Rezension über:

Andreas Thiel: Die Johanneskirche in Ephesos (= Spätantike - Frühes Christentum - Byzanz. Kunst im ersten Jahrtausend. Reihe B: Studien und Perspektiven; Bd. 16), Wiesbaden: Reichert Verlag 2005, IX + 123 S., 53 Tafeln, ISBN 978-3-89500-354-7, EUR 78,00
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Rezension von:
Sebastian Ristow
Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Ute Verstegen
Empfohlene Zitierweise:
Sebastian Ristow: Rezension von: Andreas Thiel: Die Johanneskirche in Ephesos, Wiesbaden: Reichert Verlag 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 3 [15.03.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/03/9715.html


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Andreas Thiel: Die Johanneskirche in Ephesos

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Die vorliegende Arbeit zur Johanneskirche in Ephesos (heute Selçuk), mit einem Vorwort aus dem Jahr 2003 versehen, ist eine christlich archäologische Dissertation mit bau- und architekturgeschichtlichem Schwerpunkt aus dem Jahr 1997. Nach Auskunft des Vorwortes ist die Arbeit auch auf diesem Forschungsstand belassen worden, was angesichts des selbst gesetzten inhaltlichen Schwerpunktes aber kein Problem darstellt, geht es doch um die Vorstellung der Baubefunde, weniger um deren Einordnung in den kunsthistorischen Gesamtkontext. Die kurze forschungsgeschichtliche Einführung enthält auch Hinweise auf die durch Thiel bei der Bearbeitung ausgesparten Inhalte: Befunde von Vorgängerbebauung und Fundamenten der Johanneskirche, Umfassungsmauer des Heiligtums, Reliefplatten vom Baudekor (Bearbeitung durch Mustafa Büyükkolanci) und die religionsgeschichtlichen sowie liturgiewissenschaftlichen Fragestellungen. An die Erläuterung der topografischen Gegebenheiten im folgenden Kapitel schließt der Verfasser die Grabungs- und Restaurierungsgeschichte seit 1863 zu diesem bedeutenden Baudenkmal im touristisch erschlossenen Hinterland von Izmir an.

Das Buch enthält im Mittelteil zwei Hauptabschnitte. Der Erste liefert jeweils kurz gefasste Beschreibungen der einzelnen Bauteile der Kirche mit Darstellung der Abfolge der Untersuchungen, die bisher an den Befunden vorgenommen wurden. Ergänzt wird dieser Abschnitt durch eine bautechnisch detaillierte Beschreibung der Bau- und Ausstattungsphasen der behandelten Kompartimente des Heiligtums bis in die osmanische Periode und die Zeit des Verfalls der Architektur. Eine übersichtliche Zusammenfassung beschließt das erste ausführliche Unterkapitel zum Atrium; die folgenden Teile des Textes zur Westfassade, dem Narthex und der Westempore sowie zum Langhaus sind rein deskriptive Befundvorstellungen. Dem Kapitel ""Transept und Chorarm" ist eine eingehende Interpretation mit Nennung von Vergleichsbauten und Erörterung der Datierungsproblematik angeschlossen. In einigen wesentlichen Punkten, wie dem von Paolo Verzone vorgebrachten frühen Datierungsansatz der 1. Phase dieser Bauteile in die Zeit um 500 (34 f.; 102), zieht sich Thiel auf die Positionen einer späteren Einordnung in frühjustinianische Zeit von Hans Hörmann zurück. [1] Es folgt die Behandlung des inneren Kernbaus sowie - kurz angeschnitten - der architektonischen Gliederung und Raumwirkung, hier unter der Überschrift "Mittelschiff" subsumiert. Sehr knapp werden an dieser Stelle die wichtigsten Vergleichsbauten zur Johanneskirche zum ersten Mal erwähnt: die Hagia Sophia und die Apostelkirche in Konstantinopel, die Basilika B in Philippi und mit Bedeutung in der Frage der mittelalterlichen Nachwirkung S. Marco in Venedig. Die reine Erwähnung dieser Bauten kommt ohne detaillierte Beschreibung, Abbildungen oder annähernd vollständige Nennung der relevanten Forschungsliteratur zu diesen Befunden aus. Der nächste Abschnitt widmet sich den Gewölbekonstruktionen und vergleicht sie mit den Konstantinopolitaner Kuppelbauten justinianischer Zeit sowie Basilika B in Philippi.

