Trevor Bryce: Letters of the Great Kings of the Ancient Near East. The Royal Correspondence of the Late Bronze Age, London / New York: Routledge 2003, XI + 253 S., ISBN 978-0-415-25857-9, GBP 50,00
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Bryce widmet sich in seiner Studie den internationalen Beziehungen im spätbronzezeitlichen Vorderen Orient. Anhand der königlichen Korrespondenz erläutert er die Diplomatie der fünf großen Machtblöcke der Epoche: Assyrien, Babylonien, Ägypten, Hatti und Mitanni.
Wie schon in früheren Publikationen wendet sich Bryce mit diesem Buch vornehmlich an ein breiteres Publikum, aber auch an Studenten der Altertumswissenschaften. [1] Dies erklärt vermutlich seine informelle und gelegentlich tendenziöse Ausdrucksweise, durch welche der Band leicht zu lesen ist. Der Autor zitiert Primärquellen in Übersetzung und fügt dem Band Karten, Abbildungen und eine Königstabelle bei.
In seiner Einleitung (1-7) führt Bryce den Leser in die geopolitische Lage der Region ein, wobei er gelegentlich auf die aktuelle Lage vor Ort anspielt. Sein Ziel ist ein repräsentativer Überblick über die königliche Korrespondenz, wobei er den dahinterstehenden individuellen Persönlichkeiten besondere Aufmerksamkeit widmet.
Der erste Teil des Buches, "Setting the scene", soll eine Einführung in die politischen Verhältnisse der Epoche bieten, Hintergrundwissen vermitteln und dem Leser als Orientierungshilfe dienen. Kapitel, 1, "The main players: The five great kingdoms" (11-41), beginnt mit einem Abriss der Geschichte des Assyrerreiches. Bryce betont die seiner Ansicht nach große Bedeutung wirtschaftlicher Motive für die Expansion des Staates. Im babylonischen Teil räumt Bryce König Hammurabi und den Kassiten eine Sonderstellung ein. Schwerpunkte in der Behandlung Ägyptens nehmen die Amarna-Zeit sowie die Ramessiden ein. Das Hethiterreich eröffnet der Autor mit dem Telipinu-Edikt, welches er als historische Quelle liest. Damit wird er der propagandistischen Intention des Textes nicht gerecht. [2] Im Absatz Mitanni bietet Bryce einen Abriss der Geschichte der Hurriter, der Gründer des Reiches.
Das zweite Kapitel, "The interaction of the players: imperial administration and international relationships" (42-53), beginnt mit einer Einführung in Herrschaftsstrategien. Bryce differenziert zwischen den Kerngebieten der Staaten und Vasallen-Staaten. Im folgenden Teil erörtert der Autor die sich ständig verschiebenden Einflusssphären der Großreiche.
Der zweite Teil des Bandes, "The letters and their themes" eröffnet mit "Letters and Messengers" (57-75) als drittes Kapitel. Hier geht Bryce zunächst auf die Keilschrift und ihr am weitesten verbreitetes Trägermedium ein, die Tontafeln. Im Anschluss widmet er sich den Schreibern und ihrem Beruf. Der Autor schildert den Briefwechsel zwischen Königen in seinen verschiedenen Stadien. Im Anschluss beschreibt Bryce die Überbringung der Briefe und ihre Träger, Boten und Gesandte.
Kapitel 4, "The Club of Royal Brothers" (76-94), erörtert zunächst die gegenseitigen Bezeugungen von Wertschätzung auf Seiten gleichrangiger Potentaten, die sich als Brüder bezeichnen, und deren diplomatische Funktion. Er beschreibt die Folgen des Ausbleibens von Boten, welche diese Anerkennung übermitteln, und Machtspiele mit der Bestätigung oder Nicht-Bestätigung des Status eines anderen Königs.
