Rezension über:

Claudia-Anja Kaune: Willy Hellpach (1877-1955). Biographie eines liberalen Politikers der Weimarer Republik (= Mainzer Studien zur Neueren Geschichte; Bd. 15), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2005, 441 S., ISBN 978-3-631-53851-7, EUR 68,50
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Rezension von:
Joachim Scholtyseck
Universität Bonn
Empfohlene Zitierweise:
Joachim Scholtyseck: Rezension von: Claudia-Anja Kaune: Willy Hellpach (1877-1955). Biographie eines liberalen Politikers der Weimarer Republik, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 7/8 [15.07.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/07/10298.html


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Claudia-Anja Kaune: Willy Hellpach (1877-1955)

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Der Name Willy Hellpach ist heute nur noch Spezialisten der Liberalismusforschung und der Psychologie geläufig. Dabei spielte der DDP-Politiker in der Weimarer Republik eine nicht unbedeutende Rolle. Der badische Staatspräsident kandidierte nach dem Tod des Reichspräsidenten Ebert im Jahr 1925 für das Amt des Staatsoberhauptes, hatte allerdings keine Chance, in die Stichwahl zu kommen. Denn die Weimarer Koalition einigte sich auf den Zentrumspolitiker Wilhelm Marx, einen Kompromisskandidaten von DDP, SPD und Zentrum, um - letztendlich vergeblich - Paul von Hindenburg, die volkstümliche "Galionsfigur des 'nationalen' Lagers" (Heinrich August Winkler), zu verhindern.

Nun hat die vorliegende Arbeit von Claudia-Anja Kaune eine Forschungslücke geschlossen. Die Verfasserin hat eine wissenschaftliche Biografie vorgelegt, die das Wissen über Hellpach wesentlich erweitert. Sie hat dafür nicht nur die bisweilen an entlegener Stelle publizierten Zeitungsartikel, Aufsätze und Abhandlungen ihres Protagonisten gesichtet, sondern auch den umfangreichen Nachlass konsultiert, der im Generallandesarchiv Karlsruhe aufbewahrt wird.

Der 1877 im schlesischen Oels als Sohn eines königlichen Kreisgerichtskalkulators geborene Hellpach emanzipierte sich rasch von den kleinbürgerlichen Verhältnissen, in die er geboren worden war. Ausgestattet mit einem "Selbstbewußtsein, das zuweilen an Selbstüberschätzung grenzte" (355), und fasziniert von den psychologischen Aspekten menschlichen Handelns, studierte er zunächst in Greifswald Medizin und Psychologie, ehe er nach Leipzig wechselte, wo er 1899 promoviert wurde. Vier Jahre später erwarb er in Heidelberg, dem späteren Zentrum seines Lebens, die medizinische Doktorwürde. Seine akademische Karriere begann er an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Hier wurde Hellpach, der zum Lebensunterhalt eine Praxis als Nervenarzt unterhielt, 1911 "nichtplanmäßiger außerordentlicher Professor" für Psychologie. Trotz aller Bemühungen erhielt er erst zwei Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges einen Ruf auf eine planmäßige Professur für allgemeine und angewandte Völker- und Sozialpsychologie und wurde zugleich Direktor des Instituts für Sozialpsychologie.

Zu diesem Zeitpunkt war Hellpach bereits ein vielbeachteter Publizist und Schriftsteller. Der Erste Weltkrieg bedeutete für ihn wie für die meisten seiner Generation einen tiefen Einschnitt. Als Unterarzt zum Kriegsdienst eingezogen, wurde er gleich zu Kriegsbeginn an die Front versetzt. In den Gefechtspausen entwickelte er die "zunächst noch vage Idee einer konservativen Demokratie" (55), Gedanken, die sein "politisches Lebensziel" wurden und die er nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in seiner Schrift "Pax futura. Die Erziehung des friedlichen Menschen durch eine konservative Demokratie" wieder aufnahm.

Neben zahlreichen Publikationen über verschiedene Gebiete der Psychologie schrieb Hellpach unter einem Pseudonym auch politische Texte. Nach dem Ersten Weltkrieg trat er, beeindruckt vor allem von der Persönlichkeit Max Webers, noch im Gründungsjahr 1918 der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) bei. 1922 wurde der selbstbewusste Karlsruher Professor, der immer eine gewisse Distanz zu seiner eigenen Partei hielt, badischer Kultusminister. In dieser Funktion konnte er das akademische und praktische Wissen seiner werk- und arbeitspsychologischen Studien umsetzen. Seine pädagogischen Kenntnisse führten ihn dazu, vor allem die Bildungsdefizite der Volksschüler resolut zu bekämpfen: Lehrerbildung sowie Fortbildung als "Berufsschule" mit einem weiten Kanon, der über die herkömmliche Arbeitslehre hinausging und allgemeine Wissensgebiete wie Deutsch und Staatskunde auf den Lehrplan setzte, wurden zum Markenzeichen seiner wegweisenden Reformpolitik.

