Rezension über:

Cornelia Manegold: Wahrnehmung - Bild - Gedächtnis. Studien zur Rezeption der aristotelischen Gedächnistheorie in den kunsttheoretischen Schriften des Giovanni Paolo Lomazzo (= Studien zur Kunstgeschichte; Bd. 158), Hildesheim: Olms 2004, X + 259 S., 18 Abb., ISBN 978-3-487-12675-3, EUR 39,80
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Rezension von:
Gerald Schröder
Kunstgeschichtliches Institut, Ruhr-Universität Bochum
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Gerald Schröder: Rezension von: Cornelia Manegold: Wahrnehmung - Bild - Gedächtnis. Studien zur Rezeption der aristotelischen Gedächnistheorie in den kunsttheoretischen Schriften des Giovanni Paolo Lomazzo, Hildesheim: Olms 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 1 [15.01.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/01/6775.html


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Cornelia Manegold: Wahrnehmung - Bild - Gedächtnis

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Giovanni Paolo Lomazzo gehört zu den prominenten Kunsttheoretikern des 16. Jahrhunderts, und auch die Kunstgeschichte hat sich seit den grundlegenden Studien von Schlosser und Panofsky immer wieder mit seinen beiden theoretischen Hauptwerken - dem umfangreichen und höchst komplexen "Trattato dell'arte de la pittura" (1584) und der kosmologisch fundierten "Idea del tempio della pittura" (1590) - unter ganz verschiedenen Fragestellungen beschäftigt. Somit scheint es legitim, wenn Cornelia Manegold in ihrer Dissertationsschrift nur noch kursorisch auf die kategoriale Struktur, die vielfältigen Quellen und den kulturellen Kontext der beiden zentralen Texte Lomazzos eingeht und sich im Großen und Ganzen auf ihre präzise formulierte Fragestellung beschränkt. Wie bereits der Titel ihres Buches deutlich macht, untersucht Cornelia Manegold nämlich die Rezeption der aristotelischen Gedächtnistheorie in den kunsttheoretischen Schriften Giovanni Paolo Lomazzos.

Dass es sich dabei keinesfalls um eine philologische Marginalie handelt, sondern um das eigentliche Fundament von Lomazzos Bildbegriff, kann als zentrale These ihrer Studie gelten. Damit positioniert sich Manegold zugleich kritisch innerhalb der Forschungsliteratur, indem sie zum einen an die Vorarbeiten zur Aristotelesrezeption in den kunsttheoretischen Schriften Lomazzos anknüpft und sich zum anderen vom gängigen Interpretationsschema distanziert, das Lomazzos Theorie des Bildes vor allem mit der Mnemotechnik in Zusammenhang bringt. Ist die strikte Unterscheidung zwischen Gedächtnistheorie und Mnemotechnik also aus strategischen Gründen nachvollziehbar und auch von der Sache her sicherlich nicht verkehrt, so bleibt doch Skepsis hinsichtlich der Frage, ob es sich bei Psychologie und Technik des Gedächtnisses nicht vielmehr um einander ergänzende als ausschließende Theoriekonzepte handelt.

Manegold entfaltet ihre These stringent in zwei Abschnitten. Zunächst stellt sie die aristotelische Gedächtnistheorie vor, um anschließend ihre Relevanz für die Kunsttheorie Lomazzos nachzuweisen. Verknüpft werden diese beiden Kapitel durch einen längeren Exkurs zur Rezeption der aristotelischen Gedächtnistheorie im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Schließlich kann die Autorin zeigen, dass die aristotelische Gedächtnistheorie nicht nur allgemein für den Bildbegriff Lomazzos von zentraler Bedeutung ist, sondern im Besonderen für sein Verständnis vom Porträt, was sie am Beispiel der Herrscherporträts Karls V. in seinen unterschiedlichen medialen Ausformungen demonstriert.

