Silvana D'Alessio: Contagi. La rivolta napoletana del 1647-48: linguaggio e potere politico (= Politeia. Scienza e Pensiero; 19), Firenze: Centro Editoriale Toscano 2003, 201 S., ISBN 978-88-7957-213-2, EUR 19,00
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In den 1970er-Jahren war die Revolutionenforschung auch für die Frühe Neuzeit unter Einfluss marxistischer Heuristiken stark präsent, und so auch die europäische Revolten- und Revolutionenvernetzung der 1640er-Jahre von England über die französische Fronde bis nach Neapel. Hier fand der Aufstand des "popolo" unter seinem "capo" Masaniello gegen den spanischen "malgoverno" und dessen hohe Besteuerung im Juli 1647 statt, der alsbald von der Außenpolitik Mazarins mit der Entsendung des duc de Guise als Protektor der kurzlebigen, sich an den Niederlanden als Referenz orientierenden "Republik" zu einem Mosaikstein in der spanisch-französischen Hegemonialkonkurrenz umfunktioniert, im April 1648 aber mit der Wiederherstellung der spanischen vizeköniglichen Regierung beigelegt wurde.
Im bekannten Rhythmus der Evidenzabnahme marxistisch inspirierter Interessen und Fragestellungen älterer Prägung wurde es auch um den Masanielloaufstand eher wieder ruhig, nachdem Rosario Villari, Giuseppe Galasso und andere ihn in die europäische Forschung eingeschrieben hatten. Freilich arbeitete die napoletanische Regionalgeschichte weiterhin an seiner Rekonstruktion und an der Auffindung, Übersetzung und Edition von Texten, die sich auf die Revolte bezogen.
Silvana d'Alessios Monografie profitiert nun von diesen Vorarbeiten, um die Thematik erneut in einen europäischen Kontext zu stellen, dies aber in Fühlungnahme insbesondere mit seit längerem bestehenden, entsprechenden Tendenzen in der Forschung zur Englischen Revolution 1640/48 (David G. Hale, Leonard Barkan, Jonathan G. Harris), nämlich unter dem Aspekt der political language der Revolte - hier Anregungen von Vittorio Conti, Aurelio Musi, Vittor Ivo Comparato folgend.
Dabei behandelt sie im ersten Teil die politische Sprache unmittelbar der Revolte selbst (1647/48), während sie im zweiten und dritten Teil das Nachleben der Revolte in der englischen und deutschen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts erörtert. Mit dem Titel "Contagi" - "Infektionen" / "Ansteckungen" - wird auf die insbesondere für den ersten Teil der Arbeit essenzielle Herausarbeitung der Anwendung medizinischer Sprachelemente und Metaphern auf das Revolutionsgeschehen abgehoben: Revolten wurden so 1) als Krankheit des 'Volkskörpers', 2) in ihrem Übergriffs-, Diffusions- und eben "Infektions"-Charakter erfasst, 3) bekam im napoletanischen Fall die Metapher eine besondere Bedeutung, weil die nur 9 bzw. 8 Jahre spätere Pest 1656 in der Stadt oft als spiegelnde Strafe (Krankheit für Revolten-Krankheit) gedeutet wurde.
D'Alessio führt diese "Infektionsanalyse" anhand der (auch aufgrund der spanischen damnatio memoriae) zum Teil nur noch außerhalb Neapels (Paris, London) erhaltenen politischen Discorsi durch, die zum Beispiel damals vor allem in handschriftlicher Form im neapolitanischen Akademieumfeld zirkulierten und wohl teilweise auch im mündlichen Vortrag 1647/48 agitatorisch eingesetzt wurden. Dies insbesondere nach einer kontextualisierenden Vorbereitung im ersten, im zweiten ('Metaphern des politischen Körpers') und dritten Kapitel ('Temi e miti politici'): Die Metaphern werden nicht einfach registriert, sondern als ein Symptom der Kreuzung des medizinischen und politischen Fachwissens in ihrer Funktionalität gedeutet. Die Vorgeschichte und die intertextuellen Referenzen auf Machiavellis Œuvre bis hin zur Metapher der Leber für die Verbindung der Schichten und ihrer Produktivität zueinander in einem Blutkreislaufbild (51) werden aufgedeckt, aber auch die zeitgenössische Rhetorik-Reflexion zum Metapherngebrauch eingeholt (56 f.). Die Bezugnahme der Texte auf die anthropologischen Stereotypen von der Revoltenfähigkeit beziehungsweise -anfälligkeit der nördlichen und südlichen Völker seit Bodin - die freilich nicht "nur" Stereotypen, sondern auch im Verständnishorizont der Zeit sozialgesetzliche Grundannahmen waren -, die polemischen Vergleiche der Ausbeutung der Neapolitaner mit der Ausbeutung der Ureinwohner in der Neuen Welt, aber auch die Invokation Gottes als dem Beschützer der Verteidiger seiner Gerechtigkeit auf Erden, werden vorgestellt.
