Martin Pugh: 'Hurrah for the Blackshirts!'. Fascists and Fascism in Britain between the Wars, London: Random House 2005, xii + 387 S., ISBN 978-0-224-06439-2, GBP 20,00
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N. J. Crowson: Britain and Europe. A political history since 1918, London / New York: Routledge 2011
Nicht oft sorgt eine wissenschaftliche Publikation für so viel Aufsehen, wie dies dem britischen Historiker Martin Pugh mit seiner Studie, "'Hurrah for the Blackshirts'! Fascists and Fascism in Britain Between the Wars" gelungen ist. Die insgesamt meist sehr wohl wollenden Reaktionen, die nicht nur aus der Fachwelt, sondern auch aus den bekanntesten britischen Tages- und Wochenzeitungen kamen, zeichneten sich dabei vor allem durch ein Moment des Erstaunens aus. Und das ist durchaus verständlich, besteht doch Pughs Untersuchung des britischen Faschismus in einer Herausforderung der britischen Grundüberzeugung 'it could never have happened here'. Nicht nur im britischen Selbstverständnis, sondern auch in der wissenschaftlichen Literatur wurde das Scheitern des britischen Faschismus meist als eine Frage der politischen Kultur dargestellt: Als dem britischen Wesen grundsätzlich fremder Import habe der Faschismus angesichts der Stärke der ungebrochenen Tradition der parlamentarischen Demokratie in Großbritannien nie eine wirkliche Erfolgschance haben können. Genau dies bezweifelt Pugh und stellt seiner Studie voraus: "fascism was much more central to British inter-war history than has traditionally been appreciated" (2).
Eine wissenschaftliche terra incognita betritt Pugh jedoch nicht. Neben älteren Standardwerken zur radikalen Rechten in Großbritannien [1] waren es vor allem Richard Griffiths [2] und in jüngster Zeit Dan Stone [3], die wichtige Anstöße für die Erforschung des britischen Faschismus gegeben haben. Pugh erlaubt sich mit angelsächsischer Lässigkeit, die komplette wissenschaftliche Literatur in der Einführung einmal aufzählend zu erwähnen, dann jedoch fast ausschließlich mit den Quellen zu arbeiten. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um zum Teil bislang uneingesehene Nachlässe, Tagebuchaufzeichnungen, Autobiografien und zeitgenössische Veröffentlichungen. Die für die bisherige Geschichtsschreibung des britischen Faschismus wichtigen Berichte des MI5 und des Special Branch im Public Record Office schränkt Pugh in ihrer Bedeutung ein, da diese sich eher auf Straßengewalt und gewalttätigen Antisemitismus beziehen. Das Phänomen des Faschismus sei so nicht zu fassen, insbesondere nicht jener "flourishing traffic in ideas and in personnel between fascism and the Conservative Right throughout the interwar period" (5).
"Hurrah for the Blackshirts!" ist keine isolierte Darstellung der personellen und organisatorischen Entwicklung der British Union of Fascists (BUF) oder anderer faschistischer Gruppierungen der Zwischenkriegszeit. Vielmehr bemüht sich Pugh, die Geschichte des britischen Faschismus in ihren politischen, sozialen und wirtschaftlichen Kontexten zu sehen. In einem einführenden Kapitel "The Origins of Fascism" greift er dabei auf die Zeit zwischen Jahrhundertwende und Erstem Weltkrieg zurück und zeigt, wie sich während und nach dem Burenkrieg Ängste vor außenpolitischem Bedeutungsverlust mit innenpolitischen Degenerationsvorstellungen vermischten und wie sich vor 1914 eine radikale Rechte bildete, deren einflussreiche Vertreter (insbesondere die "Diehards" im House of Lords) auch vor der Drohung mit einem Bürgerkrieg nicht zurückschreckten. In den folgenden 14 Kapiteln schildert Pugh, wie sich nach dem Krieg aus diesen Traditionen faschistische Organisationen wie die British Fascists und die British Union of Fascists entwickelten, die keineswegs als simple Kopien des italienischen Vorbilds zu sehen sind.
Besonderes Augenmerk gilt der engen Verknüpfung der Faschisten mit dem rechten Rand der Konservativen Partei. In diesem Zusammenhang bringt der Autor eine ganze Reihe spannender Details zu Tage. So war es keineswegs eine Besonderheit, dass in den Zwanzigerjahren Einheiten der British Fascists als Saalschutz für konservative Parteiversammlungen herangezogen wurden. Zu den interessantesten und dichtesten Abschnitten gehört das Kapitel "'Where are the bodies': The politics of violence 1934-37". Pugh zeigt hier sehr quellennah und überzeugend, dass die berühmt-berüchtigte Versammlung der BUF in Olympia und die damit verbundenen Ausschreitungen im Juni 1934 keineswegs als Wendepunkt in dem Flirt von Teilen des britischen Establishments und der konservativen Presse (insbesondere die Daily Mail von Lord Rothermere) mit der Mosley-Bewegung zu sehen ist. Während bei Rothermere taktische und finanzielle Gründe für ein Ende der aktiven Unterstützung der BUF entscheidend waren, beschränkte sich die moralische Empörung über die Ausschreitungen auf jenen Teil der Öffentlichkeit, die der Mosley-Bewegung ohnehin feindlich gesinnt war. In der Parlamentsdebatte vom 14. Juni 1934 waren gar jene konservativen "backbencher" in der Überzahl, die sich verständnisvoll über Mosley äußerten.
