Rezension über:

Wolfgang Voigt / Ingeborg Flagge: Dominikus Böhm 1880-1955, Tübingen: Ernst Wasmuth Verlag 2005, ISBN 978-3-8030-0646-2, EUR 49,90
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Rezension von:
Kerstin Wittmann-Englert
Institut für Geschichte und Kunstgeschichte, Technische Universität, Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Carsten Ruhl
Empfohlene Zitierweise:
Kerstin Wittmann-Englert: Rezension von: Wolfgang Voigt / Ingeborg Flagge: Dominikus Böhm 1880-1955, Tübingen: Ernst Wasmuth Verlag 2005, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 12 [15.12.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/12/8515.html


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Wolfgang Voigt / Ingeborg Flagge: Dominikus Böhm 1880-1955

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Anlässlich seines 50. Todestages würdigt das Deutsche Architekturmuseum (DAM Frankfurt, MAK Köln) das Werk des großen Kirchenbaumeisters Dominikus Böhm mit einem profunden Ausstellungskatalog. Den einleitenden Aufsatz verfasste Wolfgang Voigt, der Leben und Wirken des Architekten anhand wichtiger Stationen, Entwürfe und Bauten nachzeichnet. Als tiefgläubiger Katholik zeitlebens der Kirche zugewandt, machte Dominikus Böhm in den ersten Schaffensjahren keineswegs durch herausragende Kirchenbauten auf sich aufmerksam. Die ersten bedeutenden Bauten entstanden erst um 1920 - wie die Notkirche in Offenbach (1919/1920), die Pfarrkirche St. Peter und Paul in Dettingen bei Hanau (1922/23) und die Benediktinerabtei St. Benedikt im niederländischen Vaals (1921/23). Das Streifenmauerwerk der Dettinger Kirche - wie auch bei St. Wolfgang in Regensburg (1930-40) - nimmt Voigt zum Anlass, Böhms Impulse aus der mittelalterlichen Baukunst Italiens darzulegen.

Der Autor verweist auch auf die für das Schaffen dieses Architekten prägenden Einflüsse der zeitgenössischen Liturgiereformbewegung in Deutschland, mit der Böhm vermutlich durch Martin Weber in Berührung gekommen ist, der in den Kreis eines der beiden Hauptzentren der Reformbewegung (Kloster Maria Laach) gehörte. In Zusammenarbeit mit Weber entstanden die Messopferkirchen-Entwürfe "Circumstances" (1922) und "Lumen Christi" (1923). Sie wurden 1923 von Johannes van Acken in der zweiten Auflage seiner "Christozentrischen Kirchenbaukunst" - einem Plädoyer für den christozentrischen Einheitsraum - als Musterbeispiele neuen kirchlichen Bauens veröffentlicht. Beide Bezeichnungen weisen auf zentrale Themen von Böhm: "Lumen Christi" auf die das geistige Zentrum akzentuierende Lichtführung im Raum und "Circumstances" auf eine die Gemeinde verbindende Raumordnung im Sinne der "actuosa communicatio" (40 Jahre später im 2. Vatikanum im Stichwort "actuosa participatio" aufgenommen). [1]

Mit seinen ausdrucksstarken, innovativen Kirchengebäuden entsprach Böhm der Aufbruchstimmung im deutschen Katholizismus. Das gilt in gleichem Maße für Rudolf Schwarz. Deren nicht immer störungsfreier Beziehung widmet sich Wolfgang Pehnt in einem "Doppelporträt". Von besonderer Konzentration und Prägnanz ist der Abschnitt über "Differenzen: Mitte oder Schwelle", in dem der Autor die unterschiedlichen architektonischen Positionen der beiden Protagonisten des modernen katholischen Kirchenbaus anhand ausgewählter Einzelaspekte darlegt: Am Beginn des Vergleichs steht das Verständnis der Wand - für Böhm ein Element mit "physisch-psychisch erlebbarem Eigengewicht" (40), von starker sinnlicher Präsenz und die handwerkliche Genese verratend, für Schwarz dagegen "in erster Linie gespannte Raumbegrenzung" (40), eine Membran im Dienst der Gesamtfigur. Gleichermaßen divergierend die Raumprinzipien: Böhm schuf Räume um eine (christozentrische) Mitte, Schwarz dagegen solche an der (theozentrischen) Schwelle, sprich: ersterem war der Altar die Mitte, letzterem ein Mittler, eine "Schwelle zu Gott" (42). [2] Aus diesem Gegensatz resultiert ein reicher Grundriss- und Formenschatz im modernen katholischen Kirchenbau - von Böhm eher in einer "gemäßigten Moderne" (von W. Voigt als "Moderne mit Gemüt" betitelt, 24) umgesetzt, währenddessen Schwarz klare, dem technischen Zeitalter entsprechende sachliche Raumhüllen geschaffen hat.

