Thomas Willich: Wege zur Pfründe. Die Besetzung der Magdeburger Domkanonikate zwischen ordentlicher Kollatur und päpstlicher Provision 1295-1464 (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom; Bd. 102), Tübingen: Niemeyer 2005, XII + 683 S., ISBN 978-3-484-82102-6, EUR 98,00
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Um die kirchlich-religiöse Dienstleistung für die Gläubigen, das so genannte "Officium", zu garantieren, bildete sich bis zur Jahrtausendwende in einem längeren Prozess das kirchliche Benefizium, die "Prebenda" oder Pfründe, als Sondervermögen heraus, das seinem Inhaber den Lebensunterhalt sicherte. Dabei handelt es sich um einen Prozess, der zwar zu regional unterschiedlichen Lösungen führte, die sich aber wegen der Rahmenbedingungen des allgemein gültigen kanonischen Rechtes nicht grundsätzlich unterschieden. Daher waren seit dem 11. Jahrhundert kirchliche Pfründen schon bald im ganzen Abendland allgegenwärtig. Die Frage, wer eigentlich über diese kostbaren Ressourcen verfügen sollte - der Stifter und seine Erben, das Kollegium, der kirchliche Vorgesetzte oder gar der Herrscher -, wurde daher immer wichtiger und dringender. Das kanonische Recht entwickelte im 12. und 13. Jahrhundert für dieses Problem Lösungen, die sodann festgeschrieben und in der Folgezeit auch um- und durchgesetzt wurden. An diesem Punkt der historischen Entwicklung setzt die vorliegende Arbeit ein. Sie untersucht anhand des bedeutenden Magdeburger Domkapitels, wie im 14. und 15. Jahrhundert die dortigen Pfründen besetzt wurden.
Zunächst wird in vier Kapiteln die Rechtslage vor Ort und in der Gesamtkirche geschildert, also die Statutengesetzgebung und die Selbstergänzungsmechanismen des Magdeburger Domkapitels (40-153), die erzbischöflichen Kollatur- und Nominationsrechte (154-180), das päpstliche Provisionswesen einschließlich des auf die Provision folgenden Prozesses der Besitzergreifung der Pfründe (181-225) sowie die kaiserlich-königlichen Ersten Bitten und deren kirchenrechtliche Absicherung im Anschluss an das Wiener Konkordat (226-234). Sodann wird anhand der Prosopografie der Magdeburger Domkanoniker und Bewerber geprüft, aufgrund welcher Kriterien ein Kandidat ins Kapitel aufgenommen bzw. weshalb er abgewiesen wurde, also welche rechtlichen und sozialen Bedingungen erfüllt sein mussten, um in Magdeburg Kapitular zu werden (235-522). Trotz seines beeindruckenden Umfangs enthält der Band keine Biogramme von Magdeburger Kanonikern, sondern als Anhang nur je eine chronologisch geordnete Domherren- und Bewerberliste (541-552), die dank der systematischen Ausschöpfung der vatikanischen Quellen gegenüber dem Magdeburger Germania Sacra-Band von 1972 rund 10 % mehr Kanoniker und fast 50 % mehr Bewerber nachweist.
Willich erweist sich nicht nur als profunder Kenner des spätmittelalterlichen kirchlichen Benefizialrechts, sondern auch der einschlägigen sozial- und landesgeschichtlichen Diskurse, wie wir sie etwa Peter Moraw, Gerhard Fouquet oder Rainer Christoph Schwinges verdanken. Leider ist aber die lokale Magdeburger Quellenlage eher dürftig - es fehlen Domherrenmatrikeln, Stiftsrechnungen und -protokolle sowie Jahrzeitbücher -, sodass er die von ihm gestellte Frage nach dem Zugang zu den Pfründen in vielen Fällen nicht mit der eigentlich dafür notwendigen Präzision beantworten kann. Dennoch können sich seine Ergebnisse sehen lassen.
