Rezension über:

Manuel Fernández Álvarez: Johanna die Wahnsinnige 1479-1555. Königin und Gefangene, München: C.H.Beck 2005, 288 S., 21 Abb., ISBN 978-3-406-52913-9, EUR 19,90
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Rezension von:
Guido Komatsu
Hamburg
Redaktionelle Betreuung:
Christine Roll
Empfohlene Zitierweise:
Guido Komatsu: Rezension von: Manuel Fernández Álvarez: Johanna die Wahnsinnige 1479-1555. Königin und Gefangene, München: C.H.Beck 2005, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 11 [15.11.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/11/8186.html


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Manuel Fernández Álvarez: Johanna die Wahnsinnige 1479-1555

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Das lange Leben der Johanna von Spanien (1479 bis 1555) schildert Fernández Álvarez in seiner im Jahr 2000 erstmals in Spanien erschienenen Biografie teilweise spannend und fesselnd. Doch das liegt weniger an den narrativen Fähigkeiten des mitunter recht rührseligen Autors als vielmehr an dem tragischen und anrührenden Schicksal der spanischen Königin selbst.

Schicksalhaft wurde für Johanna die verzehrende Liebe zu ihrem Gemahl, Philipp von Burgund, dem Sohn Kaiser Maximilians, den sie als 16-jährige heiratete. Denn schon bald zeigte sich, dass Philipp die Unbedingtheit der ehelichen Liebe Johannas nicht teilen wollte oder konnte. Die Auseinandersetzungen wegen der zahlreichen Geliebten und schließlich der frühe Tod Phillips trugen maßgeblich zum Ausbruch von Johannas Geisteskrankheit bei. Alle fünf Kinder der Ehe sollten später Könige oder Königinnen werden, die beiden Söhne, Karl und Ferdinand, wurden zu Kaisern gewählt.

Fernández Álvarez beschreibt anschaulich, wie Johanna im Kampf um die Regentschaft in Spanien von ihrem Mann benutzt und manipuliert wurde. Ursprünglich hatte Königin Isabella in ihrem Testament ihrem Mann, König Ferdinand von Aragon, und nicht Johanna (und damit de facto Philipp) die Regentschaft in Kastilien übertragen.

Doch die Rolle Johannas im spanischen Machtgefüge ist nicht der zentrale Gegenstand der Biografie, die sich in 16 Kapitel gliedert und knapp 230 Seiten inklusive Personenregister und Zeittafel umfasst. Zentral sind für Fernández Álvarez vielmehr die Krankengeschichte und die lange Gefangenschaft Johannas. Im zweiten Kapitel stellt Fernández Álvarez die für ihn "entscheidende Frage, die unser eigentliches Thema betrifft: Glaubten die Menschen damals, dass Johanna von Kastilien verhext war?" Beantwortet wird diese Frage allerdings nicht. Am Ende des Buches (201-206) erfährt man immerhin, dass Philipp II. den Jesuitenpater Francisco de Borja 1552 beauftragte, herauszufinden, ob seine Großmutter vom Teufel besessen, also verhext sei. Der Jesuit kam zu dem beruhigenden Ergebnis, dass die Königin nicht verhext war. Ein anderer Priester, Luis de la Cruz, schrieb 1554 Philipp II. sogar, die Königin sei "derart guten Glaubens [...] und so gänzlich unschuldig, dass man sie eher beneiden als bedauern muss" (205).

Als Voraussetzung für ein sorgfältiges Ausloten des großen Komplexes von Krankheit und Wahnsinn bei Johanna wäre die Frage zu klären, wie krank die Königin von Karl V. und anderen Zeitgenossen eingeschätzt wurde. Doch bis zum Ende des Buches bleibt ungeklärt, was die jeweiligen Zeitgenossen unter Wahnsinn verstanden und wie sie dementsprechend Johanna sahen. Zwar stellt Fernández Álvarez im zweiten Kapitel (18-34), also zu Beginn der Biografie, ausführlich Magie und Hexenglauben der Epoche vor, doch seine Eingangsfrage ist damit keineswegs hinreichend beantwortet. Unklar bleibt nämlich, inwieweit die genannten klerikalen Einschätzungen repräsentativ waren und ob sie sich auch mit dem Volksglauben deckten. Um derartige Fragen beantworten zu können, muss man nicht notwendigerweise die Studien von Michel Foucault über das Verhältnis von Wahnsinn und Gesellschaft heranziehen. Die Reflexion über eine adäquate methodische Herangehensweise und eine stringentere Darstellung hätten aber eine Beantwortung der von Fernández Álvarez aufgeworfenen Frage sicherlich erleichtert.

Überhaupt fehlt eine differenzierte Schilderung und Einordnung der Krankheit sowie der Stadien des Krankheitsverlaufes Johannas. Zumeist gibt Fernández Álvarez lediglich punktuelle individualpsychologische Einschätzungen ab, etwa: "geistige Störung" (41). Oder er diagnostiziert nebenbei und unvermittelt: "heute würden wir von einer exogenen Depression sprechen" (167). Zuvor stellt er - ebenfalls unvermittelt - fest, Johanna habe die "genetische Veranlagung zu schweren Depressionen" (112) wahrscheinlich von ihrer Mutter Isabella.

