Peter Feldbauer / Michael Mitterauer / Wolfgang Schwentker (Hgg.): Die vormoderne Stadt. Asien und Europa im Vergleich (= Querschnitte. Einführungstexte zur Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte; Bd. 10), München: Oldenbourg 2002, 288 S., ISBN 978-3-486-56669-7, EUR 24,80
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Wolfgang Schwentker (Hg.): Megastädte im 20. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006
Die Erforschung der europäischen Stadt besitzt in der Geschichtswissenschaft eine lange Tradition; aber auch asiatische Städte rückten - mit vergleichsweise großen regionalen Unterschieden - in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend in das Blickfeld der Historiker. In vielfacher Weise wirkte dabei Max Weber mit seiner Arbeit "Die Stadt" und der Konstruktion idealtypischer Stadtformen diskussionsbildend. Im Gegensatz zur "abendländischen" Stadt bleibt die Darstellung der Gemeinwesen Asiens bei Weber allerdings schemenhaft und lässt bisweilen kaum eine Trennung zwischen realen politischen, ökonomischen und sozialen Strukturen und landläufigen Topoi erkennen. Der von Peter Feldbauer, Michael Mitterauer und Wolfgang Schwentker herausgegebene Sammelband "Die vormoderne Stadt. Asien und Europa im Vergleich" greift Webers Ansatz, europäische und asiatische Städte strukturgeschichtlich zu erfassen, auf, geht aber in seiner Vergleichsperspektive und seiner inhaltlichen Vielfalt weit darüber hinaus.
Ausgewiesene Kenner europäischer und asiatischer Städte bieten ein breites Spektrum an Einzelbetrachtungen, die nicht nur geografische Breite, sondern auch mit mehr als anderthalb Jahrtausenden eine große zeitliche Tiefe umfassen. Den Beginn machen die klassischen Stadtkulturen der römischen und griechischen Antike, die von Jochen Martin untersucht werden, und diejenigen Süd- und Südostasiens, die Tilman Frasch am Beispiel von Anuradhapura (Sri Lanka), Angkor (Kambodscha) und Pagan (Birma/Myanmar) betrachtet. Mit Michael Mitterauers Untersuchung zur Zentralität der Städte im mittelalterlichen Europa wendet sich der Blick wieder zurück nach Westen. Gleichsam eine Brücke zwischen asiatischen und europäischen Stadttypen nehmen die mittelalterlichen islamischen Städte ein, die sowohl antike, europäische als auch indigen-islamische Traditionen aufgriffen, wie Peter Feldbauer untersucht. Ein großer Einfluss des Islam auf die Stadtentwicklung im nördlichen Indien kann ebenfalls von Monica Juneja nachgewiesen werden. Es folgen Betrachtungen zum vormodernen China von Hans Ulrich Vogel, zu Japan von Marcus Rüttermann sowie zu Russland von Andreas Kappeler. Weiterhin enthält der Band Betrachtungen zu den europäischen Metropolen (Herbert Knittler) und den frühneuzeitlichen, europäischen Städten in ihrer Funktion als Arbeitsmarkt (Josef Ehmer und Reinhold Reith). Den Abschluss des Bandes bildet ein strukturell-theoretischer Vergleich, der sich mit den gängigen Theorien und Modellen zur Stadtentwicklung von Weber über Marx bis zu Walter Christallers Theorie der "zentralen Orte" und aktuellen Netzwerktheorien erstreckt. Die inhaltliche und räumliche Breite ist beeindruckend, obwohl der Leser einen Beitrag zur kolonialen Stadt Asiens vermisst, die doch in struktur- und sozialgeschichtlicher Perspektive eine wichtige Brückenfunktion zwischen der europäischen und der asiatischen Stadt einnimmt. Erfreulich und nützlich ist die intensive Beschäftigung der einzelnen Verfasser mit den einschlägigen historischen Forschungen und Kontroversen. So erhält der Leser gleichsam als Nebenprodukt einen Überblick über die regionalspezifischen historischen Forschungstraditionen.
Die Erwartungen, die der Titel des Bandes weckt - einen umfassenden Vergleich zwischen europäischen und asiatischen städtischen Gemeinwesen zu erhalten - werden realistischerweise schon in der Einleitung durch die Herausgeber relativiert. Das ist legitim, denn die doch oftmals ganz unterschiedlichen Quellen und Forschungstraditionen werden kaum einen modellhaften, idealtypischen Vergleich zwischen beiden Kontinenten zulassen. Vielmehr streben die einzelnen Beiträge einen Vergleich innerhalb von Großregionen oder zwischen einzelnen Epochen an; und als das Spannende erweist sich schließlich die Frage, ob es anstatt modellhafter Unterschiede zwischen Europa und Asien nicht doch eher strukturelle Gemeinsamkeiten und die gegenseitige Übernahme von Traditionen gab. Auch wenn beispielsweise zwischen China und dem mittelalterlichen und frühmodernen Europa offensichtlich beträchtliche Unterschiede hinsichtlich des obrigkeitlichen, territorialherrschaftlichen Zugriffs auf städtische Gemeinschaften existierten und die "abendländische", durch weitgehende Autonomie geprägte Stadt nicht bloß eine Fiktion darstellt, muss beim Vergleich zwischen Indien und dem Westen differenziert werden. So existierte in nordindischen städtischen Gemeinwesen ebenfalls wie in China keine institutionalisierte Autonomie, gleichwohl konstituierten sich hier kollektive Freiräume und Identitäten auf andere Weise, etwa über Familienverband, Haushalt oder Kaste.
Ein innovatives Buch, das nicht allein intellektuelle Anregung, sondern auch (bis auf wenige Passagen, die durch die überreichliche Verwendung asiatischer Eigenbezeichnungen verwirren) Lesegenuss bietet.
Martin Krieger