Rainer Babel: Le Diplomate au travail. Entscheidungsprozesse, Information und Kommunikation im Umkreis des Westfälischen Friedenskongresses (= Pariser Historische Studien; Bd. 65), München: Oldenbourg 2005, 217 S., ISBN 978-3-486-56834-9, EUR 34,80
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Der zu besprechende Sammelband vereint die Vorträge, die im Oktober 1998 auf einem Studientag des Deutschen Historischen Instituts Paris gehalten wurden. Anlass war der 350. Jahrestag des Friedensschlusses von Münster und Osnabrück, dessen europaweit durch zahlreiche Ausstellungen, Tagungen und Publikationen gedacht wurde.
Wesentliche Ziele der Tagung waren es nach Auskunft des Vorwortes, das französische Fachpublikum über die aktuelle Forschung zum Westfälischen Frieden zu informieren und zugleich Erträge der fortschreitenden Edition der "Acta Pacis Westphalicae" vorzustellen. Zwar kann das Aktualitätspostulat angesichts der gut sechs Jahre langen Zeitspanne bis zum Erscheinen des Tagungsbandes nur noch bedingt Gültigkeit beanspruchen; doch besteht der besondere Wert der Beiträge zweifellos darin, dass sie durch quellennahes Vorgehen neue Erkenntnisse über den Westfälischen Friedenskongress liefern. Dass dies mit dem kontinuierlichen Fortschreiten der "Acta Pacis" in direktem Zusammenhang steht, zeigt ein Blick auf die Autoren: Vier der fünf Referentinnen und Referenten (Antje Oschmann, Franz Bosbach, Guido Braun und Anuschka Tischer) haben Editionen im Rahmen der "Acta Pacis" vorgelegt und konnten in ihren Beiträgen unter anderem auf ihre dabei gewonnenen eingehenden Quellenkenntnisse zurückgreifen. Mit Leopold Auer konnte darüber hinaus ein vorzüglicher Kenner der Bestände des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs zur kaiserlichen Kongresspolitik gewonnen werden.
Als vortreffliches Beispiel dafür, dass die Grundlagenarbeit der "Acta Pacis" der Forschung verlässlich edierte Quellen zur Verfügung stellt und neue Einblicke ermöglicht, kann der Beitrag von Antje Oschmann gelten. Sie stellt wesentliche Ergebnisse ihrer historisch-kritischen Edition [1] der Vertragstexte des Friedensschlusses vom 24. Oktober 1648 vor und zeigt die Probleme einer solchen Vertragsedition auf. Dank ihrer minuziösen Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte kann die Forschung nunmehr auf eine gedruckte Fassung der beiden Friedensverträge von Münster und Osnabrück zurückgreifen, die unter anderem alle erhaltenen Unterhändlerurkunden auswertet, also die am 24. Oktober 1648 unterzeichneten Instrumenta sowie die bis zum Frühsommer 1649 ausgestellten Nachausfertigungen. Damit ist ein wesentlicher Fortschritt gegenüber den bisherigen Ausgaben der Friedensverträge erreicht, denn diese basieren auf einer wesentlich schmaleren Textgrundlage. Da dieser Beitrag Oschmanns im vorliegenden Sammelband in französischer Übersetzung erscheint, sind die Ergebnisse ihrer Forschungen nun auch für den französischen Leserkreis leicht rezipierbar.
Die Übrigen vier Beiträge lassen sich forschungsgeschichtlich in die in jüngerer Zeit verstärkten Bemühungen einordnen, die traditionelle Diplomatiegeschichtsschreibung durch neue Fragestellungen zu ergänzen. Rainer Babel hebt dies in seinem Vorwort ebenso hervor wie Lucien Bély, der in seinem ausführlichen Kommentar zu den Beiträgen des Sammelbandes Perspektiven einer inhaltlich wie methodisch erweiterten Erforschung der diplomatischen Praxis und der Geschichte der internationalen Beziehungen aufzeigt. Im Rahmen dieses Forschungskontextes geht es im vorliegenden Band schwerpunktmäßig darum aufzuzeigen, wie die frühneuzeitliche Diplomatie konkret funktionierte und wie die außenpolitischen Entscheidungsprozesse vonstatten gingen.
