Martin P. Schennach: Tiroler Landesverteidigung 1600-1650. Landmiliz und Söldnertum (= Schlern-Schriften; 323), Innsbruck: Universitätsverlag Wagner 2003, 455 S., ISBN 978-3-7030-0378-3, EUR 48,00
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Josef Pauser / Martin P. Schennach (Hgg.): Die Tiroler Landesordnungen von 1526, 1532 und 1573. Historische Einführung und Edition, Wien: Böhlau 2018
Die Erforschung des Landesdefensionswesens in den Territorien des Alten Reiches erlebte vor ungefähr dreißig Jahren einen Aufschwung, als eine Reihe von Fallstudien erschien - allen voran die Arbeit von Winfried Schulze, die bis heute den Rang eines Standardwerks beanspruchen kann. [1] Ungeachtet dieser vielfach nach wie vor gültigen Forschungen sind viele Phänomene nicht untersucht worden, und so ist dem Autor zu danken, dass er dieser Thematik neue Impulse zu geben versucht. Das Interesse an der Landesdefension oder der Landmiliz (die Zeit kannte eine vielgestaltige Begrifflichkeit) war stets von der Faszination für eine Militärorganisation geprägt, die nicht oder nie allein nur "staatlich" geprägt war, sondern auch eine große Akzeptanz bei mediaten Herrschaftsträgern im Land und nicht zuletzt auch bei der Bevölkerung selbst besaß.
Gerade Tirol hat in seiner historischen Tradition markante Beispiele für eine wehrhafte Bevölkerung, die die Verteidigung des eigenen Landes im Notfall auch allein in die Hand zu nehmen bereit war: sei es der heftige Widerstand gegen die bayerische Besetzung 1703 oder das Aufbegehren gegen die napoleonische Besatzung 1809, ein Ereignis, das untrennbar mit dem Namen Andreas Hofer verbunden ist. Der Autor wendet sich nun gerade nicht diesen prominenten Beispielen zu, sondern fokussiert seine Untersuchung auf die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts. Den Beginn des hier untersuchten Zeitraums markiert die Zuzugsordnung von 1605 und verweist somit auf formative Elemente in der Organisation der Landmiliz, während das Ende der Studie mit dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs und dem allgemein sich abzeichnenden Übergang vom auf den Kriegsfall beschränkten Militärwesen zum stehenden Heer bezeichnet wird. Vielfach geht die Untersuchung aber auf frühere, bis ins Mittelalter zurückreichende Grundlagen und spätere Entwicklungen (etwa die Milizreform 1661) ein.
Die Untersuchung gliedert sich in drei große Abschnitte. Zu Beginn steht die "Administration des Kriegswesens" im Mittelpunkt. Gleichsam kursorisch werden die involvierten Behörden wie die Regierung, die Kammer und der (oberösterreichische) Kriegsrat sowie die einzelnen Ämter wie das des Obristen Feldhauptmanns, des Obristen Haus- und Feldzeugmeisters, des Obristen Mustermeisters und der Viertelhauptleute vorgestellt. Die Frage, wer welche Kompetenzen besaß, berührt immer wieder auch die bipolaren Strukturen, die für vormoderne Verhältnisse kennzeichnend waren: nämlich das Mit- und Nebeneinander von landesherrlichen und landständischen Befugnissen. Besonders deutlich wird dies an der Existenz eines landständischen Kriegsrats neben dem landesherrlichen (der oberösterreichische Kriegsrat). Die Versuche um 1646/47, landständische Einflüsse zurückzudrängen, sind letztlich gescheitert. Dabei standen landesherrliche und landständische Behörden nicht notwendigerweise im Gegensatz zueinander, sondern fanden sich auch zu Kooperationen zusammen. So gab es nicht nur das landesherrliche Kriegskommissariat, vielmehr waren der Landesobrigkeit landständische Kriegskommissare zur organisatorischen Unterstützung sogar ausdrücklich willkommen (64).
Der zweite Teil widmet sich der Landmiliz. Ihre Geschichte ist die der Reformen, die sämtlich eine organisatorische Verbesserung sowie eine Effizienzsteigerung zum Ziel hatten. Dies zeigte sich an der Zuzugsordnung von 1605, der Sterzinger Reform von 1636 und der von 1661; aber auch Problempunkte etwa um die Frage der Auswahl und Stellvertretung von so genannten "Ausgeschossenen" und Korruptionsfälle weisen auf nachhaltige strukturelle Defizite im Milizwesen hin. Decken sich diese Befunde weitgehend mit denen für andere Territorien, zielen Abschnitte zum Tiroler Schützenwesen und zum auch heute noch lebendigen Mythos der Tiroler Waffenfreiheit auf regionale Spezifika ab. Hier macht der Autor geltend, dass es nicht nur entsprechende obrigkeitliche Maßnahmen gegen den Waffenbesitz der Untertanen gab, sondern dass offenkundig nur wenige Tiroler über persönliche Waffen verfügten.
