Christiane Pfanz-Sponagel: Vom Frauenverein zum Mandat. Frauen, Frauenbewegung und Politik im Rhein-Neckar-Raum 1890-1933 (= Mannheimer Historische Forschungen; Bd. 21), Ludwigshafen: Llux Verlag 2004, 373 S., ISBN 978-3-938031-12-4, EUR 29,50
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Diese Dissertation traf 2004, 100 Jahre nach Gründung des International Council of Women Suffrage, auf besonderes Interesse. Aus diesem Anlass ging es auf der Tagung des Deutschen Staatsbürgerinnenverbandes Berlin im September letzten Jahres unter anderem auch darum, stärker als bisher regionale Quellen auszuwerten und in die geschlechtergeschichtliche Forschung einzubinden. Mit der vorliegenden Regionalstudie darf also ein wichtiges neues 'Puzzleteil' erwartet werden, welches das Gesamtbild abrundet und gegebenenfalls modifiziert. Pfanz-Sponagel untersucht die Städte Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg sowie die regionale politische Szene. Ein oft unterschätztes, aber wichtiges Ergebnis sei gleich vorweggenommen: Es zeigt sich, dass die unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen für Vereinsgründungen in den badischen und bayerischen Landesteilen auch Unterschiede in den zeitlichen Phasen der Entstehung und Konsolidierung von Frauenorganisationen mit sich brachten.
Die Autorin agiert in einem engen zeitlichen Rahmen. Nur die Jahrhundertwende und die Zwanzigerjahre werden genauer beleuchtet, der Erste Weltkrieg bleibt ausgespart, ebenso die Vorgeschichte der Frauenemanzipation im 19. Jahrhundert. Das ist leider eine vergebene Chance, bezog doch die Frauenbewegung wesentliche politische Impulse aus der Revolutionszeit und der Aufbruchstimmung der Sechzigerjahre. Nach der 1894 erfolgten Gründung des Bundes der deutschen Frauenvereine (BDF) und der Lockerung des Vereinsrechts 1908 entstand allerdings in der Tat eine deutlich erhöhte Bereitschaft von Frauen, sich in Vereinen zu organisieren.
Abgesehen von einer nicht ganz einleuchtenden, weil in der Untersuchung selbst nicht eingelösten Parteiergreifung für die 'Geschlechtergeschichte' gegenüber der so genannten 'Frauengeschichte' der ersten Jahre feministischer Forschung werden einleitend nur wenige theoretische Bemerkungen vorgenommen. Die sehr kurz gefasste Unterscheidung der "zwei Richtungen" (22) der deutschen Frauenbewegung, der "gemäßigte Flügel mit dem Programm der 'organisierten Mütterlichkeit'" einerseits und die "radikalen Feministinnen, die sich für die Gleichstellung mit dem Mann einsetzten" andererseits (22), trägt nicht viel zur Charakterisierung der untersuchten Frauenvereine bei. [1] Die sozialpolitischen Anstrengungen der meisten Frauenvereine und die anfänglich erzwungene Passivität in allgemeinpolitischen Fragen erlauben nicht ohne Weiteres, sie dem konservativen Lager zuzurechnen. So einheitlich stellte sich auch der 'linke Flügel' der deutschen Frauenbewegung nicht immer als radikaler Feminismus dar. Gleichwohl haben wir nun erstmals einen Überblick über die Frauenvereine des Raumes Mannheim, Ludwigsburg und Heidelberg. Mit voller Absicht versteht sich diese Arbeit daher auch als Beitrag zur Regionalgeschichte unter veränderter Perspektive, nämlich unter der Berücksichtigung des Geschlechterverhältnisses.
Die Quellenlage für dieses Forschungsvorhaben war "ausgesprochen ungünstig" (19), da wesentliche Aktenbestände vor allem aus der Stadt Mannheim im Krieg verloren gingen, weniger in Heidelberg und Ludwigshafen. Daher spielen die sekundären Quellen, also Zeitschriften und Druckerzeugnisse der Frauenbewegung, eine zentrale Rolle. Hier hat eine nicht ganz einsichtige Beschränkung auf wenige einzelne Aufsätze verschiedener Herkunft und die Jahresberichte des BDF stattgefunden. Eine systematische Zeitschriftenanalyse der Neuen Bahnen, der Gleichheit, der Frauenbewegung ist wohl nicht erfolgt. [2] Aber es konnte auf die Bestände des Helene-Lange-Archivs in Berlin zurückgegriffen werden, das wertvolle Informationen aus der Geschichte des BDF bereit hält. Die Autorin arbeitete sich also überwiegend durch örtliches Archiv- und Pressematerial und durch die inzwischen reichlich vorliegende Sekundärliteratur hindurch und gelangte dabei zu interessanten neuen Einschätzungen und zu kritischen Anmerkungen über darin gewonnene Einsichten, die hier nicht weiter bewertet werden sollen. Vor allem gelingt es ihr, die reichsweite Entwicklung der Frauenbewegung als Hintergrund der regionalen Geschehnisse immer wieder deutlich zu machen.
