Rezension über:

Gerda Bödefeld: Die Villen von Siena und ihre Bauherren. Architektur und Lebenswirklichkeit im frühen 16. Jahrhundert, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2003, 250 S., 10 Farb-, 60 s/w-Abb., ISBN 978-3-496-01273-3, EUR 49,00
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Rezension von:
Sonja Müller
Fachbereich Architektur, Technische Universität, Darmstadt
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Hoppe
Empfohlene Zitierweise:
Sonja Müller: Rezension von: Gerda Bödefeld: Die Villen von Siena und ihre Bauherren. Architektur und Lebenswirklichkeit im frühen 16. Jahrhundert, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2003, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 9 [15.09.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/09/3938.html


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Gerda Bödefeld: Die Villen von Siena und ihre Bauherren

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Aufgeteilt in insgesamt vier Kapitel widmet sich die vorliegende Publikation der Villenarchitektur der sienesischen Renaissance.

Nach einem einführenden Teil, der sich der Terminologie und der Formengeschichte der toskanischen Villa der Frührenaissance widmet, stellt die Autorin exemplarische Bauten aus der Umgebung von Siena vor. Es folgt ein Katalog von 20 sienesischen Villen vom 15. bis ins 18. Jahrhundert, der einen knappen Überblick vermittelt. Ein abschließendes Kapitel beschäftigt sich mit Agrarwirtschaft, Territorium und ökonomischen Fragen des Senese. Eine umfangreiche Sammlung bis dato unveröffentlichter Dokumente aus verschiedenen Archiven ergänzt die Publikation.

Wie alle Schriften, die sich mit der Kultur der italienischen Villa auseinandersetzen, kommt auch die vorliegende Publikation um eine Definition der Begriffe 'Villa' und 'Villeggiatura' nicht herum. Die Autorin kritisiert die Vermischung beider Begriffe in der Fachliteratur und geht hierbei bis ins hohe Mittelalter zurück. Zweifelsohne ist es richtig, dass der Begriff der Villa eng mit dem Kunstwollen und der Ideologie von Auftraggeber und Architekten verbunden ist, es darf jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, dass sowohl die präzise Zuweisung von Begriffen zu Gebäudetypen eine neuzeitliche ist, als auch eine Untertreibung des Immobilienbesitzes in den Steuererklärungen durchaus üblich war.

Einen kurzen Exkurs widmet die Autorin der von ihr so benannten 'Peruzzi-Legende', indem sie vehement, und das zu Recht, die sich bis in die unmittelbare Gegenwart fortsetzende und auf einem Text des 18. Jahrhunderts basierende Zuschreibung zahlreicher Villen an den genannten Baumeister infrage stellt.

Hauptthese der Arbeit jedoch ist die erstaunliche Homogenität der sienesischen Villenbauten, die Bödefeld nicht nur typologisch begründet, nämlich durch das verbreitete Motiv der doppelstöckigen Mittelloggia, sondern auch durch detailgenaue Bauaufnahmen und Proportionsstudien nachweist.

Die doppelstöckige Loggia vereint den überdachten, vor ungünstigem Klima schützenden Arbeitsraum mit dem repräsentativen Zentrum der Fassade des Herrenhauses. Bereits im einleitenden Teil beschäftigt sich die Autorin intensiv mit diesem Detail und fragt nach dessen typologischer Herkunft und Überlieferung. Die These einer unmittelbaren Herkunft aus Byzanz über den Pisaner Hafen scheint mir gewagt. Weiteres typisches, die Bauten des Senese kennzeichnendes Element ist die nahezu ausschließliche Verwendung des mattone, des Backsteines. Auf Seite 38/39 listet die Autorin sämtliche Charakteristika der sienesischen Villa auf. Es schließt sich eine genaue monografische Studie des Palazzo Venturi sowie vier weiterer Bauten an.

Gerda Bödefeld erklärt die bemerkenswerte Standardisierung der Bauformen im Senese zum einen funktional - mit der agrarischen Zweckarchitektur - und zum anderen mit dem außergewöhnlichen Traditionsbewusstsein der sienesischen Republik und seiner Bauherren.

Nicht ganz nachvollziehbar ist der hohe Stellenwert, den die Autorin im letzten Kapitel den ökonomischen Aspekten zugesteht, dessen dichte inhaltliche Konzentration die große Menge an ausgewerteten Fakten aus Archivmaterialien erschließt. Sicher, die Villa ist ohne ihre Wirtschafts- und Sozialgeschichte undenkbar. Aber nicht nur die Villa. Und ergibt sich hier nicht ein Widerspruch, wenn, wie in der Einleitung deutlich gemacht, ausschließlich das 'aus der Gesamtheit herausgelöste Hauptgebäude' ohne Berücksichtigung der Gärten und Wirtschaftsgebäude, also dem, was 'Villa' letztendlich ausmacht, Gegenstand der Untersuchung wird?

Die Publikation zu den Sieneser Villen von Gerda Bödefeld besticht durch ihre Gründlichkeit im Detail. Angefangen bei den umfangreichen transkribierten, kommentierten und zum Teil übersetzten Archivalien, einem präzisen Vorgehen bei der Verwendung neuerer wie historischer Abkürzungen und detaillierten Erläuterungen zu Maßangaben, Währungen und Datierungen, schließt die Autorin auch noch eine mehrseitige Fachwörtererläuterung an, die das Buch selbst einem Nicht-Architekturhistoriker erschließt.

Sonja Müller