"Gift Exchanges" (95-106) bilden das fünfte Kapitel. Bryce eröffnet mit der Beschreibung einer hypothetischen Geschenkübergabe. Er weist darauf hin, dass Größe und Qualität der Gaben von ihrem jeweiligen Anlass abhängig seien. Als unzureichend empfundene Geschenke und Unterschlagung auf dem Transportweg bilden den Anschluss. Die Sektion "The ethics of gift-exchange" erweist sich als enttäuschend. Bryce reduziert die breite Palette von Bedeutungen, welche dem Geben und Nehmen von Geschenken zu Grunde liegen [3], auf die Funktion des Austauschs als beschönigter Handel und auf Statusfragen.
"The Marriage market" (107-120), das sechste Kapitel, behandelt den Austausch von Prinzessinnen als Mittel der Diplomatie. Bryce behandelt die Konsequenzen für die Frauen und Animositäten, die aus der fremden Herkunft einer der Gattinnen entstehen konnten - etwa im Falle der Designierung ihres Sohnes als Thronerbe.
Das siebte Kapitel, "Sending for the Doctor" (121-128), ist dem Austausch von medizinischen Spezialisten gewidmet. Bryce beschreibt, dass Herrscher für spezifische Aufgaben Ärzte von königlichen Brüdern anfordern. Bedauerlich ist, dass Bryce das Gesamtbild des regelmäßigen Austauschs von Spezialisten verschiedenster Professionen nicht mit einbezieht.
Der dritte Teil des Buches ist historischen Einzelstudien gewidmet. Kapitel 8, "The Syrian principalities" (131-144), behandelt eine zentrale Region, deren Bedeutung nach Bryce in ihrer geopolitischen Lage liegt. So werde Syrien zum traditionellen Schlachtfeld, auf dem die Herrscher des Alten Orients Prestige zu gewinnen suchten. Lokale Machthaber würden vor die Aufgabe gestellt, ihr Überleben und ihre Machtposition unter wechselnden Herren zu sichern. An dieser Stelle kommen also vermehrt auch die Vasallen zu Wort.
"The warlords of Amurru" (145-168), das neunte Kapitel, behandelt das Gebiet zwischen dem Fluss Orontes und der zentralen Levante, und die Habiru. Bryce beschreibt die Konsolidierung dieser semi-nomadischen Gruppe unter Abdi-Ashirta. Im Folgenden geht er auf Abdi-Ashirtas Kontrollübernahme, seinen Tod und den Übergang der Macht an seinen Sohn Aziru ein.
Die wichtigste Quelle für die Habiru sind die Briefe Rib-Haddas von Gubla an seinen Herrn, den Pharao, welche im Korpus der Amarna Archive erhalten sind. Im Appendix charakterisiert Bryce Rib-Hadda als lästigen Nörgler, welcher den Pharao mit niemals endenden und nichtigen Beschwerden über die Habiru ermüde (234-5). Der Pharao sehe weder Handlungsbedarf noch Anlass, die Briefe seines Vasallen zu beantworten. In Kapitel 9 wird derselbe Rib-Hadda auf Grundlage derselben Quellen völlig anders gewertet: Aus dem weinerlichen Vasallen wird hier ein standhafter, loyaler Statthalter des Pharao, der seinem Herrn bis zuletzt treu bleibt. Jede dieser Interpretationen der Lage ließe sich auf Basis der Quellen argumentieren, beide zugleich jedoch nicht. Inhaltliche Konsistenz wäre der schmissigen, aber widersprüchlichen Schreibe vorzuziehen.
Im zehnten Kapitel befasst sich Bryce unter dem Titel "Hittite frontier correspondence" (170-186) mit jüngsten Grabungsbefunden aus Hatti. Besonderes Augenmerk richtet er auf das Archiv von Tapikka. Angehängt an die offizielle Post, welche zum Beispiel die Sicherheit der Grenzregion und Truppenaushebungen betrifft, finden wir Privatnotizen der Schreiber an ihre Kollegen, die einen seltenen Einblick in das tägliche Leben ihrer Autoren ermöglichen.