Im Teil zum 'Nachleben' werden "Gespräche zwischen Toten" untersucht, und zwar zunächst anhand von Genreexemplaren, wie sie in Italien wieder in handschriftlicher Form unmittelbar nach der Enthauptung Masaniellos kursierten: Hier kann Masaniello zunächst sogar noch aus dem Jenseits die Mitstreiter zum Durchhalten auffordern. In Italien wird dies aber bald unmöglich, sodass aus dem Jenseits als Ort der Diskussion nur noch ein Ort der Verdammung wird: in etwas späteren Texten wird hier Masaniello als Büßer für seine schwere Sünde gezeigt. Anders hingegen im 1732 erschienenen 166. Gespräch aus dem Reich der Toten des preußischen Hofhistorikers, Zeitungsreferenten und Frühaufklärers David Fassmann: Hier kann Masaniello als bedauernswerter, naiver und zu gutmütiger, tragischer Held neben seinen erfolgreicheren Kollegen stehen.
Dies leitet über zur Darstellung des Nachlebens der Masaniello-Figur in europäischen Dramen 1649-1699: Englische Dramen (der anonyme Autor T.B. 1649, Thomas D'Urfey, John Cleveland), ein niederländisches (von Asselyn - in dem d'Alessio Anklänge an die monarchomachischen "Vindiciae contra tyrannos" entdecken will) und schließlich Christian Weises 'Von dem Neapolitanischen Haupt Rebellen Masaniello 1682': eine Entwicklung von einer rein ethischen Schuld/Unschuld-Thematik zu einer auf die Person Masaniellos als Heroen konzentrierten barocken tragischen Reflexion über Handlungsmöglichkeiten und Zeitverhältnisse, die d'Alessio wieder in eine (freilich abstrakte) Entwicklungslinie zur machiavellischen riscontro-Theorie stellt. Niederländische und deutsche Quellen werden in ihrer italienischen Übersetzung bearbeitet. Im letzten Abschnitt (153-170) wird die Aufmerksamkeit von europäischen Italien- und Neapel-Reisenden des 18. Jahrhunderts für die Revolte und Masaniello gezeigt und ihre Einbettung in eine, nach wie vor von den Nord/Süd-Stereotypen geprägte Diskussion über größere oder geringere Fähigkeit beziehungsweise Anfälligkeit der Völker zum Freiheitskampf umrissen.
Silvana d'Alessio hat eine in ihrer Themenstellung, im Aufbau und in ihrer fast literarischen Sensibilität für Metaphorik eigenwillige und anregende Studie zu einem freilich dicht beackerten Gebiet vorgelegt. Kritisch könnte man anmerken, dass die Verschränkung von medizinischer und politischer Sprache in der barocken Situations- und Weltanalyse im ersten Teil letztlich doch eher angetippt wird und das Potenzial, das hier sicher auch wissenschaftsgeschichtlich im Hinblick auf die noch nicht gänzlich ausdifferenzierten, aber in beiden Bereichen auf die Methodisierung der empirischen Welt- und Körperbearbeitung zielenden Wissensordnungen vorliegt, nicht ausgeschöpft ist. Auch erscheinen die Teile zur synchronen Analyse der politischen Sprache der Revolte selbst und zur diachronen Analyse des Nachlebens der Masaniello-Erinnerung etwas zu wenig verknüpft: in den letzteren Teilen fehlt die Körper- / Infektionsthematik auch nahezu vollständig. Dies mag am Quellenmaterial liegen, aber umso eher wäre an der Gelenkstelle zwischen Synchronie und Diachronie eine kurze heuristische Reflexion angebracht gewesen, die insbesondere die auch in Italien rezipierte Memoria- und lieu-de-mémoire-Diskussion einbezogen hätte. Alles in allem ist das Buch aber ein schöner, insbesondere an die englische Forschung anknüpfender Beitrag, der vielleicht einmal zur Erneuerung einer europäisch vergleichenden Analyse der Revolten und Revolutionen auf anderer als rein sozialgeschichtlicher Ebene animiert.
Cornel Zwierlein