Leonore Ansorg: Politische Häftlinge im Strafvollzug der DDR. Die Strafvollzugsanstalt Brandenburg (= Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten; Bd. 15), Berlin: Metropol 2005, 411 S., ISBN 978-3-938690-21-5, EUR 21,00
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Seit den Überblicksdarstellungen von Karl Wilhelm Fricke und Gerhard Finn aus der Zeit vor 1989 sind wichtige Einzelaspekte des DDR-Strafvollzugs untersucht worden. Auch die politische Justiz wurde intensiv aufgearbeitet. Die meisten Autoren jedoch nahmen sich einzelner Gefängnisse an, so etwa der Haftanstalten Torgau und Bautzen II sowie der MfS-Untersuchungshaftanstalt Schwerin. Leonore Ansorg behandelt nun den drittgrößten Haftort des SED-Regimes, die "Strafvollzugseinrichtung Brandenburg-Görden".
Die Autorin beleuchtet die Strukturentwicklung der Haftanstalt, die Haftbedingungen und die Insassen zwischen 1949 und 1990. Mit Akribie arbeitet sie den repressiven Charakter des DDR-Strafvollzugs heraus und stützt sich dabei gleichermaßen auf die Aussagen von Zeitzeugen, die schriftlichen Hinterlassenschaften der Haftanstalt wie auch auf Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit. Sie behandelt den Arrest, den Arbeitseinsatz der Gefangenen und deren Überwachung durch die Geheimpolizei. Besonders ausführlich schildert sie die Veränderungen der Haftbedingungen aus der Perspektive der Betroffenen, deren Biografien sie verschiedentlich als Exkurse in die Darstellung einflechtet. Erst diese Häftlingsschicksale machen die menschliche Tragweite politischer Repression greifbar. Ansorg bezeichnet die von ihr ausgewählten Gefangenen als "exemplarisch für die Gründe der Verfolgung" (15), doch die teilweise prominenten politischen Häftlinge sind nicht unbedingt statistisch repräsentativ.
Ansorg unterscheidet zwischen kriminellen und politischen Gefangenen, wobei sie die Grenze sehr weit fasst. Wegen "Straftaten gegen die staatliche Ordnung" Verurteilte rechnet sie unisono hinzu (241), Verurteilungen wegen "illegalem Waffenbesitz" erklärt sie durchweg zu "politisch motivierten Urteilen" (107). Sie hält die "Motivlage des Einzelnen" für "kein Kriterium für die Bewertung als politischer Gefangener" (13), sondern allein die Verfolgungsmotivation des Staates; eine etwaige Gewaltbereitschaft der Betreffenden steht dem aus ihrer Sicht auch nicht entgegen (14-15). Diese Definition ist richtig, soweit sie die zahlreichen Opfer einschließt, die ohne eigenes Zutun in die Mühlen der politischen Justiz gerieten (besonders im Zuge der wirtschaftlichen Umgestaltungspolitik in der stalinistischen Phase). Ansorgs Verständnis eines politischen Gefangenen trifft jedoch auch auf gewaltbereite Neonazis zu, die selbst nach rechtsstaatlichen Maßstäben strafrechtlich verfolgt würden.
Vielfache Willkür im Ermittlungsverfahren verlangt heute eine Aufhebung der betreffenden Urteile, doch setzt Ansorg dies mit einem Nachweis der Unschuld gleich, da sie hauptsächlich den Aussagen der Betroffenen Glauben schenkt. So zitiert sie zu den 1955/56 von der Sowjetunion übergebenen 749 "Spätheimkehrern" vorwiegend die Memoiren eines Betroffenen und bezweifelt deren "Zuordnung" zu den "Verbrechen gegen die Menschlichkeit", mit Ausnahme von "fünf KZ-Aufsehern" (72). Die von Ansorg nicht zitierte Literatur besagt indes, dass auch mindestens 72 Angehörige der Waffen-SS, 44 Polizeiangehörige und über 400 Wehrmachtssoldaten darunter waren, die teilweise Gräueltaten an der Zivilbevölkerung verübt haben sollen. Zwei Betroffene wurden denn auch später von der bundesdeutschen Justiz zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt. Für alle Übrigen gilt im juristischen Sinne die Unschuldsvermutung, doch der Historiker sollte pauschal weder verurteilen noch Persilscheine ausstellen.
Was die politische Verfolgung der Ausreisebewegung in den Achtzigerjahren betrifft, hält Ansorg Johannes Raschkas Einteilung von Fluchtgründen in "eher persönliche" und "politische Motive" für "ziemlich willkürlich" und Bernd Eisenfelds Rubriken von "objektiven" und "subjektiven" Beweggründen für "ebenso zweifelhaft" (242). Denn auch wirtschaftliche Fluchtgründe versteht Ansorg als im Kern politische, weil "die DDR eben weder materielle Bedürfnisse befriedigen konnte noch eine Alternative jenseits des materiellen Konsums entwickelt hatte" (243).