Den dritten Beitrag bildet eine werkanalytische Studie von Manfred Speidel. Unter der Überschrift "Vorhallen und Raumstimmungen" beschreibt und analysiert der Autor Entwürfe und Bauwerke aus Böhms "besten" Jahren (74): der Zeit zwischen 1920 und 1935. Unter Einbeziehung schriftlicher Quellen und anhand von Studienskizzen gelingt ihm die Veranschaulichung der Entwurfsprozesse. Dabei wird deutlich, dass Böhm stets nach neuen Lösungen strebte und gleichzeitig heterogene Raumideen entwickelte - wie z. B. im Jahr 1930, in dem die "skulpturalen Kuppelschalen in Köln Riehl, die monumentale Wandpfeilerkirche St. Josef in Hindenburg mit dem prachtvollen Arkadenwerk und die kleine Ferienkirche in Norderney" (69) entstand; Letztere ein Musterbeispiel der "weißen Moderne". Erhellend ist auch der Vergleich mit zentralen Projekten von Böhms Zeitgenossen, ebenso wie der Blick auf die historischen Vorbilder. Böhm war fest in seinen Traditionen verwurzelt und bediente sich ihrer. Dabei konnte das Mausoleum des Sultan Hassan ebenso zum Vorbild werden wie die mittelalterliche und neuzeitliche Architektur Italiens oder die deutsche Burgenbaukunst. Für alle Richtungen findet Speidel überzeugende Beispiele, sodass letztlich nur eines zu beklagen ist: für diesen Beitrag hätte man sich noch mehr Abbildungsmaterial gewünscht.

In einem weiteren Beitrag fokussiert Martin Speidel "Dominikus Böhm in Hindenburg". Mit Herbert Rimpl als Projektleiter eröffnete Böhm dort 1929 angesichts der reichen Auftragslage ein Zweigbüro. Wohnzeile, Berufsschule und ein Wohn- und Geschäftshaus werden realisiert, die Kirche St. Kamillus, die als städtebauliche Dominante dem Platz eine geistige Mitte geben sollte, indes nicht. Einen Schwerpunkt des Beitrags bildet auch die Kirche St. Josef in der Hindenburger Südstadt, von deren eindrucksvoller Gestalt nicht nur Speidels Beschreibung, sondern auch ein großformatiges Innenraumfoto zeugt. Es ist - wie die meisten der abgebildeten Fotografien - eine Aufnahme des renommierten Architekturfotografen Hugo Schmölz aus der Erbauungszeit.

Am Beginn der Wahrnehmung Dominikus Böhms in Amerika steht eine Fotografie in der "New York Times" vom April 1932. Sie zeigt St. Engelbert in Köln-Riehl während der Bauzeit. Kathleen James-Chakraborty verweist auf amerikanische Kirchen, für die Böhms Bauwerke Quellen der Imitation und der Inspiration (92) waren. Überdies informiert die Autorin über die Liturgische Bewegung und deren Protagonisten in Amerika und bezieht als wesentliche Emigranten Erich Mendelsohn sowie Eliel und Eero Saarinen mit ein. Eine Einflussnahme von Böhms Circumstances-Entwurf auf Eero Saarinens prominente Universitätskapelle im Massachusetts Institute of Technology in Cambridge ist jedoch - auch auf der Basis des hier Gezeigten und Geschriebenen - nur in Bezug auf die Lichtführung, nicht jedoch den Grundriss nachvollziehbar. Gleichwohl ist die Frage nach dem Einfluss europäischer Architekturen auf die amerikanische Sakralarchitektur ein Forschungsterrain mit noch zu füllenden Freiflächen.

Am Schluss der Essayfolge steht Christian Wellers Beitrag über Böhm und die angewandte Kunst. Gleich zu Beginn weist der Autor auf Böhms Position im Schnittpunkt von Deutschem Werkbund und katholischer Liturgiebewegung hin. Einflüsse von beidem verbinden sich in seinen Entwürfen. Als zwei Kernthemen hebt Weller Böhms Altargestaltungen und die Fensterentwürfe seiner Kirchen hervor. Mit ersteren verband sich die Frage der Rauminszenierung und der Materialität, und in der Fenstergestaltung spannte sich der Bogen von der Einbindung biblischer und liturgischer Texte bis zu abstrakten Kompositionen. Bislang nicht erwähnt, aber im Katalogbuch mehrfach genannt und gerade für Wellers Thema wichtig ist Böhms Lehrtätigkeit: 1908 zunächst Lehrkraft an der Kunstgewerbeschule Offenbach, wurde Dominikus Böhm 1926 zum Leiter der Abteilung für Religiöse Kunst an die Kölner Werkschulen berufen.

Ergänzt werden die Essays durch einen achtbaren Quellentext - den Nachruf auf Dominikus Böhm durch Rudolf Schwarz - und eine von Christine Nielsen zusammengestellte Werkliste mit 388 Positionen, die bekannte Projekte, Wettbewerbsbeiträge und ausgeführte Bauten enthält.

Diese Publikation ist mehr als ein Katalog - eben ein Katalogbuch, mit dem einem der bedeutendsten Baumeister des katholischen Kirchenbaus in überzeugender Art und Weise gedacht wird: mit inhaltsreichen, wohl formulierten Texten und hervorragendem Abbildungsmaterial. Eine solche Publikation setzt Maßstäbe!


Anmerkungen:

[1] Konstitution über die heilige Liturgie, am 4. Dezember 1963 feierlich verkündet, § 124.

[2] Rudolf Schwarz: Liturgie und Kirchenbau. Gastvorlesung an der TH Aachen, in: Baukunst und Werkform 8 (1955), H. 2, 87 ff.

Kerstin Wittmann-Englert