Kapitel 2 schildert die Geschicke der untersuchten Frauenorganisationen und ihrer Vertreterinnen. Begonnen wird mit den sozialdemokratischen Frauengruppen und deren Aktivistinnen, die sich zwischen praktischer Sozialarbeit und politischer Agitation bewegten. Die Autorin kommt zu dem - nicht überraschenden - Schluss, dass innerhalb der deutschen Sozialdemokratie einer realen Frauenemanzipation ebenso wenig Raum gegeben wurde wie in anderen Parteien, da sich das Frauenbild der Sozialisten von dem traditionellen bürgerlichen kaum unterschied. Das beeinträchtigte die Arbeit der nur nachgeordneten Frauengruppen deutlich. Bekannt sind der hoffnungslose Kampf um Lohngleichheit und die Stimmrechtsfrage. Nach dem Abwandern führender Sozialdemokratinnen zur USPD änderte sich die politische Bewusstseinslage in den sozialdemokratischen Frauenorganisationen noch mehr und sie maßen dem Stimmrecht kaum noch Bedeutung bei. Sie engagierten sich nunmehr vor allem erfolgreich in der Arbeiterwohlfahrt (AWO).
Auf knappstem Raum wird das gesamte Spektrum der bürgerlichen Frauenbewegung (vom 'Deutschen Frauenausschuss für dauernden Frieden' über den 'Hausfrauenbund', den 'Badischen Frauenverein' bis hin zum 'Königin-Luise-Bund') abgehandelt. [3] In ihrer Programmatik und praktischen Arbeit erweisen sich diese Vereine als überwiegend sozialpolitisch interessiert. Der Badische Verein für Frauenstimmrecht und Ortsgruppen wurden in den Jahren 1906 bis 1908 gegründet, gehörten aber alle in Programm und Aktion nicht zum radikalen Flügel. Besonders hervorzuheben ist die rege Aktivität der Mannheimer Bewegung für Mutterschutz, die Pfanz-Sponagel für eine anfänglich 'radikale' Gruppe hält. Sie war sehr aktiv und kämpfte für die Reform des § 218, ohne allerdings politisch den Weg der 'Neuen Ethik' Helene Stöckers im reichsweiten 'Bund für Mutterschutz' ganz mitzugehen. 1927 trat der Mannheimer Verband aus dem Dachverband aus. Sein Weg führte dann "konsequent" (97), wie die Autorin meint, in die nationalsozialistischen Frauenorganisationen, während der 'Bund' verboten wurde.
Es schließt sich ein informativer Teil über einzelne Protagonistinnen an, der durch Kurzbiografien im Anhang noch ergänzt wird. Auch die aktive Mitarbeit von Frauen im BDF und die persönlichen Netzwerke der beteiligten Frauen untereinander werden geschildert, wenngleich die Autorin eigentlich von der Theorie der Netzwerkkultur unter den Frauen wenig hält (vgl. 43, Anm. 1). [4] Immerhin kommen hier einmal auszugsweise Quellen selbst zu Wort, nämlich die Korrespondenzen der führenden Köpfe in der regionalen Frauenszene, die die gegenseitige Unterstützung deutlich machen.
Kernstück der Arbeit ist aber nicht die Vereinsgeschichte, sondern das 'Wahlverhalten' der Frauen in der Region, das im Kapitel 3 analysiert wird. In Wohlfahrtsorganisationen professionalisierten sich Frauen so weit, dass in Baden schon 1874 - einer der seltenen Rückblicke - eine Vereinbarung zwischen der örtlichen Armenpflege und Schulaufsicht sowie dem Badischen Frauenverein über dessen Mitwirkung getroffen werden konnte. Pfanz-Sponagel hält zu Recht die ehrenamtliche Sozialarbeit der Frauen für die wichtigste Grundlage ihrer späteren politischen Betätigung, zu der das Stimmrecht 1918 nur noch hinzu kam: "das Frauenwahlrecht - vor allem in Baden - [bedeutete] keine allzu große Zäsur, keine qualitative Veränderung, sondern nur eine quantitative Zunahme" (135). Letzteres wäre zu diskutieren. Richtig ist sicher, dass alle Frauenvereine der Lockerung durch die Änderungen des Vereinsgesetzes von 1908 große Bedeutung beimaßen. Nach dem zweiten Schritt, dem Parteieintritt, warteten keine besonders positiven Erfahrungen auf die Frauen. Im Gegensatz zur SPD war die Bereitschaft der bürgerlichen Parteien nämlich nicht sehr ausgeprägt, weibliche Mitglieder aufzunehmen. Eine Ausnahme scheinen die badischen Nationalliberalen gewesen zu sein. In diese Partei drängten führende Köpfe der badischen Frauenbewegung, ohne hier auf eine nutzbare Infrastruktur (Arbeitsgruppen, Öffentlichkeitsarbeit) zu treffen.
