Claudia A. Zonta: Schlesische Studenten an italienischen Universitäten. Eine prosopographische Studie zur frühneuzeitlichen Bildungsgeschichte (= Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte; Bd. 10), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004, X + 539 S., ISBN 978-3-412-12404-5, EUR 74,90
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Der Boom der Schlesienforschung der 1990er-Jahre flaut im neuen Jahrhundert zwar nicht ab, das Interesse der Forscher verlagert sich allerdings immer mehr von der Neueren in die Neueste Geschichte. Ob es am Überdruss an den schlesischen frühneuzeitlichen Themen liegt oder an der Quellensituation - der Befund entzieht sich einer objektiven Begründung. Und dies umso mehr, als sich gerade die Veröffentlichungen der Böhlau'schen Schriftenreihe durch eine akribische Suche nach den Quellen und beispielhafte Nutzung der Archive auszeichnen. Was für die beiden letzten Bände der Reihe galt, kann man auch für das Buch von Claudia A. Zonta, eine überarbeitete Stuttgarter Dissertation über das Italienstudium der Schlesier in den Jahren 1526 bis 1740, festhalten: Der Umgang mit den Quellen schreibt hier ebenso Geschichte. Es ist sehr erfreulich, dass ein Vorhaben zum Abschluss gebracht werden konnte, das eine Kontinuität des vor vielen Jahren in Stuttgart initiierten Schlesischen Projekts sichert und sich in diese Tradition einfügt.
Über das eigentliche Thema der Dissertation hinaus versteht sich die Arbeit als eine bildungsgeschichtliche Studie, die Anschluss an die bereits Ende des 19. Jahrhunderts betriebene und seit den frühen 1940er-Jahren erneut in Angriff genommene Aufarbeitung der Matrikeln der oberitalienischen Universitäten gesucht und - cum grano salis - gefunden hat. War das bisherige Bemühen der Forschung in erster Linie auf die Erfassung der "deutschen" Präsenz an den Universitäten in Oberitalien fokussiert, konzentriert sich diese Studie darauf, den schlesischen Spuren an den Hochschulen (und gelegentlich Gymnasien) in Padua, Bologna, Rom, Perugia, Siena und anderen "akademischen" Orten nachzugehen. Sie zeigt Raster für die Studienaufenthalte der Schlesier auf, entdeckt Netzwerke, in denen sie sich bewegten, schildert Strukturen ihrer Ausbildung und - was methodisch eine Abrundung für die Arbeit bedeutet - verweist auf berufliche Perspektiven und Karrierenverläufe der früheren Studenten nach ihrer Rückkehr in die Heimat.
Die Studie besticht durch ihre klare Aufteilung und scheinbar schmucklose Darstellung. Bereits in der Einleitung werden Fragestellung und Themeneingrenzung, Methode, Quellen und Forschungsstand sehr deutlich formuliert. Es sollte ein Katalog aller "aus Archiven und Quellen faßbaren" schlesischen Studenten erstellt und im Einklang mit dem bildungsgeschichtlichen Ansatz analysiert werden. Eine statistisch-quantitative Untersuchung der allgemeinen und "nationalen" Matrikeln sollte durch das Heranziehen weiterer Quellen: der Prüfungsprotokolle, Jahresberichte der natio germanica, der Korrespondenz zwischen der Universität und der Stadtverwaltung, der Prokuratoren- und Konsiliarenlisten, der offiziellen Zeugenaussagen zu Prüfungskandidaten, abgerundet werden.
Die gewählten Quellen eignen sich tatsächlich vorzüglich dazu, über die rein statistische Erfassung hinaus Aussagen biografischer Art zu treffen. Umso dankbarer muss der Leser für die Beschreibung und Charakteristik der einzelnen Quellen sein, auch wenn das an sich zum "Basiswissen" eines Historikers gehört. Ergänzt durch einen Exkurs über die europäische Universitätslandschaft der Vormoderne gewährleistet diese Grundlage Einsichten in den Arbeitsprozess. Das öfters vorgebrachte Argument der Konfessionalisierung der Hochschulen und der damit zusammenhängenden Einschränkung bei der Wahl der Studienorte konnte dadurch überzeugend aus dem statistischen Material abgeleitet werden.
Es verwundert auch nicht, dass eine so disziplinierte Handhabung der Quellen in den Ergebnissen der Studie ihren Niederschlag findet. Die detaillierten, aus den statistischen Angaben herausgearbeiteten Reisemotive der Schlesier - von der Bildungsreise bis zur Kavalierstour - ermöglichen der Verfasserin, dank der ergänzenden Heranziehung narrativer Quellen, über den Typus eines Akademikers hinaus, der in Italien mit Vorliebe Jura oder Medizin studiert, eine weitere Typologie aufzustellen. Es sind der Wallfahrer, der Dichter, der Soldat und der Kaufmann, die bevorzugt als Reisevorbilder in den gedruckten Quellen Belege finden. Eine weitere interessante Besonderheit, die auffällt und aufschlussreich ist, bildet die Reisegruppe. Anhand der Einträge in die Matrikeln und der Erwähnung in den Prüfungsprotokollen konnte die Verfasserin wichtige Netzwerkverbindungen feststellen, die für weitere sozial-politische Fragestellungen von erstrangiger Bedeutung sein können. Zwar kennt man in der Forschung dank der Auswertung der Stamm- und Tagebüchereintragungen oder der Funeralien die wichtigsten (aber auch die offensichtlichsten) Klientelverbindungen der schlesischen res publica litteraria - selten kann man sie aber mit einer solchen Genauigkeit flächendeckend fassen.
