lucretia-Erzählung selbst standen sich zwei Bewertungsmuster gegenüber: Die Ansicht, der vergewaltigten Frau sei nichts vorzuwerfen, da und insofern der Sexualakt gegen ihren Willen zu Stande gekommen sei, traf auf die Auffassung, jede Vergewaltigung ziehe eine nicht zu tilgende Befleckung der Frau nach sich. Dabei verfestigte sich immer mehr die Ansicht, das Opfer einer Vergewaltigung müsse diese durch das eigene (unkeusche) Verhalten geradezu provoziert haben; die Beweislast liegt bei der Frau, die ihren bedingungslosen Widerstand glaubhaft machen muss.
Durch Rizzellis Beitrag ziehen sich wie Leitbegriffe die den Römern verdächtige Psyche der Frau, die weibliche Ehre als zu verteidigendes familiäres Gut sowie die Furcht vor "Verunreinigung" des Blutes. Weibliche Sexualität, die victrix libido, wird als ständiges Gefahrenpotenzial begriffen, das sich zu einer existenziellen Bedrohung auswächst: Nicht zufällig unterstellen die Römer der Ehebrecherin Affinität zum Giftmord, der Giftmörderin zum Ehebruch. Über so viel Negativem gerät dem Verfasser aber die andere Seite der Medaille leicht aus dem Blick: das Lob der Gattin, wie es eben auch in der römischen Literatur anzutreffen ist und zum Beispiel eindrucksvoll in der laudatio Turiae überliefert ist, die tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten einer römischen Frau jenseits dessen, was Juristen, Philosophen und Mediziner ihr zuzuerkennen meinten. Weibliche Rollen scheinen sich in diesem Buch auf die (auch rechtlich begründete) Trias virgo, uxor, vidua zu beschränken. Was eine römische Frau tun sollte und was man ihr zu untersagen versuchte, tritt hier klar zu Tage. Blass bleibt hingegen die soziale Realität, in der der weibliche Aktionsradius (in den Oberschichten) doch oft sehr viel größer war, als die Rechtsquellen glauben lassen. Über "Diskurse" ist dies kaum einzufangen; zumindest wäre die Überlegung anzustellen, welchen Stellenwert diese eigentlich einnehmen, welche Regelungsfunktion ihnen zugeschrieben werden kann.
Mögliche Einwände wohl ahnend, versprechen Höbenreich und Rizzelli im Untertitel des Buches nicht mehr als "Fragmente". Wie diese Bruchstücke zusammenpassen und welchen Stellenwert sie im Einzelnen besitzen, diese Antworten bleiben die Autoren wiederholt schuldig. Eine umfangreichere Einleitung oder eine Schlusszusammenfassung hätten leicht Abhilfe schaffen können. So pfeift der Wind doch bisweilen etwas arg durch die Ritzen des hier errichteten Gebildes, einige Kapitel wirken eher als Irrlichter: Dem mit "lebendig begraben" überschriebenen Abschnitt ist nicht mehr zu entnehmen, als dass Vestalinnen, die das Keuschheitsgebot verletzten, eben lebendig begraben wurden; "Sarmatia" steuert Betrachtungen über den rechtlichen Status von Frauen, die in Kriegsgefangenschaft geraten waren, beziehungsweise über in Feindeshand geborene Kinder bei - die Funktion im Gesamt des Buches ist nicht leicht zu erkennen. Dass die Kapitelüberschriften dabei eher anspielungsreich als orientierungsstiftend sind ("Viper und Muräne", "Pater familias sucht mater familias", "der Respekt vor dem Grundstück des Anderen"), sei nur am Rande vermerkt.
Wahrlich ärgerlich ist jedoch, dass Höbenreich und Rizzelli zwar durchaus bemüht sind, traditionelle romanistische Pfade zu verlassen und kulturwissenschaftliche Fragestellungen einzubeziehen (etwa durch die Berücksichtigung der antiken medizinischen Fachliteratur), die Weite des Raumes aber nicht gewinnen. Symptomatisch ist bereits die seltsam anmutende Formulierung von einer "juristischen Geschichte der Frauen" - was vorliegt, ist denn in der Tat auch eher eine Geschichte des Blickes römischer Juristen auf die Frauen. Beide Autoren für sich liefern in Teilen beeindruckende und nützliche Darstellungen, Höbenreich zu den Entwicklungen der Frauen betreffenden Institute des römischen Rechts, Rizzelli zu deren diskursiver Einbettung. Was aber bitter vermisst wird, ist der sozialgeschichtliche Hintergrund, vor dem sich das Gebilde "Recht" erst abzeichnen kann. Bezeichnenderweise fehlen in der Bibliografie die eigentlich unentbehrlichen Arbeiten von Richard P. Saller gänzlich [1], ebenfalls Titel eines so bedeutenden Forschers wie John A. Crook [2]. Man hätte dort entnehmen können, dass beispielsweise die patria potestas in der Rechtswirklichkeit wegen der geringen Lebenserwartung und der in der Oberschicht üblichen Neolokalität der verheirateten Haussöhne und ihrer Gattinnen den Alltag längst nicht so dominierte, wie die Rechtsquellen nahe legen. Dass bis zu fünf Geburten pro Frau nötig waren, um nur die Bevölkerungszahl stabil zu halten. Dass die hohe Sterblichkeit das Erbrecht zu einem zentralen Rechtsbereich machte und Erbteilungen die wirtschaftliche Existenz einer Familie in Gefahr bringen konnten, weiblicher Nachwuchs also ohnehin als "Risikofaktor" in einem agnatisch organisierten Familienverband gelten musste.
Bedenklich stimmt auch der normative Ansatz, der bei der Interpretation der Fakten wiederholt durchscheint und zu nicht immer hilfreicher Terminologie führt: Ob die Intention der lex Voconia mit "radikal 'antifeministisch'" (110) richtig beschrieben ist, erscheint doch fraglich, und "Misogynie" ist sicher nicht die alleinige Antriebskraft Catos bei seinem Widerspruch gegen die Abrogation der lex Oppia gewesen. Vielmehr ging es ihm, liest man die angeführten Referate aus Livius im Kontext (Liv. 34,1-8), um die Stabilität und Homogenität des römischen Bürgerverbandes. Hier wird den historischen Akteuren unterstellt, was im Vorwort apodiktisch als "Geschlechterpolitik der Römer im öffentlichen und im privaten Recht" bezeichnet ist (5). Dass es aber eine solche "Politik" eben als ein geschlossenes Konzept gegeben hat, dass so etwas überhaupt auf der Agenda der römischen res publica hätte stehen können, wäre erst zu zeigen gewesen.
Anmerkungen:
[1] Richard P. Saller: Patriarchy, Property and Death in the Roman Family, Cambridge 1994.
[2] John A. Crook: Law and Life of Rome, London / Ithaca 1967.
Christian Reitzenstein-Ronning