Guido Hinterkeuser: Das Berliner Schloss. Der Umbau durch Andreas Schlüter, Berlin: Siedler 2003, 512 S., 440 s/w-Abb., ISBN 978-3-88680-792-5, EUR 39,90
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Das Berliner Schloss erfreut sich einer großen Beliebtheit in der Forschung, die inzwischen zu einer fast nicht mehr überschaubaren Literaturfülle geführt hat. Der Anteil Andreas Schlüters am großen Umbau um 1700 ist immer wieder kontrovers diskutiert worden, zumeist mit dem Ziel, einen renommierten Architekten zu etablieren (97-109). Mit der vorgelegten Dissertation zeichnet Guido Hinterkeuser die bemerkenswerte berufliche Entwicklung Andreas Schlüters und den Verlauf des Schlossbaus zur Zeit seines Wirkens in einer Weise nach, die nicht zuletzt auch neue Blicke auf vermeintlich Vertrautes eröffnet.
Die Arbeit ist konventionell gegliedert und präsentiert die Materialfülle in einem angemessenen Rahmen; alles in allem ein gediegener und auch lesenswerter Beitrag zur kunsthistorischen Forschung. Das opulent bebilderte Buch wird ergänzt von einem außergewöhnlich umfangreichen Katalog und dem Abdruck von Dokumentenauszügen. Es ist zu hoffen, dass diese Texte in Zukunft von anderen Forschern nicht nur als Quelle, sondern auch als Anregung für eigene neue Forschungsschwerpunkte dienen.
Hinterkeuser beginnt sein Buch mit Schlüters Arbeiten als Bildhauer für Jan III. Sobieski, König von Polen, und den ersten Schaffensjahren des Künstlers in Berlin. Da auch der Autor nicht klären kann, bei wem Schlüter gelernt hat, rekonstruiert er die einzelnen Stationen des Werdeganges möglichst präzise, um auf diesem Wege Einflüsse und Anregungen aufzuspüren. Dazu zählen Schlüters direkte Konkurrenten, aber auch Stuckateure und Architekten (22) sowie das Schloss in Wilanów. Leider lässt sich Schlüters Reisetätigkeit nur rudimentär nachweisen (30). Entsprechend der gängigen Praxis waren Stichvorlagen eine wichtige Inspirationsquelle, "derer sich Schlüter in seinen Stuck- und Bildhauerarbeiten immer wieder ohne Bedenken bediente" (40).
Nach einem Abriss der Baugeschichte des Berliner Schlosses bis zur Übernahme durch Schlüter 1698/99 liegt der Schwerpunkt des Buches auf einer dezidierten Aufarbeitung der Planungsabläufe unter der Leitung Schlüters und der stilistischen Herleitung von Details. Hinterkeuser belegt dabei Schlüters Aversion gegen ungegliederte Wandflächen und charakterisiert dessen Auffassung von Architektur, um schließlich den Stil zu definieren.
Hinterkeuser vertritt plausibel die These, dass die Bauarbeiten am Berliner Schloss vor der Berufung Schlüters niemals nach einem einheitlichen Plan erfolgten (109). Ein solcher Plan wurde erst erforderlich, als Friedrich III. mit dem Wiener Hof in Krönungsverhandlungen eintrat und im Zusammenhang damit das Schloss zum Monument seines Königtums ausgestaltet werden sollte.
Selbstverständlich gab es auch während Schlüters Zeit diverse Planungswechsel. Das Ziel, ein einheitliches Erscheinungsbild zu präsentieren, wurde dabei jedoch nie aus den Augen verloren. Das Ende des ersten großen Bauabschnittes bildete der Krönungseinzug Friedrichs am 6. Mai 1701. Entsprechend wurden in den Jahren zuvor die Bauaktivitäten gebündelt. Hinterkeuser kann in diesem Zusammenhang auch Mängel bzw. Fehlplanungen aufzeigen, die angesichts der Tatsache, dass Schlüter zu dieser Zeit als Architekt noch ein Anfänger war, wohl unausweichlich waren.