Die folgenden Kapitel behandeln altbekannte Episoden hethitischer Geschichte. Der Grund für ihre Einbeziehung dürfte wohl in der Zielgruppe des Bandes zu suchen sein. Kapitel 11, "An extraordinary request" (187-198), präsentiert die alte Geschichte von der Pharaonenwitwe, die den Hethiterkönig zu dessen ungläubigem Erstaunen um einen Prinz als Ehemann für sich und als Pharao für Ägypten angeht. Bryce zieht die vielfach bemühte Story als Detektivgeschichte auf und verleiht ihr so einen gewissen Reiz.
Das zwölfte Kapitel, "Letter to a Mycenean king" (199-212), befasst sich mit der oft bearbeiteten Ahhijawa Frage. Bryce stellt fest, dass die Lokalisierung dieses wohl griechischen Staates nicht spezifizierbar sei. Der Tawagalawa Brief und die Bemühungen des Hethiterkönigs Hattusili III., einen von Ahhijawa unterstützten Rebellen kaltzustellen, sind Gegenstand der folgenden Passage. Im Anschluss begibt sich Bryce auf ihm fremdes Terrain, indem er seinen Stoff auf Homer und Troia bezieht. Dabei scheint ihm nicht bewusst zu sein, dass Homer nur äußerst begrenzt als Quelle für die Bronzezeit verwendbar ist. Die einschlägige Literatur zum Thema ignoriert er zur Gänze. [4]
"The elusive Urhi-Teshub" (213-222), das dreizehnte Kapitel, behandelt eine weitere altbekannte Episode. Hattusili III. entfernt seinen minderjährigen Neffen Urhi-Teshup aus dem Amt und erklärt sich selbst zum Herrscher. Bryce berichtet vom Exil des rechtmäßigen Thronerben, seinen Versuchen, wieder an die Macht zu gelangen, und seinem Verschwinden. Dabei vertritt er die jüngst vorgebrachte These, dass der inschriftlich belegte Herrscher eines Hethiterstaates in Südanatolien mit Urhi-Teshup gleichzusetzen sei, welcher hier ein Exilreich gegründet habe.
Das vierzehnte Kapitel, "Last Days" (223-231), behandelt das Ende der Bronzezeit und den Untergang der Paläste. Die Seevölker und diverse Hungersnöte tauchen als zwei Verursacher der Katastrophe auf. Bryce berichtet von Hilfegesuchen an Nachbarstaaten, denen nicht nachgekommen werde, wohl weil die betreffenden Nachbarn mit denselben Problemen wie die Hilfesuchenden zu kämpfen hätten. Er weist jedoch auch darauf hin, dass der Großteil der Dokumente keinen Hinweis auf die herannahende Katastrophe enthält, sondern ganz alltägliche Geschäfte betrifft.
Bryce fügt dem Band einen Appendix bei: "The Amarna letters" (232-236). In der Einleitung betont er die herausragende Rolle zweier Komplexe von Korrespondenz: die der Amarna Archive und der hethitischen Tafelsammlungen, welche er in früheren Publikationen behandelt hat. [5] Er erläutert kurz die Entdeckung der Amarna Archive und die Natur der Dokumente. Bryce nimmt an, dass sie nach dem Tod Echnatons durchgesehen und wichtige Dokumente in die neue Hauptstadt Memphis transferiert worden seien. Die verbliebenen Tafeln, die uns erhalten geblieben sind, stellten den Ausschuss dar.
Den Abschluss des Bandes bildet eine recht kurze Bibliografie (237-243), welche von wissenschaftlichen Textausgaben bis Sekundärtiteln, die sich an ein breites Publikum richten, reicht, und ein erfreulich ausführlicher Index (244-253).