Sicherlich stellt es ein grundsätzliches methodisches Problemen dar, ex post in der heutigen medizinischen Terminologie Diagnosen über Krankheitsverläufe historischer Personen abzugeben. Aber auch wenn man dies wie Fernández Álvarez en passant und unreflektiert tut, sollte zumindest erklärt werden, was konkret unter einer exogenen Depression zu verstehen ist und warum man bei Johanna davon sprechen kann - in Abgrenzung etwa zu einer endogenen Depression. Zugleich hätte in diesem Kontext erörtert werden können, ob auch andere Krankheiten infrage kommen - denkbar wäre etwa, dass die Königin an Schizophrenie litt.

Offenkundig schon für die Zeitgenossen wurde die Geisteskrankheit der Königin nach dem frühen Tod ihres Mannes. Zusammen mit ihrem Gefolge und der Leiche Philipps zog Johanna seit Dezember 1506 durch die kastilische Hochebene. Erst 1509, als Johanna sich in Tordesillas niederließ, konnte auch der einbalsamierte Leichnam Philipps begraben werden. Ihr gesamtes Leben hat Johanna um ihren Mann getrauert, und auch Tordesillas hat sie bis zu ihrem Lebensende nicht mehr verlassen. Schon ihr Vater, Ferdinand von Aragon, der sie von den Regierungsgeschäften fern hielt, hatte 1509 die Bewachung und damit die lange Gefangenschaft seiner Tochter veranlasst.

Zweimal hatte die Königin die Gelegenheit, ohne Bewachung selbst ihr Leben und die Geschicke Spaniens in die eigenen Hände zu nehmen. Beide Male war sie dazu nicht in der Lage, weil ihr die Kraft zu entschiedenem Handeln fehlte. Die erste Möglichkeit bot sich 1516, nach dem Tode ihres Vaters, die Zweite 1520 im Zuge des Aufstandes der Comuneros gegen Karl V., als die Aufständischen ihren Kampf gegen die Regentschaft Karls V. durch die Einbindung der Königin zu legitimieren suchten, indem sie Johanna die Macht antrugen. Betrachtet man diese beiden Ereignisse, in denen Johanna eine herausragende politische Rolle spielte, im kalten Lichte der Staatsräson der noch ungefestigten spanischen Zentralgewalt, so ist es nicht verwunderlich, dass sowohl ihr Vater, Ferdinand von Aragon, als auch ihr Sohn, Kaiser Karl V., Johanna konsequent von den Sphären der Macht fern hielten.

Gerade das durch die Mutter-Sohn-Konstellation zugespitzte Spannungsverhältnis zwischen einer Politik der Machtabsicherung einerseits und dem Wunsch nach persönlicher Freiheit andererseits wird von Manuel Fernández Álvarez leider kaum durchdrungen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Fernández Álvarez schildert, wie sich Karl V. 1533 um seine Schwester Maria, die Statthalterin der Niederlande, gekümmert hat, als diese Züge einer Erschöpfungsdepression zeigte. Dank der Zuwendung und Hilfe Karls, so Fernández Álvarez, konnte Maria genesen. Und er fragt dann, ob Johanna, "wäre sie richtig behandelt worden, sich aus ihrer Depression hätte lösen können" (129). "Darüber können wir nur spekulieren" (129). Aber genau das tut Fernández Álvarez nicht. Er lotet eben nicht die Spielräume und Möglichkeiten Karls V. aus, seine Mutter anders als eine Gefangene behandeln zu können.

Als ein weiterer Kritikpunkt ist die Art der Darstellung zu nennen. Ganz offensichtlich hat sich Fernández Álvarez von dem Schicksal der Königin überwältigen lassen. Sicherlich ist es angesichts des tragischen Lebens Johannas nicht einfach, in der Darstellung das notwendige Maß zwischen Anteilnahme und Empathie einerseits sowie Distanz und Reflektion andererseits zu finden und durchzuhalten. Aber mit zunehmender Lesedauer stören die vielen rhetorischen Fragen und die Mitleid erheischenden Wendungen doch. Dabei hätte der Leser gewarnt sein dürfen, denn bereits im Vorwort bekennt Fernández Álvarez, dass ihn "die gründliche Auseinandersetzung mit dem Leben Königin Johannas tief bewegt hat. Und so hoffe ich, dass auch Sie sie in Ihr Herz schließen werden" (9).

Insgesamt hinterlässt das Buch einen zwiespältigen Eindruck. Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass 70 Jahre nach der Biografie Ludwig Pfandls eine neuere Darstellung über Johanna und ihr faszinierendes Leben vorliegt. Zugleich aber ist die Enttäuschung nicht gering, weil wesentliche und spannende Fragen ihrer Biografie von Fernández Álvarez unbeantwortet blieben. Zudem sind in der Zwischenzeit die Maßstäbe an wissenschaftliche Biografien deutlich höher gesetzt worden. Als wegweisend ist hier etwa die Biografie Kaiser Rudolfs II. von Robert Evans zu nennen.

Guido Komatsu