Rezension über:

Robert Born / Alena Janatková / Adam S. Labuda (Hgg.): Die Kunsthistoriographien in Ostmitteleuropa und der nationale Diskurs (= humboldt-schriften zur kunst- und bildgeschichte; Bd. 1), Berlin: Gebr. Mann Verlag 2004, 480 S., 86 Abb., ISBN 978-3-7861-2491-7, EUR 29,80
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Christofer Herrmann
Universität Olsztyn
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Christofer Herrmann: Rezension von: Robert Born / Alena Janatková / Adam S. Labuda (Hgg.): Die Kunsthistoriographien in Ostmitteleuropa und der nationale Diskurs, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 12 [15.12.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/12/7295.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Robert Born / Alena Janatková / Adam S. Labuda (Hgg.): Die Kunsthistoriographien in Ostmitteleuropa und der nationale Diskurs

Textgröße: A A A

Die Umwälzungen nach 1989 haben in den ostmitteleuropäischen Gesellschaften tiefgreifende Selbstorientierungsprozesse und Werterevisionen ausgelöst. Diese waren zum Teil verbunden mit einer neuen Hinwendung zu historischen, auf nationalen Betrachtungsweisen basierenden Denktraditionen. Gleichzeitig erfolgte eine rasche Einbindung der nun unabhängigen Staaten in die Europäisierung und Globalisierung. Diese gegenläufigen Prozesse erzeugten und erzeugen noch immer eine Spannung, die sich auch in den kunsthistorischen Diskursen spüren lässt. Vor diesem Hintergrund fand 2001 eine Tagung an der Humboldt-Universität zu Berlin statt, die sich zum Ziel setzte, die Mechanismen des nationalen Diskurses in der älteren Kunsthistoriografie Ostmitteleuropas aufzuarbeiten und zur wissenschaftlichen Reflexion auch für zukünftige Standortbestimmungen in der kunstgeschichtlichen Forschung anzuregen. Zum besseren Verständnis der Problematik seien dem Leser die drei einführenden Beträge von Adam Labuda, Klaus Zernack und Thomas DaCosta Kaufmann sehr empfohlen.

Die spezifische Situation der ostmitteleuropäischen Länder besteht darin, dass sie sich im 19. Jahrhundert an dem staatlichen Nationenbildungsprozess nicht beteiligen konnten, sondern in größere multiethnische Imperien eingebunden wurden (Russland, Österreich-Ungarn, Preußen), die jeweils durch eine (in Österreich-Ungarn zwei) politisch dominierende Leitnation(en) geführt wurden. Polen befand sich dabei in einer besonders komplizierten Lage, denn es war auf die drei genannten Staatenverbände aufgeteilt. Kultur und Kunst bildeten vor diesem Hintergrund bevorzugte Projektionsflächen für die Entwicklung und Bewahrung einer nationalen Identität der kleineren Völker innerhalb der Großstaaten. Durch diesen Umstand unterschied sich die Rolle der Kunstwissenschaften in den Ländern Mitteleuropas grundlegend von der Situation der meisten westeuropäischen Nationen.

Der vorliegende Band gibt durch seine Gliederung in fünf Hauptkapitel mit insgesamt 28 Beiträgen die folgenden Tagungssektionen exakt wider:

1. Rezeption und Transformation der Begriffe der allgemeinen Kunstwissenschaft.

2. Der Anteil der kunsthistorischen Methoden an der Konstruktion der ethnischen und nationalen Einheiten.

3. Historische Konstruktionen der nationalen Kunstgeschichten (Epochen, Kunstgattungen, Künstler, Werke).

4. Die Erforschung der ostmitteleuropäischen Kunstlandschaften.

5. Nach 1945 - Die Kunstgeschichte im Spannungsfeld der nationalen Tradition und den ideologischen und politischen Herausforderungen des "Realsozialismus".

Die Orientierung kunstgeschichtlicher Forschung an nationalen Kategorien musste zwangsläufig zu Konflikten führen, die ganz offensichtlich auch vor dem jeweilig politisch aktuellen Hintergrund interpretiert werden müssen. Die Konfliktlinien verliefen einerseits zwischen Deutschland und den benachbarten slawischen Nationen (Polen, Tschechen, Slowaken). Sie waren aber auch zwischen Ungarn und Rumänien sehr ausgeprägt, wobei vor allem die Kunst in Siebenbürgen mit ihren deutsch-rumänisch-ungarischen Verbindungslinien in zahlreichen Beiträgen behandelt wird (so bei Robert Born, Corina Popa, Nicolae Sabau und Evelin Wetter). Bei der Lektüre wird man sich schnell bewusst, wie eng die Sicht der Kunstwissenschaft mit der jeweilig vorherrschenden politischen und ideologischen Situation verknüpft gewesen ist. Diese Zeitgebundenheit sollte auch die heutigen Kunsthistoriker dazu anregen, die eigene Arbeit immer wieder einer Selbstreflexion zu unterziehen und sich zu fragen, ob man nicht zu unkritisch zeitgenössischen Denkweisen huldigt. Unübersehbar ist etwa heute die durchaus gut gemeinte Tendenz, alles europäisieren und das Nationale als Kategorie wissenschaftlicher Betrachtung umgehen zu wollen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob der Alleinbeherrschungsanspruch eines Blickwinkels das wissenschaftliche Erkenntnisinteresse nicht behindert. Sehr zutreffend hat Adam Labuda in seinem Einleitungstext darauf verwiesen, dass zwar einerseits in der Vergangenheit die "verabsolutierende nationale Argumentation" (33) in der Kunstwissenschaft erkenntnishemmend gewirkt hat, aber andererseits heute das aktuelle "Nationale" nicht aus den Denkkategorien verbannt werden sollte.

