Emanuel Poche: Matthias Bernhard Braun. Monographie. Hrsg. v. Hans Jäger, Innsbruck: StudienVerlag 2003, 336 S., 227 Abb., ISBN 978-3-7065-1856-7, EUR 69,00
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Matthias Bernhard Braun (1684-1738) war einer der wichtigsten Bildhauer seiner Zeit. Der gebürtige Tiroler verarbeitete italienische und süddeutsch-östereichische Vorbilder zu einem Stil, der die Vorstellung vom "böhmischen" Barock bis heute stark bestimmt. Da Braun mit zwei Hauptwerken, der hl. Luitgard (1710) sowie dem hl. Ivo (1711) auf der Prager Karlsbrücke vertreten ist, erfreut sich sein Name auch bei einem breiteren Publikum einer gewissen Bekanntheit. (Die hl. Ludmilla bleibt wohl weiterhin umstritten.) Auch seine großartige Bauplastik, etwa am Palais Clam-Gallas (ab 1714) gehört zu den markantesten Bildhauerarbeiten im Prager Stadtbild. Zahlreiche weitere Werke Brauns befinden sich jedoch an etwas abgelegeneren Orten Böhmens, da er nämlich wohl schon seit 1712 für den Grafen Franz Anton Sporck arbeitete. Im Auftrag Sporcks - er war eine ausgesprochen exzentrische Gestalt - schuf Braun in den folgenden Jahren in Kukus (Kuks) ein sehr beeindruckendes Ensemble von Skulpturen.
Der zweifellos beste Kenner des umfangreichen Œuvres Brauns war der tschechische Kunsthistoriker Emanuel Poche (1903-1987). Bereits 1965 legte er eine Monografie über Braun vor, die 1986 in einer zweiten, erweiterten Auflage erschienen ist. Es handelt sich um die umfassendste Arbeit, die bisher zu Braun vorgelegt wurde. Obwohl beiden in tschechischer Sprache verfassten Büchern jeweils auch eine kurze deutsche Zusammenfassung beigegeben ist, wurde die große Leistung Poches im deutschen Sprachraum kaum rezipiert. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass dieses Werk - in der Fassung von 1986 und um einen kleinen Anhang erweitert - nun in einer deutschen Übersetzung vorliegt.
Poche geht chronologisch vor. Während die tschechische Ausgabe von 1986 aber auf jede Gliederung des Inhaltsverzeichnisses verzichtete, bringt die deutsche Ausgabe in dieser Hinsicht eine Neuerung. Die von Poche vorgeschlagene Epocheneinteilung des Braun'schen Werkes spiegelt sich nun auch in verschiedenen Zwischenüberschriften wider, die vielleicht etwas zu plakativ geraten sind.
Am Beginn stehen also kurze Ausführungen (10-33) zur Herkunft Brauns sowie zu den künstlerischen Grundlagen seiner Arbeit. Anschließend werden mehrere kleinere Kapitel unter der Überschrift "Das Früh- und Hauptwerk bis 1720 in Prag, Kukus und Lissa an der Elbe" (33-142) zusammengefasst. Tatsächlich liegt hier ein Schwerpunkt des Buches. Zuerst widmet sich der Verfasser den beiden Figurengruppen der hl. Luitgard und des hl. Ivo auf der Karlsbrücke. Das besondere Interesse Poches gilt jedoch den ersten Werken Brauns für den Grafen Sporck. Bereits hier werden die Stärken seines Vorgehens deutlich. Poche verfügt über einen sehr genauen Blick, und es gelingt ihm, seine Beobachtungen dem Leser zu vermitteln. Besonders hervorzuheben ist auch, dass Poche eine ausführliche inhaltliche Deutung der ungewöhnlichen Werke versucht. Es werden aber auch bereits an dieser Stelle einige Probleme deutlich; so wäre es dem Werk sicher zugute gekommen, wenn der Verfasser intensivere Archivarbeiten betrieben bzw. diese in seiner Arbeit ausführlicher dokumentiert hätte. Dem Leser bleibt eigentlich kaum etwas anderes übrig, als sich völlig auf das - natürlich sehr kompetente, aber leider kaum überprüfbare - Urteil Poches zu verlassen.