Bryces Darstellung ist klar und anschaulich. Die handliche Untergliederung der Kapitel in kurze Abschnitte mit prägnanten Titeln vereinfacht den Zugang. Bedauerlicherweise finden diese keine Aufnahme im Inhaltsverzeichnis. Durch seine lockere Sprachform ist das Buch unterhaltsam, auch wenn die gelegentlich tendenziöse Art der Darstellung historischer Abläufe in meinen Augen problematisch ist.
Auffällig ist, dass die Hethiter und ihre internationalen Belange, vor allem im Kontakt mit Ägypten, den thematischen Schwerpunkt bilden. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass Bryce Vorgänge gerne aus hethitischer Perspektive analysiert. Dies lässt sich nicht aus der Überlieferungslage erklären: Eine intensivere Einbeziehung etwa der umfangreichen Archive von Mari [6] wäre hilfreich gewesen. Die Gewichtung entspricht eher der persönlichen Vorliebe des Autors. Das ist zwar durchaus legitim und verständlich, vermittelt aber in einem Buch, welches für sich in Anspruch nimmt, ein repräsentatives Bild des Alten Orients der Bronzezeit zu zeichnen, ein schiefes Bild über Bedeutung und Zusammenspiel der Machtblöcke.
Bryce zitiert die Primärquellen in Übersetzung, was hier durchaus angebracht ist. Ergänzungen, die er für gesichert hält, verwendet er, ohne sie kenntlich zu machen. Ferner überträgt er eine Reihe von Texten frei, wobei dies oft nicht deutlich wird und sich entsprechende Hinweise in Endnoten zu anderen Passagen finden. [7] Insgesamt halte ich diese Praxis für problematisch.
Schwierig ist meines Erachtens Bryces Neigung, sich in seine Forschungsobjekte hineinzuversetzen. Als Beispiel sei Hattusili III. genannt, welcher sich nach Bryce nach seiner Usurpation des Thrones unsicher fühlt und ein schlechtes Gewissen hat (91). Sicherlich verleihen solche "Einblicke" in die Psyche von Mitgliedern untergegangener Kulturen der Darstellung Farbe, sind aber in einer wissenschaftlichen Abhandlung fehl am Platze und können der studentischen Zielgruppe eine fragwürdige Methodik vermitteln.
Auch wenn Bryces Buch für Gelehrte vom Fach wenig Neues bietet, ist es als Synthese für Studenten und die interessierte Öffentlichkeit durchaus zu empfehlen. Trotz gewisser Vorbehalte bietet der Band insgesamt einen guten und unterhaltsamen Einstieg in die Welt des spätbronzezeitlichen Vorderen Orients.
Anmerkungen:
[1] T. Bryce: The kingdom of the Hittites, Oxford 1998 (Neuauflage 2005); T. Bryce: Life and society in the Hittite world, Oxford 2002.
[2] Siehe etwa die Arbeiten von Mario Liverani, jüngst in Neuauflage als Shunashura, or: on reciprocity, in: Mario Liverani: Myth and politics in Ancient Near Eastern historiography, Ithaca 2004.
[3] Vgl. M. Mauss: Essai sur le don, Paris 1925; M. Sahlins: Stone Age Economics, Chicago 1972, 168-183; M. Walzer: Sphären der Gerechtigkeit, Frankfurt/Main 1992, bes. 33; H. van Wees: Reciprocity in anthropological theory, in C. Gill / N. Postlethwaite / R. Seaford (eds.): Reciprocity in Ancient Greece, Oxford 1998, 13-49.
[4] Zugang zur betreffenden Literatur etwa DNP 5 s. v. Homeros (Latacz), 686-699.
[5] T. Bryce: The kingdom of the Hittites, Oxford 1998 (Neuauflage 2005); T. Bryce: Life and society in the Hittite world, Oxford 2002.
[6] Beispielsweise die Reihe "Archives royales de Mari" (Paris).
[7] Siehe etwa Anmerkung 10 (212), die zu einer kleinen Quellenpassage auf Seite 203 gehört, sich aber wohl ebenfalls auf lange Textauszüge auf Seite 205 bezieht.
Silke Knippschild