Sehr überzeugend werden die Karriereverläufe der in Italien studierten Schlesier dargestellt. Zonta ist den Strukturen der königlichen und Reichsämter nachgegangen und hat die Karrieremuster aus dem biografischen Material und der Forschung über den Aufbau und die Funktion dieser Ämter präzise herausgearbeitet. Die Schlesier fanden nach ihrem Studium Einstellung als Advokaten, Prokuratoren, Gerichtsschreiber oder öffentliche Notare in der städtischen oder fürstlichen Administration. Sie waren auch in der Landesverwaltung vertreten. Schlesische Adlige konnten ihre Ausbildung im diplomatischen Dienst zur Geltung bringen oder auch im Breslauer Oberamt und in der Schlesischen Kammer. Die städtischen Ämter standen mit ihren Posten der Syndici, Konsuln oder Schöffen vorwiegend für Bürgerliche offen. Diese hatten aber darüber hinaus die Möglichkeit, in Ratsherrenkollegien oder aber an Reichsinstitutionen tätig zu sein. Sie bekleideten dort vielleicht nicht die höchsten Ämter (wie das eines Reichsvizekanzlers), waren jedoch in der Beamtenschaft (als Reichskanzleisekretäre) vertreten. Überdies war eine italienische Promotion eine gute Visitenkarte für den Eintritt in den kaiserlichen Beamtendienst des Appellationsrates mit Sitz in Prag.
Es erstaunt, wie viele Nuancen der politischen und Verwaltungsgeschichte sich durch das geschickte Nutzen des Quellenmaterials und der vorhandenen Forschungsergebnisse ans Tageslicht fördern lassen. Die "Berufsgruppen", denen sich die Verfasserin widmet, sind neben den Juristen auch die Theologen und Mediziner - allesamt Funktionen, die einer fundierten Ausbildung bedurften, um eine berufliche Prestigefunktion zu erwerben und ein soziales Ansehen zu erreichen. So eröffnete das Theologiestudium in Italien den Absolventen einen Weg in eine geistliche Karriere, die über die Seelsorge in der Pfarrei hinausging. Daneben stand ihnen die Möglichkeit offen, in das Breslauer Domkapitel oder in die Stifte in Glogau, Neiße und Ratibor aufgenommen zu werden. Insbesondere das Domkapitel schuf sogar Anreize in Form von Stipendien, damit ein Student an einer anerkannten Universität wie Bologna oder Paris immatrikuliert werden konnte.
Zonta ist es auch gelungen, bei jedem Karriereverlauf den Ständeunterschied im Auge zu behalten. War bei den Juristen und Theologen ihre adlige Herkunft ein deutliches (zusätzliches) Plus in der weiteren Karriere, war das Medizinstudium im Wesentlichen eine bürgerliche Angelegenheit. Die schlesischen Philosophie- und Medizinstudenten bildeten die zweitgrößte Gruppe unter den in Italien Immatrikulierten. Auch hier waren Padua und Bologna bevorzugte Studienorte. Nach ihrer Rückkehr in die Heimat praktizierten die (meist promovierten) Ärzte in ihren Herkunftsorten. Dort wurden sie oft als Stadtphysici eingesetzt, nicht selten übernahmen sie eine Aufsichtsfunktion im öffentlichen Gesundheitswesen, fungierten als Spezialisten in ihren Fachbereichen.
Einen wesentlichen Teil der Studie bilden die Biogramme der schlesischen Studenten. Hier zahlt sich die Akribie aus, mit der die Verfasserin die ihr zur Verfügung stehenden Quellen und Literatur miteinander verknüpft und in eine Art Curriculum Vitae münden lässt. Und es lohnt sich tatsächlich, die vorangestellten methodischen Überlegungen und die forschungsgeschichtlichen Berichte zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen, um den biografischen Teil nicht nur als lexikonartige Hilfestellung für die eigene Forschung im Auge zu behalten, sondern ihn als Resultat eines durchdachten Forschungskonzepts zu würdigen. Dieser Teil umfasst mehr als die Hälfte des über 500 Seiten starken Buches und ist für die Schlesienforschung ein eminenter Gewinn. Die Biogramme lassen sich leicht durch ein Personen- und Ortsregister erschließen. Dem Band ist - neben dem üblichen Quellen- und Literaturverzeichnis - eine sehr gute, auf den polnischen Leser fokussierte Zusammenfassung in polnischer Sprache hinzugefügt.
Małgorzata Morawiec