James Daybell (ed.): Women and Politics in Early Modern England, 1450-1700, Aldershot: Ashgate 2004, xv + 268 S., ISBN 978-0-7546-0988-9, GBP 45,00
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Der von James Daybell herausgegebene, sorgfältig redigierte Sammelband ist ein schöner Beleg dafür, wie fruchtbar insbesondere eine Öffnung der politischen Geschichte durch die Geschlechtergeschichte sein kann. Hatte die Geschlechtergeschichte im angelsächsischen und anglo-amerikanischen Raum zunächst insbesondere im Bereich der Sozialgeschichte tiefgehende Wirkungen erzielt, so findet nun seit einigen Jahren ein ähnlicher Prozess in der politischen Geschichte statt. Dabei bleiben selbstredend auch die Koordinaten der politischen Geschichte nicht unverändert: Sie wird nun zunehmend zu einer politischen Kultur- und Gesellschaftsgeschichte, in der eine Orientierung auf soziale Beziehungsgeflechte, auf Netzwerke und Klientelsysteme und schließlich auf familiäre und Verwandtschaftssysteme und -beziehungen in den Mittelpunkt tritt gegenüber der "reinen" Ereignis-, Macht- und Interessengeschichte. Diese Verschiebung des Fokus, aber auch der (Um-)Bewertung herkömmlicher Relevanzkriterien der politischen Geschichtsschreibung ist in der geschlechtergeschichtlichen Forschung schon länger gefordert bzw. vorgeschlagen worden, wie James Daybell in seiner Einleitung deutlich macht: "Rethinking female involvement in politics in early modern England is a task that forces scholars to move beyond a process of recovery and reincorporation of women into traditional political structures and narratives"(17).
Insofern stellen die 14 von ihm zusammengetragenen und herausgegebenen Beiträge vor allem Versuche dar, diese Forderungen zu erfüllen bzw. diese Neukonzipierung an konkreten Gegenständen zu realisieren. Programmatisch wird dies bereits im ersten Beitrag von Barbara J. Harris, einer der Vordenkerinnen der "geschlechtergeschichtlichen Wende" in der englischen Politik- und Hochadelsgeschichte, über "Sisterhood, Friendship and the Power of English Aristocratic Women 1450-1550" zum Thema gemacht, aber ebenso auch von Helen Payne in ihrem Aufsatz über "Aristocratic Women, Power, Patronage and Family Networks at the Jacobean Court 1603-1625"; auch in den Beiträgen von Natalie Mears ("Politics in the Elizabethan Privy Chamber: Lady Mary Sidney and Kat Ashley"), Alan Stewart ("Portingale Women and Politics in Late Elizabethan London"), James Daybell ("The News and Intelligence Networks of Elizabeth Talbot, countess of Shrewsbury [c.1527-1608]"), Sara Jayne ("The Cavendish-Talbot Women: Playing a High-Stakes Game") und schließlich Jerome de Groot ("Mothers, Lovers and Others: Royalist Women") stehen familiäre und andere Netzwerke von (in der Regel hochadligen) Frauen im Mittelpunkt des Interesses.
Einen zweiten Schwerpunkt des Bandes bilden Mittel und Medien der Netzwerkbildung und der Kommunikation - und damit letztlich der Beteiligung von Frauen an Politik und Macht: so im ausgezeichneten Beitrag von Lynne Magnusson über "Genre and Linguistic Scripts in Elizabethan Women's Suitors' Letters", in Karen Robertsons "Negotiating Favour: the Letters of Lady Raleigh", in James Daybells bereits genanntem Beitrag über die "News and Intelligence Networks of Elizabeth Talbot" oder in Elizabeth Clarkes "Beyond Mikrohistory: the Use of Women's Manuscripts in a Widening Political Arena". In diesen Zusammenhang gehören indirekt auch die Beiträge von Susan Frye über "Anne of Denmark and the Historical Contextualisation of Shakespeare's and Fletcher's Henry VIII" sowie von Valerie Wayne über die literarischen "Nobilitierungen" von tugendhaften Frauen, die Thomas Middelton und Aphra Behn in ihren Werken realisierten ("Assuming Gentility: Thomas Middleton, Mary Carleton and Aphra Behn"), die insbesondere den Zusammenhang von Präsentation weiblicher und männlicher Akteure und Machtentfaltung in den Medien bzw. in der zeitgenössischen Literatur und der politischen Alltagsebene reflektieren.