Leopold Auer liefert ein Fallbeispiel für die Erforschung der Meinungsbildung und der Entscheidungsfindung im Bereich der Außenpolitik. Er untersucht die Reaktion der kaiserlichen Politik auf die französische Friedensproposition vom 11. Juni 1645 und leistet damit einen Beitrag zu dem allein schon wegen der langen Dauer der Nachrichtenübermittlung nicht unproblematischen Zusammenspiel zwischen der Wiener Zentrale und den Kongressgesandten vor Ort in Münster und Osnabrück.
Auch die Studie von Anuschka Tischer ist den Faktoren gewidmet, die maßgeblichen Einfluss auf die Gestaltung der Kongresspolitik der beteiligten Mächte ausübten. Am französischen Beispiel demonstriert sie, welche Bedeutung Klientelbeziehungen für die Entscheidungsfindung hatten. Personale Verflechtungen beeinflussten nicht nur die Besetzung von diplomatischen Posten, sondern sie waren bisweilen auch mit ausschlaggebend dafür, welcher kongresspolitische Kurs sich im Rahmen der Entscheidungsprozesse im Wechselspiel zwischen der französischen Regierung und der Gesandtschaft in Münster letztlich durchsetzte.
Den Themenfeldern Kommunikation und Information widmen sich die Beiträge von Franz Bosbach und Guido Braun. Bosbach untersucht die Frage, wie sich die Diplomaten auf dem Friedenskongress Informationen über die vielfältigen Inhalte und den so komplexen Gang der Verhandlungen verschaffen konnten. Ausgehend von den Angaben in den Gesandtschaftsabrechnungen weist er nach, welche Käufe von Druckschriften die Gesandten tätigten. Ein sehr verdienstvoller ausführlicher Anhang dokumentiert den Erwerb von Drucksachen durch die Diplomaten und vermag einen lebendigen Eindruck davon zu vermitteln, welchen Anteil Druckschriften an der Informationsbeschaffung der Gesandten und an der Verbreitung von Nachrichten über den Verhandlungsgang hatten.
Auch Guido Braun vermittelt einen intensiven Einblick in die alltägliche diplomatische Praxis und Kommunikation. Er geht in seinem französischsprachigen Beitrag der Frage der Verhandlungssprachen auf dem Friedenskongress und dem Problem der Übersetzungen nach. Der Sprachgebrauch auf dem Westfälischen Friedenskongress war dadurch geprägt, dass neben der Vertragssprache Latein auch andere Sprachen in den Unterredungen und schriftlichen Verhandlungen der Diplomaten zur Geltung kamen. Vereinbarungen über die Verhandlungssprache konnten dabei durchaus Ausdruck politischer Zielsetzungen sein. Dass beispielsweise die Spanier das Niederländische und das Französische als schriftliche Verhandlungssprachen in ihren Verhandlungen mit den Niederländern zuließen, war zweifellos eine politische Konzession, denn Spanien war an einer baldigen Separatverständigung mit den Generalstaaten gelegen.
Bilanziert man die Erträge des vorliegenden Bandes, dann gelangt man zu einem erfreulichen Ergebnis: Die Studien zeigen eindrucksvoll auf, dass die klassischen Themenfelder Diplomatie, Außenpolitik und internationale Beziehungen in jüngerer Zeit im Zuge einer Renaissance der politischen Geschichte berechtigterweise wieder an Bedeutung gewonnen haben. Dies gilt auch und gerade für den Bereich der Frühen Neuzeit und liegt unter anderem darin begründet, dass inzwischen verstärkt neue Impulse in die traditionelle Verhandlungsgeschichte integriert werden, die es erlauben, weiterführende Fragen an die Quellen zu stellen. Der "diplomate au travail" ist ein gelungenes Beispiel für diese Tendenz der jüngeren Forschung.
Anmerkung:
[1] Acta Pacis Westphalicae, Serie III, Abteilung B: Verhandlungsakten, Band 1: Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden, 1. Teil: Urkunden, bearbeitet von Antje Oschmann, Münster 1998.
Michael Rohrschneider