John Clubbe: Byron, Sully, and the Power of Portraiture (= The Nineteenth Century), Aldershot: Ashgate 2005, xxi + 343 S., 22 b&w ill., ISBN 978-0-7546-3814-8, GBP 50,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Simone Schimpf: Profanierung einer Heiligen. Maria Magdalena in der französischen Kunst des 19. Jahrhunderts, Berlin: Lukas Verlag 2007
Veronica Franklin Gould: G. F. Watts. The Last Great Victorian, New Haven / London: Yale University Press 2004
Beth Irwin Lewis: Art for All? The Collision of Modern Art and the Public in Late-Nineteenth-Century Germany, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2003
"Don't look at him. He is dangerous to look at." So warnte Lady Liddell ihre Tochter, als die beiden Damen Lord Byron begegneten. [1] Diese faszinierende Persönlichkeit Byrons mag erklären, warum bereits die Zeitgenossen die zahlreichen Bildnisse des Dichters allesamt als schwach und ausdruckslos beurteilten. Dies gilt auch für die zwei bekanntesten Bildnisse, jene von Richard Westall und Thomas Philipps, die unter anderem in der ehrwürdigen National Portrait Gallery in London hängen und bis heute die Umschläge nahezu aller Werkausgaben schmücken.
So wurde man hellhörig, als nun John Clubbes Studie über ein Byron-Bildnis von der Hand Thomas Sullys erschien, welche im Untertitel gerade die Macht des Abbildes beschwört. Den amerikanischen Künstler Sully kennt man vornehmlich als Porträtisten Queen Victorias; dass er ein Bildnis Byrons gemalt habe, war bisher nicht bekannt.
John Clubbe lehrte Literaturwissenschaft an der University of Kentucky und war lange Zeit Präsident der International Byron Society. Im Jahre 1999 stieß er in einer New Yorker Galerieausstellung auf Sullys Bildnis Lord Byrons. Begeistert über diese Entdeckung beschloss er, dem Werk eine Monografie zu widmen.
Ein erster Blick in das Inhaltsverzeichnis lässt vermuten, dass die 247 Seiten Text umfassende Studie dem Grundmuster zahlreicher Werkmonografien folgt. Erst das vorletzte, achte Kapitel scheint eine Deutung von Sullys Bildnis zu bieten ("A Portrait for Americans: Sully's Byron"). Die vorangestellten Kapitel widmen sich der Provenienz des Porträts, dem Leben und Schaffen Sullys und der Byron-Ikonografie. Weitere Kapitel behandeln Aspekte wie das männliche und weibliche "Historic Portrait" im Werk Sullys, die Porträts der Helden des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges und das Porträt eines gewissen Nicholas Biddle, einem Bankier aus Philadelphia.
Ein Umstand irritiert den Leser von Beginn an: Wie bei solchen Publikationen üblich, ist das untersuchte Werk auf dem Buchumschlag sowie als erste Farbabbildung abgedruckt. Der Bilduntertitel lässt dabei keinen Zweifel, dass es sich um Sullys Byron-Bildnis handelt. Was der Leser jedoch sieht, ist ein bekanntes Werk, nämlich das bereits erwähnte Porträt Richard Westalls. Die Lektüre der Studie bestätigt, was man dunkel ahnt: Sullys "wiederentdecktes" Porträt ist kein originäres Werk, sondern eine Kopie, eben nach dem Gemälde Westalls.
Sully selbst notierte 1828, vier Jahre nach Byrons Tod, er habe eine Kopie nach Westalls Bildnis fertig gestellt, was der Autor auch zitiert (14). Clubbes Werkmonografie zielt jedoch gerade darauf zu zeigen, dass es sich bei Sullys Byron nicht um eine Kopie handelt, sondern um ein originäres Werk. Nach Clubbe hat Sully "less a copy than an essentially new interpretation" geschaffen (203). Mehr noch, der Autor erklärt Sullys Porträt zu einem Meisterwerk, ja zu einem zentralen Werk der gesamten Byron-Ikonografie und der romantischen Porträtmalerei. Das wieder entdeckte Bildnis könne, so Clubbe im Vorwort, "in time achive [an] iconic status" (xviii). So stellt der Leser mit zunehmender Irritation fest, dass der Autor Sullys Bildnis deutet, als handle es sich um ein originäres Werk, eine Inventio des amerikanischen Künstlers, und nicht um eine Kopie.
Vergleicht man unvoreingenommen Westalls Original und Sullys Kopie, so wird man keinen substanziellen Unterschied feststellen können, der eine solche Einschätzung rechtfertigen würde. Mit welchen Argumenten der Autor Sullys Kopie trotzdem zu einem eigenständigen Meisterwerk promoviert, offenbart sich im achten Kapitel: Dort unterzieht er Westalls und Sullys Bildnis einer vergleichenden Analyse. Auf die negative Kritik der Zeitgenossen rekurrierend, qualifiziert er Westalls Bildnis als mittelmäßiges Werk eines mäßig talentierten Künstlers ab (203). Westalls Bildnis sei statisch und formelhaft, der Dargestellte sei in sich gekehrt und wirke misanthropisch (190). Sullys Bildnis dagegen erfasse die "essence" (190) der Persönlichkeit Byrons. Es sei das "truer likeness" (187), bringe "a flesh-and-blood individual back to seeming life " und feiere Byron "as an icon of freedom"; Sully habe die "dynamic vision of a poet" geschaffen (190).