Das Hauptproblem der britischen Faschisten bestand in den enormen finanziellen und organisatorischen Schwierigkeiten, die sich aus dem reinen Mehrheitswahlrecht für eine kleine Partei ergaben. Die Hoffnungen auf einen coup d'état - wenn nicht durch eine Revolution von der Straße, so doch durch eine Revolution von oben in Allianz mit Vertretern des Establishments - waren deswegen bei Mosley und seinen Anhängern groß. Dass dies keineswegs nur Hirngespinste waren, zeigt Pugh anhand der Abdankungskrise im November/Dezember 1936. Das von Gegnern des Premierministers Baldwin entworfene Szenario sah die Ernennung einer autoritären Regierung unter Umgehung des Parlaments vor. Dieser von Winston Churchill geleiteten Regierung hätte dann auch Oswald Mosley angehören sollen: "December 1936 was the closest fascism came to obtaining a share of power in inter-war Britain." (250)
Bekanntlich ist es zu diesem "share of power" nie gekommen. Dass dies keineswegs an einer Immunität der britischen Kultur gegen autoritäre Planspiele lag, kann Pugh gut belegen. Doch auch mit den anderen üblichen Erklärungen für das Scheitern des britischen Faschismus - die Resolutheit der Regierungsbehörden, der Stabilität und Kontinuität bringende Kurs des National Government usw. - gibt sich Pugh nicht zufrieden. Für ihn ist der entscheidende Faktor das "Timing": Demnach konnte die 1932 gegründete BUF bei den Parlamentswahlen 1931 von der breiten Krisenstimmung noch nicht profitieren, während die Partei 1935 von der vorgezogenen (und bis 1945 letzten) Wahl unter wieder günstigeren wirtschaftlichen Vorzeichen überrumpelt wurde. Doch das erklärt - und auch nur zum Teil - lediglich das Scheitern der parlamentarischen Ambitionen der BUF. Die Frage, wieso jenes Bündnis von BUF und radikalen Konservativen mit dem Ziel einer "Revolution von oben" nicht zu Stande gekommen ist, bleibt letztlich offen.
Etwas enttäuschend ist auch, dass die zu Anfang des Buches angekündigte ideengeschichtliche Perspektive ins Hintertreffen gerät. Gerade Pughs zentrales Argument, dass der britische Faschismus sich durchaus auf genuin britische Geistestraditionen berufen konnte, hätte durch Auswertung programmatischer Schriften von rechts-intellektuellen Vordenkern und durch eine Würdigung der Vorarbeiten Dan Stones an Kontur und Gewicht gewonnen. Damit eng verbunden ist die Hauptschwäche des Buches: Pughs Faschismus-Begriff ist so weit gefasst, dass jede politische Bewegung rechts von Baldwins konservativer Mitte als "faschistisch" oder "pro-faschistisch" erscheint. Die ideologischen Unterschiede und die politisch-taktischen Differenzen zwischen der BUF auf der einen und rechts-intellektuellen Zirkeln bzw. Verbündeten im konservativen Establishment auf der anderen Seite werden daher nicht herausgearbeitet - ganz zu schweigen von den sozialgeschichtlichen Unterschieden. Gerade das Phänomen eines durch die Modernisierungskrise radikalisierten Konservatismus ist in Großbritannien nicht mit dem Begriff Faschismus zu greifen.
Dennoch ist "Hurrah for the Blackshirts!" ein sehr wichtiges, gründlich recherchiertes und pointiert geschriebenes Buch, das durch seine Lesbarkeit besticht und das sich trotz seines wissenschaftlichen Anspruchs auch Raum für erfrischende Anekdoten gönnt.
Anmerkungen:
[1] U. a.: David S. Lewis: Illusions of Grandeur. Mosley, Fascism and British Society 1931-1981, Manchester 1987; Richard Thurlow: Fascism in Britain. A History, 1918-1985, Oxford 1987; Arnd Bauerkämper: Die "radikale Rechte" in Großbritannien. Nationalistische, antisemitische und faschistische Bewegungen vom späten 19. Jahrhundert bis 1945, Göttingen 1991.
[2] Richard Griffiths: Fellow Travellers of the Right. British Enthusiasts for Nazi Germany 1933-9, London 1980; ders.: Patriotism Perverted: Captain Ramsay, the Right Club and British Anti-Semitism, 1939-40, London 1998.
[3] Dan Stone: Breeding Superman. Nietzsche, Race and Eugenics in Edwardian and Interwar Britain, Liverpool 2002; ders.: The English Mistery, the BUF, and the Dilemmas of British Fascism, in: Journal of Modern History, 75, 2 (2003); ders.: Responses to Nazism in Britain 1933-1939: Before War and Holocaust, Basingstoke 2003.
Bernhard Dietz