Willich gliedert sein langes viertes Kapitel in drei zeitliche Untersuchungsphasen (1295-1361, 1361-1403, 1403-1464). Auch wenn er die Phasenwechsel mit Neubesetzungen des erzbischöflichen Stuhles zusammenfallen lässt, war ihm (aus mir nicht einsichtigen Gründen) wichtiger, die drei Zeiträume annähernd gleich lang und damit vergleichbar zu machen. Auf die Untersuchung der konkreten Kollaturverhältnisse in den einzelnen Zeitabschnitten folgt jeweils jene der sozialen Verhältnisse. Ausführlich werden die ständischen Aspekte der Pfründenbesetzung sowie die Universitätsbesucher, Funktionsträger und Klienten geistlicher und weltlicher Großer sowie die damit zusammenhängenden Umstände besprochen.
Zu den erstaunlichsten Resultaten dieser ungeheuer materialreichen Studie gehört erstens, dass man in Magdeburg in der untersuchten Periode keinerlei ständische Exklusivität kannte, und zweitens, dass der traditionell hohe Anteil Hochadliger im Magdeburger Domkapitel mit dem massenhaften Aufkommen päpstlicher Provisionen unter Clemens VI. (1342-1352) einbrach und sich in der Folgezeit nie mehr erholte. Zunächst und bis zum Ende des Pontifikats Martins V. (1431) waren es vor allem akademisch, d. h. vor allem juristisch gebildete niederadlige und in nicht wenigen Fällen sogar bürgerliche Kleriker, welche in das Stift eindrangen. Bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts wurde diese gesellschaftliche Öffnung des Domkapitels nach unten weder durch ein Statut erschwert noch verhindert. Erst 1447 legte man in Magdeburg die ständische Exklusivität statutarisch fest, wobei die fehlende adlige Geburt zunächst noch durch ein abgeschlossenes Studium in Theologie oder Jurisprudenz kompensiert werden konnte. Doch 1458 fiel anlässlich einer Statutenrevision diese Möglichkeit für Juristen fort - und wie viele Weltgeistliche studierten damals schon Theologie? -, womit sich die frühmoderne adlige Ausschließlichkeit der Domkapitel abzuzeichnen beginnt.
Der an den Verhältnissen an der Mittelelbe interessierte Leser findet darüber hinaus in dieser Studie sehr viele wertvolle Informationen zur Verflechtung der Domkapitulare mit dem regionalen Adel und unzählige kostbare Beobachtungen zu den einzelnen Domherren. Doch bin ich von meiner Herkunft her für die Beurteilung dieser landesgeschichtlichen Aspekte nicht die richtige Person, weshalb man es mir nachsehen möge, dass ich so schnell darüber hinweggehe.
Wenig überzeugend ist die Struktur des langen vierten Kapitels, das fast die Hälfte des Buches ausmacht. Dies vor allem deshalb, weil Willichs Phaseneinteilung auf den Wandel im Kollaturrecht, der sich schon fast rhythmisch im Widerruf der noch nicht zum Zuge gekommener Exspektativen zu Beginn eines neuen Pontifikates sowie in den entscheidenden kirchenpolitischen Einschnitten von 1378 (Ausbruch des Schismas), 1418 (Konstanzer Konkordat) und 1448 (Wiener Konkordat) zeigt, viel zu wenig Rücksicht nimmt. Eine thematische Zweiteilung des Kapitels in a) "Kollaturverhältnisse" und b) "Die soziale Zusammensetzung des Kapitels" mit je unterschiedlich langen, aber sachgerechten Untersuchungsphasen hätte meines Erachtens zu eindeutigeren Resultaten geführt, wie sogar Willich (318) explizit eingesteht. Auch an anderen Orten führt die Überlappung parallel ablaufender Prozesse dazu, dass der eigentlich eindeutige Befund wegen unsachgemäßer Schnitte verwischt wird. Dies ist schade, mindert aber als Schönheitsfehler den Wert der Studie nicht entscheidend.
Ein "Resümee und Ausblick" (523-540) sowie ein Register der Personen- und Ortsnamen schließen den vorzüglich gestalteten und lektorierten Band ab.
Andreas Meyer