Ansorg gliedert den DDR-Strafvollzug in drei Perioden: die Fünfzigerjahre, die Phase bis Mitte der Siebzigerjahre und die nachfolgende Zeit. Entscheidende Zäsuren im Prozess der Entstalinisierung - Mitte der Fünfziger- sowie Mitte der Sechzigerjahre - gehen dabei etwas unter. Innerhalb der drei chronologisch angeordneten Hauptkapitel betreffen die einzelnen Abschnitte die Entwicklung der Haftanstalt, den Arbeitseinsatz und die Häftlingszahlen in den unterschiedlichen Dezennien. Dabei bleiben Reihenfolge und Zuschnitt der Kapitel etwas unklar, sodass der Leser in Ansorgs Studie gelegentlich nach einem "roten Faden" sucht.
Zutreffend skizziert sie die Entwicklung der Strafanstalt, die Veränderungen der Häftlingsstruktur und die Vorgaben der obersten Gefängnisverwaltung zur Behandlung der Insassen. Auch die Bestrebungen der politischen Gefangenen zur Selbstbehauptung sowie ihr Verhältnis zu den Kriminellen zeigt sie auf, was bislang kaum thematisiert worden ist. Die Autorin kann auch genau belegen, dass die Anstaltssicherheit für die Gefängnisleitung stets Priorität hatte, und dass gleich danach der Arbeitseinsatz kam. Allerdings irrt sie mit der Einschätzung, dass schon aufgrund der miserablen Bezahlung die Gefangenenarbeit eine "lukrative Einnahmequelle für den Staat" gewesen sei (139). Denn es entstanden auch hohe Kosten - etwa für die lückenlose Bewachung, die zahllosen Gefangenentransporte, die (schlechte) Verköstigung und den Unterhalt der Gebäude. Aufgrund der Ineffizienz der sozialistischen Planwirtschaft war der DDR-Strafvollzug in Wirklichkeit ein Zuschussbetrieb, einträglich nur durch den Häftlingsfreikauf.
Die Autorin konzentriert sich ganz auf die Haftanstalt Brandenburg-Görden - und spricht verschiedentlich von einer "besonderen Situation" dort (139), ohne dies im Einzelnen zu erläutern. Für "bezeichnend" hält Ansorg etwa die Häufigkeit der strengen Arreststrafen in der Haftanstalt an der Havel, zieht aber Vergleichszahlen aus anderen Gefängnissen nicht heran (183). Auch hält sie es für eine "besondere Perfidität der SED-Politik, politische Gefangene als kriminelle Straftäter zu diskreditieren und sie entsprechend zu behandeln" (9), doch viele (wenn nicht alle) autokratischen und diktatorischen Systeme verfahren so. Nicht nachzuvollziehen ist auch Ansorgs Wertung, dass sich die Praxis im ostdeutschen Strafvollzug seit 1989 "nicht grundlegend verändert" habe (386). Hier wäre ein Blick in die wissenschaftliche Literatur angebracht gewesen.
Ansorg pflegt eine plastische Sprache, in die sich aber auch euphemistische und technokratische DDR-Termini eingeschlichen haben. So werden "Strafvollzugseinrichtung", "Besserungswillige" (159), "Gefangenenbestand" (58), "Raumnormativ" (296) und Honeckers "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" (210) ohne Anführungszeichen verwendet.
Widersprüche zwischen den Aussagen von Zeitzeugen und den Akten hätte Ansorg deutlicher benennen können. Wichtige und weit reichende Behauptungen (wie zur "Widerstandsgruppe" in Brandenburg-Görden) stützt sie sogar allein auf die Aussagen eines einzigen Zeitzeugen (135). In mehreren Fällen sind auch keine oder ungenaue Fundstellen der Archivalien genannt, sodass sie sich einer Überprüfung entziehen (135-136, 145, 236, 240). Gleichwohl gebührt der Autorin das Verdienst, der zeitgeschichtlichen Forschung die Akten der Staatsanwaltschaft Neuruppin zugänglich gemacht zu haben. Deren Anstrengungen zur strafrechtlichen Ahndung von Übergriffen der Aufseher hält Ansorg für enttäuschend und durch "Unkenntnis" geprägt (384). Mit diesem bitteren Ergebnis endet ihre Geschichte von Brandenburg-Görden. Eine Zusammenfassung oder Einordnung der Ergebnisse in einem Schlusskapitel sucht der Leser ebenso vergeblich wie ein Personen- oder Sachregister.
Tobias Wunschik