Ein weiterer Schwerpunkt, der in einer geschlechtergeschichtlichen Reflexion frühneuzeitlicher Politikgeschichte (in England und darüber hinaus) allerdings mehr Raum verdient hätte, ist die religiöse Dimension bzw. der Einfluss von Religion und Konfession auf weibliches (auch politisches) Handeln und umgekehrt. Hierauf wird zwar in diversen Beiträgen en passant Bezug genommen, explizit wird der Zusammenhang jedoch nur von Claire Walker in ihrem Beitrag über "English Nuns and Stuart Politics" gemacht. Und auch hier dominiert in gewisser Hinsicht die "networking"-Dimension alle anderen Ebenen der Reflexion und Interpretation.
Der Band deckt mit seiner Fülle an Beiträgen praktisch den gesamten Zeitraum vom späten Mittelalter bis zur Englischen Revolution ab - mithin den "klassischen" Zeitraum der angelsächsischen "Frühen Neuzeit". Er belegt eindrucksvoll, dass Geschlechtergeschichte des Politischen in England mehr ist und sein muss als eine (Neu-)Betrachtung der Regierungszeit einer Elizabeth I. oder anderer englischer Königinnen der Frühen Neuzeit. Unterhalb der (regierenden) Königin entfaltete sich, so wird durch die Beiträge vielfach plausibel und nachvollziehbar gemacht, ein breites Netzwerk von Frauen (und Männern), das nicht nur den männlichen, sondern vor allem auch den weiblichen Akteuren des englischen Adels die Option eröffnete, machtvoll zu agieren, wichtige Schaltstellen der Politik zu besetzen und politische Entscheidungen durchzusetzen.
Etwas schwach bleibt indessen die Dimension des Politischen im engeren Sinn bzw. die Frage der (geschlechtsspezifisch unterschiedlichen) Einflussnahme und Machtausübung durch "networking"; geschlechtsspezifische, aber auch andere Ein- und Ausschlussmechanismen werden selten thematisiert. Die Aufgabe, neu zu definieren, was "Politik" im frühneuzeitlichen England konstituierte (wie es James Daybell in seiner Einführung gefordert hatte), wird meines Erachtens nicht ganz zufrieden stellend gelöst. Im Mittelpunkt der Darstellungen wie aber auch der methodologischen Reflexionen stehen sehr eindeutig, bisweilen zu eindeutig, Frauen - weibliche Netzwerker, Adlige, Akteurinnen -, neben denen die männlichen Familienmitglieder, Klienten, Mäzene oder Informanten usw. etwas zu blass erscheinen. Dies führt dazu, dass in etlichen Beiträgen die im engeren Sinn geschlechtergeschichtliche Erneuerung der politischen Geschichte zurücktritt gegenüber einer (bisweilen eher kompensatorischen) frauengeschichtlichen Füllung des überkommenen historischen Rahmens.
So bleibt es eine Aufgabe für künftige Forschungen, einige der Fragen weiter zu führen bzw. zu beantworten, die James Daybell programmatisch in seiner Einleitung formuliert hatte: "How well, for example, do women fit into factional, oppositional, collegial and social status based models of politics? [...] To what extent were women involved in the formation of political opinion within the public sphere? How could female gender be manipulated as a political strategy?"(17) Letztlich stellen sich hier also weiterhin Fragen nach dem Zusammenhang von Netzwerken, Kommunikation, Macht und Geschlecht in einer epochenspezifischen Dimensionierung.
Claudia Opitz-Belakhal