Abschließend wird das Söldnertum in Tirol untersucht. Schon der Titel des Buches macht deutlich, dass zur Landesdefension nicht nur die Landmiliz gehörte, sondern stets auch Söldner eine wichtige Rolle spielten. Allein aus Gründen der militärischen Schlagkraft wurden im Kriegsfall immer auch Söldnertruppen angeworben. Die Thematik selbst erscheint in doppelter Perspektive: Zum einen geht es um Tiroler, die sich als Söldner verdingten, zum anderen um Söldner, die in Tirol stationiert waren oder dort durchzogen. Vor allem Letztere stellten eine ungemein stärkere Belastung für das Land dar, als es die Landmiliz jemals gewesen ist. Hier stellt der Autor obrigkeitliche Steuerungsversuche vor (z. B. regionaler Lastenausgleich, 328 ff., Exemtionen von Einquartierungen, 321 ff.), aber auch Reaktionen der Bevölkerung, die in die Berge floh oder sich wehrte, wobei eine sich ohne obrigkeitliches Mandat selbst mobilisierende Landmiliz der Landesherrschaft höchst suspekt erschien (347 f.). Schließlich richtet sich der Blick auf die Binnenverhältnisse in der Söldnerarmee und beleuchtet Phänomene wie Meutereien, Desertionen und die Situation des Trosses.
Die Darstellung besticht insgesamt durch ihre profunde Quellenauswertung. Auch die Literatur wird weit über das für eine Tiroler Landesgeschichte übliche Maß hinaus rezipiert und somit der Anschluss an die Frühneuzeitforschung hergestellt. Doch am Ende muss man auch konstatieren, dass kaum wirklich neue Erkenntnisse festzuhalten sind: Das Tiroler Beispiel zeigt Probleme der militärischen Organisation und soziale Spannungen zwischen Militär und Bevölkerung, wie es sie andernorts zu diesen Zeiten auch gegeben hat. Vielfach bekannte Befunde finden sich hier erneut bestätigt. Vielleicht wären regionale Spezifika deutlicher zu konturieren gewesen, wenn auch die großen Abschnitte oder einzelne Kapitel die jeweiligen Teilergebnisse zusammengefasst hätten.
Insgesamt ist auch nicht zu übersehen, dass der gewählte Berichtszeitraum keine wirklich kritische Phase für Tirol darstellte. Bereits im chronologischen Abriss zu Beginn wird deutlich (19-28), dass der gewählte Begriff der "Kriegsereignisse in [!] Tirol" (s. Überschrift, 19) letztlich falsch ist: Krieg und Kämpfe haben Tirol in dieser Zeit nie erreicht, auch in Zeiten des Dreißigjährigen Kriegs lag Tirol im Windschatten kriegerischer Auseinandersetzungen. Es kann somit auch nicht die Rede davon sein, dass die Tiroler Landesverteidigung damals eine echte Bewährungsprobe hätte bestehen müssen. Unleugbar hat die Bevölkerung Belastungen und Not infolge von Truppendurchzügen und Einquartierungen ertragen. Aber "sedes belli", wie die Zeit zu formulieren pflegte, war Tirol - sicher zum Glück für das Land - eben doch nicht. Ob also die Tiroler Landesverteidigung effizient war oder nicht, lässt sich für diesen Zeitausschnitt nur schwer beurteilen.
So bleiben am Ende einer rund 400 Seiten starken Studie reichlich knappe zwei Seiten "Schluß und Ausblick". Hier konstatiert der Autor etwas überraschend, dass die Arbeit die "nur allzu oft schon alltägliche Not" und "die damals handelnden Menschen" aufzeigen wolle (411). Denn genau dies leistet die Arbeit eher weniger - ihre eigentliche Stärke liegt vielmehr darin, einen vorzüglichen Einblick in Organisationsformen der Tiroler Landmiliz und Strukturen des Kriegswesens im frühen 17. Jahrhundert zu bieten.
Anmerkung:
[1] Winfried Schulze: Landesdefension und Staatsbildung. Studien zum Kriegswesen des innerösterreichischen Territorialstaates (1564-1619), Wien / Köln / Graz 1973.
Michael Kaiser