Begriffe wie "Essence" der Persönlichkeit und "truer likeness" verdeutlichen, worauf die Argumentation Clubbes zielt: Der "Klassizist" Westall malte nur das nichts sagende Äußere des Dichters, der Romantiker Sully dagegen erfasste das Genie des Dichters und Freiheitskämpfers Byron. Demnach schuf Sully mit seiner Kopie das kongeniale Dichterbildnis, nach dem sich die Zeitgenossen vergeblich sehnten: "Sully searched for Byron's inner being, the soul beneath the surface. It was a soul Americans could identify with." . Und an anderer Stelle heißt es: "It is an irreparable loss that we do not have a Byron from [Thomas] Lawrence. It is a great consolation that we do have one from Sully." (239). Nach Clubbe ist Sullys Kopie das eigentliche Meisterwerk, Westalls Original die bloße Vorlage dazu.
In der Argumentation Clubbes offenbart sich eine fragwürdige Genieästhetik, die mit metaphysischen Begriffen und Kategorien operiert, so etwa, wenn der Autor feststellt, Sully habe sein Byron-Bildnis "for the ages", also für die Ewigkeit gemalt, was immer das heißen mag (74). Wie erwähnt, lassen sich die Unterschiede, die Clubbe zwischen Westalls und Sullys Bildnissen sehen will, für den unvoreingenommenen Betrachter nicht feststellen. Warum Sullys Byron etwa eine "Ikone der Freiheit" sein soll, bleibt völlig offen.
Weil Sullys Kopie nach Clubbe ein originäres Meisterwerk darstellt, liefert er auch eine Deutung dieses Werkes, und zwar im vierten und fünften Kapitel, die sich mit der männlichen und weiblichen "Dramatic and Historic Portraiture" im Werk von Sully befassen. Clubbe versucht aufzuzeigen, dass Sullys Byron-Porträt auf jenes Konzept zurückgreift, das von Thomas Lawrence als "Half-History Portrait" bezeichnet wurde. Es geht dabei um Porträts, die durch die Darstellung einer historischen oder dramatischen Handlung die Grenzen der Gattungshierarchie zur Historienmalerei überschreiten. [2]
Ohne hier detailliert auf die Argumentation des Autors einzugehen, muss festgestellt werden, dass diese Deutung schlichtweg falsch ist. Denn bei Westalls / Sullys Byron-Bildnis handelt es sich gerade nicht um jenen Typus von Porträts, die sich durch Darstellung einer Handlung dem Historienbild anzunähern versuchen. Im Gegenteil folgt das Byron-Bildnis der traditionellen Darstellung des Dichters in kontemplativer Pose, wie sie die englische Porträtgeschichte dutzendfach kennt, angefangen bei elisabethanischen Miniaturen über die zahlreichen Bildnisse Alexander Popes bis zu Darstellungen von Byrons Zeitgenossen wie John Keats.
Vollkommen abwegig wird Clubbes Argumentation, wenn der Autor überdies behauptet, Sullys Byron-Bildnis vereinige Elemente der männlichen und weiblichen "Historic-Portraiture": Byron sei, so Clubbes Argumentation, bisexuell gewesen. Dies habe Sully intuitiv erfasst und entsprechend Elemente des männlichen und weiblichen "Historic-Portraiture" in seinem Porträt einfließen lassen, womit der androgyne Charakter des Porträts erklärt wird (108).
Sullys Kopie bleibt eine Kopie, auch wenn Clubbe versucht, dem Leser auf 247 Seiten darzulegen, dass es sich um ein eigenständiges Meisterwerk handelt. Indem Clubbe Sullys Kopie solchermaßen zum einzigartigen kongenialen Porträt Lord Byrons erklärt, verfolgt er auch ein kunstgeschichtspolitisches Ziel; seiner Studie ist augenscheinlich ein nationalistischer Subtext eingeschrieben: Demnach konnte nur ein romantischer Künstler des freiheitlich-demokratischen Amerika, eben Thomas Sully, die Persönlichkeit des romantischen Dichters, Freiheitskämpfers und Amerika-Bewunderers Byron erfassen und wiedergeben (194). Entsprechend schreibt Clubbe die englische Porträtgeschichte kurzerhand um in eine angloamerikanische. So heißt es an einer Stelle: "British portraiture in its greatest ages is essentially an Anglo-American affair" (134). Der Beitrag Benjamin Wests, John Singleton Copleys oder Gilbert Stuarts für die britische Kunstgeschichte, auch für die Porträtgeschichte, mag unbestritten sein. Sully war jedoch nicht der amerikanische Thomas Lawrence, zu dem ihn Clubbe in dieser Studie machen will. Und Sullys Kopie nach Westalls Byron-Bildnis wird sicherlich keinen "ikonischen Status" erlangen, wie Clubbe in dieser Studie verkündet.
Es gibt einiges Lesenswerte in dieser Studie, etwa über die junge Kunst- und Kulturszene im Philadelphia des frühen 19. Jahrhunderts. Das Ziel der Studie, eine schlichte Kopie zu einem einzigartigen Meisterwerk zu proklamieren, ist jedoch derart fragwürdig, dass die wenigen positiven Aspekte davon gänzlich überschattet werden.
Anmerkungen:
[1] Zitiert in: Christine Kenyon Jones: Fantasy and Transfiguration: Byron and his Portraits. In: Wilson, Frances (Hg.): Byromania. Portraits of the Artist in Nineteenth- and Twentieth-Century Culture. Basingstroke 1999, 109.
[2] Vgl. dazu: Shearer West: Thomas Lawrence's "Half-History" Portraits and the Politics of Theatre. In: Art History, XIV 1991, 225-249.
Takuro Ito