Vor allem im ersten Abschnitt beeindruckt Cornelia Manegold durch eine kenntnisreiche und philologisch differenzierte Sicht auf den Textkorpus aristotelischer Schriften und ihrer späteren Rezeption, was sich auch im vorbildlich gestalteten Anmerkungsapparat widerspiegelt. Im Zentrum steht dabei die Schrift "De memoria et reminiscentia", die zu Recht im Kontext der aristotelischen Psychologie interpretiert wird, wie sie in der Schrift "De anima" überliefert ist. Mit Blick auf die Kunsttheorie Lomazzos gilt das Augenmerk vor allem dem bei Aristoteles eher implizit formulierten Bildbegriff, der durch das Ähnlichkeitsverhältnis zwischen Wahrnehmungs- und Vorstellungsbild bestimmt wird. Während das Wahrnehmungsbild noch die Form des je einzelnen Gegenstandes abbildet, abstrahiert das Vorstellungsbild bereits davon und vermittelt somit zu den höheren Verstandesvermögen begrifflicher Erkenntnis. Weil das Vorstellungsbild, das zunächst im flüchtigen Medium der Imagination vorliegt, erst im Gedächtnis gleichsam auf Dauer gestellt wird, bringt Aristoteles hier selbst zur weiteren Erklärung den Vergleich mit einem Gemälde. Dies bot wiederum Anschlussmöglichkeiten für die Kunsttheorie, insofern nun das innere Gedächtnisbild zum äußeren Bild des Gemäldes in Analogie gesetzt wurde.

Für Lomazzos Kunsttheorie und speziell für seine Auffassung vom Porträt bedeutet dies zweierlei: Zum einen ist auch für ihn der Ähnlichkeitsbezug zwischen Gemälde und der Wirklichkeit, wie sie uns in der Wahrnehmung gegeben ist, verbindlich. Und zum anderen ist das Gemälde gleichsam auf einer allgemeineren Ebene angesiedelt als das Wahrnehmungsbild. Es zeigt zugleich das Typenhafte und ist bereits begrifflich durchdrungen. Lomazzos Unterscheidung zwischen "ritratto naturale" und "ritratto intellettuale" macht dies deutlich. So zielt der erste Begriff auf die Wiedererkennbarkeit der dargestellten Person, was durch den Ähnlichkeitsbezug zwischen Gemälde und dem Wahrnehmungsbild der realen Person garantiert werden soll. Kann dieses Faktum als selbstverständlich für eine Theorie des Porträts vorausgesetzt werden, so ist der Begriff des "ritratto intellettuale" durchaus originell und für die Frage nach der Gattungshierarchie von besonderer Relevanz. Denn unter diesem Begriff entwickelt Lomazzo eine Semiotik des Porträts: Er listet einen ganzen Katalog von Zeichen auf, die auf die eigentliche Qualität, das heißt den Charakter des Porträtierten verweisen sollen. Dazu gehören neben bestimmten Attributen auch Gestik und Mimik, das Inkarnat sowie die Betonung bestimmter Körperteile. Weil mit dem "ritratto inellettuale" auch dem Porträt ein "concetto" unterlegt wird, bürgt dieser Begriff für den hohen Rang der gegenüber dem Historienbild nachgeordneten Gattung. Am Beispiel der Porträts von Karl V. - das Lomazzo hier selbst anführt - kann Manegold zeigen, wie sich die beiden Dimensionen des Porträts hier gleichsam überlagern, insofern einerseits bestimmte physiognomische Charakteristika die Individualität des Kaisers vor Augen führen, aber andererseits durch Kleidung, Attribute sowie Gestik und Mimik topisch festgelegte Herrschertugenden und durch das fahle Inkarnat das melancholische Temperament bezeichnet werden sollen. Besonderes und Allgemeines, Wahrnehmungsbild und Vorstellungsbild scheinen hier überblendet.

Wie bereits erwähnt, liegt die Stärke von Cornelia Manegolds Studie in ihrer philologischen Differenziertheit. Dies geht allerdings zulasten einer philosophischen Klarheit. Mit anderen Worten, kategoriale Sinnzusammenhänge werden oftmals nicht ganz deutlich, etwa der Zusammenhang von Wahrnehmung, Imagination und Gedächtnis sowie der Übertrag dieser "inneren Bilder" auf das "äußere Bild" von Malerei, Skulptur oder Druckgrafik. Auch die Zusammenfassung am Ende des Buches leistet dies nicht. Schließlich bleibt die Frage nach dem Ertrag der Studie für das Verständnis der Kunsttheorie Lomazzos: Trotz durchaus interessanter philologischer Beobachtungen führt die Studie im Kern letztlich nicht über bereits Bekanntes hinaus.

Gerald Schröder