Von 1928 an nahm er ein Reichstagsmandat für die DDP wahr, das er allerdings, vom parlamentarischen Arbeitsalltag enttäuscht und der politischen Querelen überdrüssig, im Frühjahr 1930 schon wieder niederlegte. Hellpach war auch zu wenig Vollblutpolitiker, als dass er sich eine Hausmacht hätte erobern wollen oder können. Sein Rücktritt, der ein breites Presseecho hervorrief, war Folge seiner politischen Ungeduld. Die idealisierten Vorstellungen, wie eine Demokratie zu funktionieren habe, vertrugen sich nicht mit der Realität des Deutschen Reichstags. Allerdings bedeutete sein Rückzug aus der Tagespolitik keine Abwendung von Weimar. Dies nachgewiesen zu haben, kann als das zentrale Ergebnis der vorliegenden Arbeit gelten. Den kürzlich von Christian Jansen erhobenen Vorwurf, Hellpachs Politik in den letzten Jahren der Weimarer Republik stehe exemplarisch für eine politische Radikalisierung und eine antiparlamentarische Wendung der bürgerlichen Mitte in Deutschland, kann die Verfasserin mit guten Argumenten und gestützt auf die Aktenlage als überzogen zurückweisen. Vielmehr bemühte Hellpach sich darum, eine breite "Mittelpartei" unter Einschluss des Rechtsliberalismus zu schaffen.

Auch sein Eintreten für die konservativ ausgerichtete württembergische Regierung von Eugen Bolz (Zentrum) und dem konservativen Hugenberg-Adlatus Wilhelm Bazille war kein Schritt in den Abgrund des Antiparlamentarismus, sondern pragmatische Konsequenz. Das umstrittene Bündnis muss aus der Rückschau als ein Schritt in die richtige Richtung angesehen werden: Angesichts der mannigfachen politischen Bedrängnisse konnte es nicht mehr allein um die Verteidigung einer "reinen" liberalen Lehre gehen. Politische Kompromisse waren unabdingbar, um die Gegner der Demokratie in Schach zu halten. Allerdings verharrte Hellpach in der Regel bei Kritik und nicht selten auch bei kleinlicher Mäkelei, anstatt konstruktive Vorschläge zu machen. Weder mit Brünings Kurs noch mit der neu gegründeten "Deutschen Staatspartei" vermochte er sich genügend anzufreunden.

Von den Nationalsozialisten trennten ihn Welten. Noch zu Weihnachten 1932 schrieb er in der "Neuen Zürcher Zeitung", Hitlers Politik sei "abwegig und unfaßlich" und eigentlich eine "Unpolitik" (330). Als Psychologe beobachtete er fasziniert und ratlos zugleich, dass vor allem die Jugend von der "Bewegung" in ihren Bann gezogen wurde - eine Anziehungskraft, deren Fehlen er beim Liberalismus stets bemängelt hatte. Eine Affinität zur NS-Ideologie oder zur Rassenlehre lässt sich weder aus seinen Schriften noch aus seinen mannigfachen Stellungnahmen jener Jahre ablesen.

Die "Machtergreifung" Hitlers, die er politisch heimatlos erlebte, bedeutete zugleich das Ende seiner politischen Karriere. Im "Dritten Reich" zog sich Hellpach in den Elfenbeinturm seiner wissenschaftlichen Forschungen zurück. Der NSDAP, die ihn als Mann des "Systems" mit kalter Verachtung beobachte, trat er nicht bei. Wie nicht anders zu erwarten, ist das Schriftgut, das über die Jahre von 1933 bis 1945 Auskunft geben könnte, recht spärlich. Dass er sich irgendwann in diesen Jahren, die er fast ausschließlich in Heidelberg verbrachte, auf den Nationalsozialismus eingelassen hätte, ist aus dem, was an Akten überliefert ist, nicht zu erkennen.

Nach 1945 hatte Hellpach ein Alter erreicht, in dem eine Rückkehr auf die politische Bühne unwahrscheinlich war. Er schrieb seine zweibändigen Memoiren, hielt weiter Lehrveranstaltungen und beschäftigte sich im Rahmen einer intensiven Vortragstätigkeit mit politischen und psychologischen, hauptsächlich jedoch mit bildungspolitischen Fragen. Hellpach war sicherlich kein Politiker der ersten Garnitur. Als selbstbewusster Exzentriker machte er sich auf der politischen Bühne dafür ohnehin zu viele Feinde. Vielleicht war er auch zu sehr psychologisierender Einzelgänger, als dass er sich auf Machtspiele im "Jahrhundert der Extreme" eingelassen hätte. Hellpach wird vielleicht auch deshalb in Zukunft ein Mann bleiben, der nur den Spezialisten der Liberalismusforschung und der Psychologie bekannt ist.

Joachim Scholtyseck