Als Wählerinnen hingegen waren die Frauen sehr umworben. Die Beteiligung der Frauen an den zahlreichen Wahlen nahm im Laufe der Jahre 1919 bis 1932 stetig zu. Besonders interessiert sich die Autorin für die viel diskutierte Frage der Affinität oder Resistenz der Frauen gegenüber der NSDAP (216 ff.). Ihre Auswertung örtlicher Statistiken unterstreicht den reichsweiten Trend, wie er in der Forschungsliteratur schon bekannt ist: bis 1930 größere Zurückhaltung der Frauen, ab 1932 vermehrte Wahl der NDSAP vor allem in protestantischen Landesteilen. Anschauliche Wahlbeteiligungsanalysen in Tabellenform und grafische Darstellungen der Wahlergebnisse bilden den Hauptteil dieses Kapitels, dem sich ein ebenso gründlicher Bericht über die Beteiligung von Frauen in den Kommunal- und Landesparlamenten anschließt, der die ernüchternde Tatsache ganz geringer Repräsentanz aufweist, allerdings auch deutliche Unterschiede in der Gewichtung innerhalb der Parteien, und das abweichend von der reichsweiten Entwicklung. In diesem Kapitel liegt die eigentliche Bedeutung dieser Arbeit als Grundlagenforschung.
Die Autorin hält es in ihrer Schlussbetrachtung für erwiesen, dass "der Rhein-Neckar-Raum ein Zentrum der deutschen Frauenbewegung" war (285). Den roten Faden dieser Untersuchung bilden die Erfolge und Misserfolge der Frauen auf dem Weg in die politische Partizipation, gemessen an Organisationsgraden und Vereinsgründungen und immer wieder im Vergleich zur reichsweiten Lage. Dem gegenüber kommen Diskurse, langfristige Ziele und inhaltliche Auseinandersetzungen meines Erachtens zu kurz, die unter den Frauen im Rhein-Neckar-Raum ebenso stattgefunden haben müssen wie andernorts. Nur selten dürfen die Quellen selber sprechen. Das ist manchmal schade, zumal so die Lesbarkeit erhöht worden wäre, schmälert aber nicht die nun gewonnenen Erkenntnisse über die Frauenbewegung in diesem Raum.
Anmerkungen:
[1] Die Autorin bevorzugt Forschungsergebnisse der jüngeren Generation, die das Geschlechterverhältnis in den Mittelpunkt stellen, zum Beispiel Hanna Schissler: Geschlechtergeschichte, in: Was ist Gesellschaftsgeschichte? Positionen, Themen, Analysen, München 1991, 22-30; Ute Frevert: Frauengeschichte. Zwischen bürgerlicher Verbesserung und neuer Weiblichkeit, Frankfurt a.M. 1986 u.ö.; daneben die 'klassische' Studie von Barbara Greven-Aschoff: Die bürgerliche Frauenbewegung in Deutschland 1894 bis 1933, Göttingen 1981. Kritisch geht sie beispielsweise mit Thesen von Ute Gerhard: Unerhört. Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung. Unter Mitarbeit von Ulla Wischermann, Reinbek bei Hamburg 1990 und Karin Hausen: Öffentlichkeit und Privatheit. Gesellschaftspolitische Konstruktionen und die Geschichte der Geschlechterbeziehungen, in: Journal für Geschichte 1989, Heft 1, 16-26, um. Die neuere Literatur zur Geschichte der Frauenbewegungen in Europa, die auf den vorangegangenen Studien aufbauen, wie etwa Susan Zimmermann: Die bessere Hälfte? Frauenbewegungen und Frauenbestrebungen im Ungarn der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918, Budapest 1999 und Elisabeth Dickmann: Die italienische Frauenbewegung im 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2002, sind nicht berücksichtigt.
[2] Die Neuen Bahnen, hg. von Louise Otto-Peters u.a. Leipzig 1866 ff., das Organ des ADF. Die Gleichheit, hg. von Emma Ihrer, später Klara Zetkin, Stuttgart 1892 ff., das Organ der sozialdemokratischen Frauenorganisationen. Die Frauenbewegung, hg. von Minna Cauer, Berlin 1895 ff., das Sprachrohr des 'Linken Flügels' der deutschen Frauenbewegung.
[3] Vgl. Gerhard: Unerhört (wie Anm. 1), und die Regionalstudie von Kerstin Wolf: Wir wollen die Anerkennung der Hausfrauentätigkeit als Beruf. Der Kasseler Hausfrauenverein 1915 -1935, Kassel 1995.
[4] Im Gegensatz zu Beatrix Geisel: Klasse, Geschlecht und Recht, Baden-Baden 1997 und Christine Klausmann: Politik und Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, Frankfurt / Main 1997, schätzt Pfanz-Sponagel die Bedeutung der informellen Infrastruktur, also die Netzwerke, für relativ gering ein, was nicht unbedingt überzeugend vertreten wird.
Elisabeth Dickmann