Der folgende, viel kürzere Abschnitt behandelt "Die Bildhauerarbeiten in Nordwestböhmen vor 1720" (142-153). In diese Zeit fällt etwa die Errichtung der Teplitzer Pestsäule (1718/19). Es handelt sich um ein außergewöhnlich repräsentatives Werk, das Poche mit wenigen treffenden Worten beschreibt. Großen Wert legt er auf die Scheidung der möglicherweise beteiligten Hände. Für die Ikonografie interessiert er sich jedoch in diesem Falle nur am Rande. Im Anschluss folgt "Das Werkschaffen bis Mitte der 20er Jahre des 18. Jahrhunderts" (153-195). In diesen zeitlichen Bereich fallen auch weitere Werke für Graf Sporck, zumal die erstaunlichen Plastiken im Neuwald bei Schurz. Der Graf ließ diesen Wald zu einer sakralen Landschaft umgestalten, indem er die Braun'sche Werkstatt beauftragte, natürliche Felsstücke bildhauerisch zu bearbeiten, hinzu kamen Einsiedeleien und Kapellen. Das Ergebnis - Sporck gab ihm den Namen "Bethlehem" - dürfte einmalig sein. Gerade diesen Passagen merkt man das besondere Interesse Poches an, der hier offensichtlich auf viele eigene und fremde Archivstudien zurückgreifen konnte. Ein weiteres wichtiges Werk dieser Epoche ist der Hochaltar (1717-1723) der Marienkirche in Altbunzlau. Die Lektüre dieser Passagen zeigt beispielhaft, dass sich Poche vor allem für stilistische Überlegungen interessiert. Der Verfasser möchte nämlich nur die hier dargestellte Himmelfahrtsgruppe an Braun geben, während er die Apostel als Werke eines Nachfolgers ansieht, "der die Tragweite und den Sinn der Mittel in Brauns Kunst entweder nicht begriff oder nicht beachtete" (154). Man bemerkt hier einerseits Poches sehr genaue Beobachtungsgabe, andererseits seine Bevorzugung des Hochbarock. Angesichts der heute überall spürbaren extremen Zurückhaltung bei der Beschreibung von Kunstwerken wirken Poches deutliche Worte jedoch oftmals recht erfrischend, wenn er etwa in Bezug auf das Grabmal des Grafen Leopold Schlick im Prager Veitsdom (vollendet 1725) schreibt: "Am wertvollsten ist die Büste von Schlick" (171). Denn genau das entspricht tatsächlich dem optischen Befund.
Ähnlich geht Poche auch in den folgenden Abschnitten vor, sie tragen die Überschriften: "Die Braunsche Werkstatt ab Mitte der 20er-Jahre des 18. Jahrhunderts" (196-258) und "Das Werkschaffen der 30er Jahre des 18. Jahrhunderts" (258-300). Der Verfasser spricht hier von der "Lockerung des großen Stils im Werkstättenschaffen zu Beginn der 30er Jahre". Seine Bevorzugung des Frühwerks wird hier nochmals sehr deutlich. Poche nimmt den stilistischen Wandel als Verfall wahr - eine Sicht der Dinge, der man nicht unbedingt zustimmen muss.
Von großer Bedeutung für die vorliegende Publikation sind die vielen Abbildungen, die zum Teil eine sehr hohe Qualität besitzen, die aber manchmal für ein wissenschaftliches Werk doch zu stimmungsvoll geraten sind. Leider gibt auch die Drucktechnik nicht immer alle Graustufen angemessen wieder. Es gibt jedoch zahlreiche Aufnahmen, die von einer so beeindruckenden Schönheit sind, dass man getrost über die wenigen anderen hinwegblättert.
Auch wenn das vorliegende Buch noch einige Wünsche offen lässt, ist es doch überhaupt nicht fraglich, dass man zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine bessere Arbeit über Braun finden kann. Es ist ein sehr persönliches, gelegentlich sogar anrührend-ergreifendes Buch, das aus einer lebenslangen intensiven Beschäftigung mit einem der bedeutendsten barocken Bildhauer Europas hervorgegangen ist.
Christian Hecht