Der Anteil Schlüters am Umbau des Berliner Schlosses endete mit einem Desaster, als der von ihm umgestaltete Münzturm sich 1706 neigte und dann abgetragen werden musste. Zur Klärung der Unglücksursache wurde eine Untersuchungskommission eingesetzt (231 ff.). Schlüter wird seines Amtes als Schlossbaudirektor enthoben, bleibt aber als Hofbildhauer bestallt.
Leider behandelt Hinterkeuser die Einbindung des Berliner Schlosses in den europäischen Kontext recht knapp. Hier wäre es hilfreicher gewesen, stärker die Frage nach einer politisch motivierten Architektur zu stellen und Vergleiche zu anderen Schlossbauten zu suchen. So greift der Autor lediglich auf die zum Teil bereits seit dem 18. Jahrhundert bekannten und diskutierten Vorbilder zurück, ergänzt diese aber um interessante eigene Beobachtungen und präzisiert Details. Zeigte schon Werner Hagen 1942 die strukturellen Beziehungen zwischen den Architekturen Andreas Schlüters und Michelangelo Buonarrottis auf, so kann Hinterkeuser das ihnen "gemeinsame Denken in Wandschichten" (259) genauer definieren. Ebenfalls hinreichend bekannt ist der Einfluss der Louvre-Entwürfe des Gian Lorenzo Bernini auf die Architektursprache Schlüters (262-273). Mit Nicodemus Tessin d.J. und dessen Entwürfen für das Stockholmer Schloss sowie Johann Bernhard Fischer von Erlach werden zwei Zeitgenossen angeführt, die in königlichen bzw. kaiserlichen Diensten standen. Fischers Interesse am Berliner Schloss ist "ein Zeugnis für die Strahlkraft der jungen Königsmetropole". Da sie aber in dessen Werk nur "dezente Spuren" hinterlassen hat (281), fragt man sich unwillkürlich, welchen Stellenwert das Berliner Schloss denn nun wirklich bei seinen Zeitgenossen besaß: Wurde es von Architekten rezipiert, und wenn ja, welchen Großformen und / oder Details galt ihr Interesse? Hatte diese Residenz eine Vorbildfunktion für andere Regenten und wenn ja, welcher Intention folgte sie? Durch Ausblendung dieses Fragenkomplexes erhält zum Beispiel der Hinweis, dass der mit Schlüter zusammenarbeitende Hofmaurer und -stuckateur Giovanni Simonetti am Zerbster Schlossbau den Berliner Einfluss verarbeitete (226), lediglich den Stellenwert eines "netten" Nebenproduktes.
Möglicherweise hätte sich der Autor auf einer solchen Basis auch einer provokanten Fragestellung geöffnet: Das Berliner Schloss galt schon um 1700 - und damit bereits während des gravierenden Umbaus - als ein Höhepunkt der europäischen Architektur. Die in den Quellen belegte Wahrnehmung durch Zeitzeugen legt ein beredtes Zeugnis darüber ab. Was aber machte es dazu? War es die Einzigartigkeit des Gebäudes, die Standeserhebung des Regenten, die eher ungewöhnliche Karriere des Architekten oder die immer wiederkehrende Besprechung in Reisebeschreibungen bzw. die Abbildung in Skizzenbücher der reisenden Künstler? Vielleicht handelte es sich dabei um ein intellektuelles Konstrukt. Möglicherweise unterliegen wir (wie seinerzeit das Publikum) noch heute dem, was nicht nur in Preußen, sondern ebenfalls in anderen Ländern als Instrument bewusst eingesetzt worden ist. Ich möchte den Fokus auf die zeitgenössische Eigen-"Werbung" richten. Schließlich wurde nicht von ungefähr parallel zum Schlossumbau und der zu erwartenden Königswürde eine intensive Verbreitung / Bekanntmachung der Architektur in den unterschiedlichsten Bildmedien und Landesbeschreibungen betrieben, um damit letztlich den wesentlichen Anspruch zu manifestieren: Die Zugehörigkeit zu den Ersten im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Die oben gestellte Frage lässt sich allerdings wohl nur beantworten, wenn auch die publizierten Stichfolgen und Landesbeschreibungen etc. in eine entsprechende Analyse einbezogen werden.
Edith Ulferts