Joshua D. Zimmerman (ed.): Jews in Italy under Fascist and Nazi Rule, 1922-1945, Cambridge: Cambridge University Press 2005, xix + 374 S., ISBN 978-0-521-84101-6, GBP 30,00
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Der von Joshua D. Zimmerman herausgegebene Sammelband enthält eine Reihe von Aufsätzen aus der Feder ausgewiesener Experten über die Geschichte der Juden in Italien und den italienischen Antisemitismus. Die Beiträge rekonstruieren die Entwicklung des italienischen Judentums seit der Emanzipation, die 1848 begann, als der König von Sardinien, Carlo Alberto, eine liberale Phase einleitete, die mit den Kriegen des Risorgimento und der Vereinigung Italiens unter der Herrschaft des Hauses Savoyen auch ein Ende der diskriminierenden Rechtsnormen mit sich brachte, die die Freiheit der Juden eingeschränkt hatten. Seither ist die Geschichte der italienischen Juden eng mit der Geschichte der italienischen Gesellschaft verflochten, wobei ein außergewöhnlich rascher und intensiver Prozess der Assimilierung zu beobachten war, der die vollständige Integration der italienischen Juden in Staat und Wirtschaft zur Folge hatte. Diese Assimilierung erlaubte es einigen Juden binnen weniger Jahre, auch in politische Spitzenämter aufzusteigen. Vor dem Ersten Weltkrieg besetzten mit Sidney Sonnino und Luigi Luzzatti sogar zwei Politiker jüdischer Herkunft bzw. jüdischen Glaubens das Amt des Ministerpräsidenten.
Der erste Teil des Sammelbandes umfasst die drei Aufsätze von Alexander Stille (The double bind of Italian jews: acceptance and assimilation), Mario Toscano (Italian Jewish identità from Risorgimento to Fascism, 1848-1938) und Giorgio Fabre (Mussolini and the Jews on the eve of the March on Rome). Hier geht es vor allem um die "Italianisierung" der Juden auf der Apennin-Halbinsel, denen es gelungen sei, ihre eigene Identität zu erhalten, ohne Konzessionen machen zu müssen. Die Assimilation in Staat und Gesellschaft sei im Gegenteil praktisch mühelos und ohne innere Risse in den Gemeinden erfolgt, da es keinen politischen Antisemitismus und keine Judenfeindschaft gegeben habe.
Der zweite Teil des Buches ist der Entstehung der Rassengesetze von 1938 gewidmet und berührt damit einen sowohl für das kollektive Gedächtnis Italiens als auch für die politische Debatte noch immer sensiblen Punkt. Die hier zusammengefassten Aufsätze (Michele Sarfatti, Characteristics and objectives of the anti-Jewish racial laws in fascist Italy, 1938-1943; Annalisa Capristo, The exclusion of Jews from Italian academies; Roberto Finzi, The damage to Italian culture: the fate of Jewish university professors in fascist Italy and after, 1938-1946; Sandro Servi, Building a racial state: Images of the Jew in the illustrated fascist magazine, La Difesa della razza, 1938-1943; Iael Nidam-Orvieto, The impact of anti-Jewish legislation on everyday life and the response of Italian Jews, 1938-1943; Klaus Voigt, The children of Villa Emma at Nonatola; Fabio Levi, Anti-Jewish persecution and Italian society) erschüttern das von der italienischen Historiografie jahrzehntelang gestützte, selbstgerechte Bild einer Gesellschaft, die den Rassengesetzen in hohem Maße feindselig gegenüber gestanden habe. Dabei widersprechen sich der erste und der zweite Teil des Sammelbandes nicht. Denn der lange, friedliche Prozess der Assimilierung der jüdischen Minderheit wurde brüsk von der gewalttätigen und suggestiven Propagandakampagne der stabilen und fest verwurzelten Diktatur Mussolinis unterbrochen. Nachdem das faschistische Regime schon 15 Jahre geherrscht und alle bürgerlichen Freiheiten zerstört habe, sei es der Propaganda in fünf Jahren gelungen, einen großen Teil der Italiener davon zu überzeugen, dass die Juden wirklich eine Gefahr darstellten, die man bekämpfen und isolieren müsse. Michele Sarfatti, einer der besten Kenner der Materie, hat bilanziert: "But the implementation of the anti-Jewish laws was in itself proof that the Fascist dictatorship was no joke and it had succeded in compelling an ample consent among the Italian population." (78)
Der dritte Teil des Bandes mit Aufsätzen von Liliana Picciotto (The Shoah in Italy: its history and characteristics), Robert Katz (The Moellhausen telegram, the Kappler decodes, and the deportation of the Jews of Rome: the new CIA-OSS documents, 2000-2002) und Cinzia Villani (The persecution of Jews in two regions of German-occupied Northern Italy, 1943-1945: Operationszone Alpenvorland and Operationszone Adriatisches Küstenland) befassen sich mit den Jahren der deutschen Besatzung, die auch die italienischen Juden mit den dramatischen Geschehnissen der Shoah konfrontierten. Am innovativsten sind die Beiträge dort, wo sie sich mit der Frage beschäftigen, welchen Beitrag die italienische Bevölkerung zur Ergreifung und Deportation der Juden geleistet hat - beispielsweise in Regionen wie Bozen, wo "To a large extent, the local population was actively involved in the arrest of Jews everywhere in the province." (246) Damit wird auch der Befund bestätigt, dass es dem faschistischen Regime gelungen ist, der Bevölkerung einen Antisemitismus einzuimpfen, der bis 1938 eine zu vernachlässigende Erscheinung in der italienischen Kultur und Mentalität gewesen war.
Der vierte Teil thematisiert mit Aufsätzen von Frank J. Coppa (The papal response to Nazi and Fascist Anti-semitism, from Pius XI to Pius XII) und Susan Zuccotti (Pius XII and the rescue of Jews in Italy: evidence of a papal directive) die viel diskutierte Rolle des Vatikans und von Papst Pius XII. während des Zweiten Weltkriegs. Beide Aufsätze lassen Pius XII. in ziemlich schlechtem Licht erscheinen. Dies gilt weniger für Susan Zuccotti, die ihre These bekräftigt, dass es keine Anweisung des Papstes gegeben habe, die Juden in Rom (und nicht nur dort) zu retten, als für Frank Coppa, der die Politik von Pius XI. und Pius XII. gegenüber dem wachsenden Antisemitismus in Deutschland und Italien in vergleichender Perspektive in den Blick nimmt und dabei für Pius XII., den er zu großer Vorsicht zeiht, zu unerfreulichen Ergebnissen kommt.
Der Sammelband schließt mit drei Aufsätzen von Anna Bravo (The rescued and the rescuers in private and public memories), Millicent Marcus (Return of the repressed: Italian film and Holocaust memory) und Ruth Ben-Ghiat (The secret histories of Roberto Benigni's Life is beautiful), die sich mit der öffentlichen Erinnerung an die Shoah in Italien beschäftigen. Diese Beiträge runden ein ausgesprochen nützliches Studienbuch ab, das einen umfassenden Überblick über die neuere Forschung zu einem schwierigen Thema ermöglicht, über das man außerhalb Italiens verhältnismäßig wenig weiß.
Amedeo Osti Guerrazzi