Bei der Auseinandersetzung mit dem nationalen Diskurs in der Kunstgeschichte wird auch immer wieder, häufig mit kritischem Unterton, die kunstgeografische Methode angesprochen (so in den Beiträgen von Stefan Muthesius, Maria Dmitrieva-Einhorn und Beate Störtkuhl). Dieser methodische Ansatz gilt vielen Kunsthistorikern seit den 60-er Jahren als 'historisch vorbelastet' und besonders anfällig für nationale oder nationalistische Denkweisen. Der Rezensent kann sich jedoch des Eindrucks nicht erwehren, dass hier ein modernes, gern wiederholtes Klischee entstanden ist. Im Grunde war die Kunstgeografie der 1920-er und 1930-er Jahre grundsätzlich nicht nationalistischer als andere methodische Ansätze der Zeit. Die aktuelle Diskussion zeigt, dass inzwischen eine gewisse Revision dieses Vorurteils zu bemerken ist, doch bleiben die Meinungen nach wie vor deutlich geteilt.

Problematisiert wird von einigen Autoren der dem Band zu Grunde liegende, heute sehr modische, geografische Sammelbegriff 'Ostmitteleuropa'. Man kann dies als eine östliche Abspaltung von der älteren Mitteleuropavorstellung betrachten. Das Gegenstück zu Ostmitteleuropa müsste eigentlich 'Westmitteleuropa' sein. Von diesem Gebilde ist jedoch nirgends die Rede. Es kann sich dabei eigentlich nur um Deutschland und Österreich handeln. Man sollte hier die Frage aufwerfen, ob gerade beim Thema Kunsthistoriografie und nationaler Diskurs der geografische Zuschnitt 'Mitteleuropa minus Deutschland / Österreich' Sinn macht. Zweifel sind schon deshalb angebracht weil das deutsche Reich bis 1945 deutlich in die geografische Zone hineinragte, unter der man heute Ostmitteleuropa versteht und sich auch außerhalb des deutschen Staatsgebiets zahlreiche Siedlungsgebiete deutscher Kolonisten befanden, deren Kultur einen integralen Bestandteil der Länder zwischen dem Baltikum und Rumänien bildete. Die Durchdringung und gegenseitige Beeinflussung der deutschen mit den jeweils einheimischen Kunst- und Architekturmilieus erweist sich dabei als eine immer wiederkehrende Erscheinung und führte dazu, dass sich zahlreiche deutschsprachige Kunsthistoriker an der Erforschung der Kunst dieser Regionen beteiligten. Die meisten Beiträge des vorliegenden Bandes belegen unzweifelhaft, dass der deutsche Bezug (ob negativ oder positiv bewertet) für die Kunsthistoriografie der ostmitteleuropäischen Länder eine grundlegende Konstante gewesen ist. Daher kann man Thomas DaCosta Kaufmann nur zustimmen, der für die Beibehaltung des traditionellen Mitteleuropabegriffs plädiert. Er hält die Vorstellung eines vom deutschen Geschichtsanteil getrennten Ostmitteleuropas für ein Produkt des kalten Kriegs, sozusagen eine Übertragung des Eisernen Vorhangs in den Bereich der modernen Kunst- und Kulturgeschichtsschreibung. Der Blick von Amerika auf Mitteleuropa scheint die Zusammenhänge hier klarer zu erfassen als es viele europäische Forscher tun, die die modische Begrifflichkeit offenbar viel unreflektierter verwenden. Zustimmung erhält DaCosta Kaufmann aber auch von Eva Chojecka, die darauf verweist, dass es Absicht der sozialistischen Ideologie war, den "mitteleuropäischen Zusammengehörigkeitssinn" auszumerzen und dass der zur Zeit geläufige Terminus "Ostmitteleuropa" "wohl als Nachleben einstiger Spaltung mit gewissem Vorbehalt" angesehen werden sollte (413).

Christofer Herrmann