Zu den genannten Textpassagen, besonders aber zur folgenden Beschreibung der Bauausstattung hätte man sich in den Text eingebundene Abbildungen gewünscht und dabei zugunsten von Übersicht und Verständnis auch bei den schwarz-weiß Fotografien Abstriche in der Qualität hingenommen. Weshalb die letzten, römisch bezifferten, 53 Tafeln mit Strichzeichnungen auf Kunstdruckpapier am Schluss angehängt sind, bleibt ohnehin unverständlich. In jedem Fall hätte man mit der Einfügung wenigstens dieser Abbildungen in den Fließtext, gerade der Architekturbeschreibungen, die Nutzbarkeit des Buches verbessern können. Der letzte Teil der Vorstellung der eigentlichen Kirche behandelt unter dem Stichwort "Kleinarchitektur" die Reste von Bema- und Ambobauten. An dieser Stelle soll besonders auf die sehr gelungene zeichnerische Rekonstruktion in der Isometrie zur Anlage von ambo, solea und Presbyteriumsabschrankung aufmerksam gemacht werden (Taf. XXXIV), die - wie die weit überwiegende Zahl der Abbildungen - vom Verfasser selbst angefertigt wurden.

Der zweite, ebenfalls überwiegend deskriptive Hauptabschnitt des Buches ist der umgebenden Bebauung der Kirche gewidmet. Es handelt sich um relativ umfangreiche Katalogisierungen der Befunde des Baptisteriums, des schon vorher gut aufgearbeiteten Skeuophylakions und des südlichen Vorhofs sowie den daneben liegenden Bauteilen. Abschließend stellt Thiel die Aussagemöglichkeiten zur Chronologie zusammen. Auf Gräber des 2./3. Jahrhunderts folgt eine erste memoria aus dem mittleren Drittel des 4. Jahrhunderts. Seit dieser Zeit wurde das Heiligtum kontinuierlich vergrößert und stetig umgebaut. Bezogen auf eine Erschließbarkeit der Planung der umfangreichen justinianischen Baumaßnahmen an diesem bedeutenden Anziehungspunkt für das Pilgerwesen in früh- und mittelbyzantinischer Zeit bleibt noch Klärungsbedarf bestehen (102 f.). Für die nachjustinianischen Epochen wird in einem letzten umfangreichen Abschnitt ein an dieser Stelle etwas überraschender, recht ausführlicher Abriss der byzantinischen Geschichte und derjenigen der Kreuzfahrer- und Seldschukenzeit geliefert (103-108). Es folgen noch Zusammenfassungen der einzelnen Kapitel des Hauptteiles in jeweils zwei bis drei Sätzen, für die sich eine Übersetzung, wenigstens in das Englische und vor allem auch in das Türkische, angeboten hätte. Ein Anhang listet die Mauertechniken und ihre möglichen Datierungen auf. Bibliografie und Bebilderung lassen keine Wünsche offen.

Das Buch von Andreas Thiel zur Johanneskirche enthält eine handwerklich saubere, rein technische Beschreibung der bekannten Bauteile und -phasen. Das Monument und die Quellenlage zu diesem Bau, der zu den Kirchen mit hoher Bedeutung für die Kunstgeschichte der justinianischen Architektur zählt, sind durch diese Arbeit gut bebildert erschlossen. Die Bauaufnahmen, Zeichnungen von Einzelbefunden und Rekonstruktionen lassen deutlich die Professionalität des Autors in dieser Hinsicht erkennen. Die bautypologische Einordnung kommt insgesamt etwas zu kurz. Die allgemeine Verständlichkeit der oftmals rein technischen Beschreibungen hätte durch Einfügung der Abbildungen in den Text erheblich gesteigert werden können. Nichtsdestoweniger kann man dem Buch als Befundpublikation den Status eines Standardwerkes zusprechen, auf das weitere Bearbeitungen einzelner Aspekte dieses bedeutenden frühchristlichen Baus zurückgreifen werden. Vor allem eine Bearbeitung der Fragen zu den liturgischen Abläufen im Heiligtum und der Bedeutung der Anlage innerhalb des kleinasiatischen Pilgerwesens in früh- und mittelbyzantinischer Zeit wäre ein weiteres lohnenswertes Unterfangen. Es bleibt zu wünschen, dass auch andere, baugeschichtlich ähnlich interessante Kirchenanlagen bei bedeutenden Fundplätzen der klassischen Antike in der Türkei, wie z. B. Pergamon, Milet, Perge, Side o. Ä. eine entsprechende, monografische Aufarbeitung auf dem Stand der Zeit erfahren werden. Im benachbarten Ephesos dürfte eine solche Analyse nach den umfassenden Arbeiten der österreichischen Mission an der Marienkirche und in ihrem Umfeld bald vorliegen; bisher siehe dazu die durch Stefan Karwiese in den Jahresheften des Österreichischen Archäologischen Instituts zusammengestellten Vorberichte. [2]


Anmerkungen:

[1] H. Hörmann / J. Keil / F. Miltner: Die Johanneskirche (= Forsch. in Ephesos 4, 3), Wien 1951.

[2] St. Karwiese: Ephesos, Marienkirche. Österr. Arch. Inst., Grabungen 1996, in: Jahresh. Österr. Arch. Inst. 66 (1997) Beibl., 12 ff.; vgl.: http://www.oeai.at/ausland/marienk.html (18.01.2006).

Sebastian Ristow