Winfried Müller / Wolfgang Flügel / Iris Loosen / Ulrich Rosseaux (Hgg.): Das historische Jubiläum. Genese, Ordnungsleistung und Inszenierungsgeschichte eines institutionellen Mechanismus (= Geschichte. Forschung und Wissenschaft; Bd. 48), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2004, VII + 389 S., ISBN 978-3-8258-6597-9, EUR 29,90
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Der von Winfried Müller in Verbindung mit Wolfgang Flügel, Iris Lossen und Ulrich Rosseaux herausgegebene Sammelband "Das historische Jubiläum" ist aus dem Dresdner Sonderforschungsbereich 537 "Institutionalität und Geschichtlichkeit" hervorgegangen und geht auf Beiträge eines 2001 stattgefundenen Workshops zurück.
Eingangs bietet Müller einen Überblick über die Entwicklung (europäischer) Jubiläen vom Alten Testament bis in die Gegenwart (1-75). Diese Einleitung kann zugleich als eine der wenigen grundlegenden historischen Publikationen zum Thema angesehen werden. Sie ergänzt Michael Mitterauers Aufsatz aus dem Jahr 1997 [1]. Müller gelingt es wie Mitterauer zu vermitteln, dass es weiterführend sein kann, gerade Jubiläen in den Blick zu nehmen, wenn man Inszenierungen oder Festlichkeiten als Bestätigung, Aushandlung oder auch Infragestellung von Interessen, Macht- und Herrschaftsverhältnissen - welcher Art auch immer - hinterfragen möchte.
Gerade weil Müllers Beitrag allerdings vermittelt, einen enzyklopädischen Überblick zu bieten, ist an ihm wie auch an den inhaltlichen Schwerpunkten der folgenden Beiträge einiges zu kritisieren. Vor allem irritiert ein eurozentrischer Blickwinkel, der gar nicht angesprochen, geschweige denn reflektiert wird. So wird beispielsweise die Frage nach dem Stellenwert von Jubiläen in außereuropäischen Gesellschaften gar nicht erst gestellt, wobei maßgebliche Bedeutungsdimensionen von Jubiläen ausgeklammert bleiben. Beispiele waren Monarchenjubiläen als Inszenierung von kolonialen Herrschaftsansprüchen, auf die David Cannadine in seiner Kulturgeschichte des britischen Kolonialismus "Ornamentalism" so einleuchtend hingewiesen hat. [2] Wo könnte sich die politische Dimension von Jubiläen denn deutlicher zeigen lassen als anhand der Festlichkeiten zum diamantenen Regierungsjubiläum Queen Victorias 1897 auf Sansibar?
Dies nur als Beispiel ist festzuhalten, dass für Müllers Überblick wie für den folgenden Sammelband gilt: Gerade diejenigen Jubiläen werden ausgeklammert bzw. nur am Rande erwähnt, die besonders deutlich auf eine Präsentation von Macht oder auf die Durchsetzung von Herrschaftsansprüchen abzielten. Man vermisst in dem Sammelband nicht allein Beispiele aus der Kolonialgeschichte, sondern auch aus der Geschichte der USA, des Nationalsozialismus' oder der DDR. Bis auf Hannes Stekls Beitrag zu Gedenktagen und Jubiläen in Zentraleuropa (177-193) wird außerdem im Wesentlichen lediglich der deutschsprachige Raum untersucht.
Schwerpunkte liegen auf kirchlichen Jubiläen, die als grundlegend für die historische Entwicklung des Jubiläums in der Neuzeit angesehen werden. Einige Beiträge nehmen Feiern zum gleichen Anlass in unterschiedlichem zeitlichem Abstand in den Blick, was Vergleiche ermöglicht. Es werden konfessionelle, politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Jubiläen sowohl im öffentlichen Raum als auch im lokal abgegrenzten Rahmen untersucht.
Wolfgang Flügel analysiert "Zeitkonstrukte" in Reformationsjubiläen bis zum 19. Jahrhundert (77-99), Stefan Laube die "Inszenierten Jubelgeschichten um das Lutherhaus" in Wittenberg (101-116), Iris Loosen Jubiläumsfeiern unter Papst Paul V. vor allem in den Bistümern Würzburg und Bamberg (117-137), Ralph Schuller barocke Klosterjubiläen im deutschsprachigen Raum (139-156), Werner Freitag Wallfahrtsjubiläen in Paderborn und Telgte im 18. Jahrhundert (157-176), Ute Planert Jubiläen in den Rheinbundstaaten in der Vorgeschichte des "Befreiungskrieges" (195-217), Simone Mergen Monarchiejubiläen in Sachsen und Bayern im 19. Jahrhundert (219-243), Thomas Barth Verfassungsjubiläen im Königreich Sachsen (245-268), Simone Dannenfeld den Sedanstag (269-289), Christel Köhle-Hezinger Ehe- und Arbeitsjubiläen im 19. Jahrhundert (291-308), Thomas Keiderling "Betriebs- und Branchenjubiläen in Sachsen" (309-330), Veit Damm "Jubiläumsaktivitäten und Unternehmenskommunikation deutscher Banken im späten 19. Jahrhundert"(331-347), Ulrich Rosseaux die städtische Jubiläumskultur von Annaberg in Sachsen zwischen 1696-1996 (349-367) und Katrin Minner die 1000-Jahrfeier von Merseburg 1933 (369-389).
Insgesamt sind alle Beträge bis auf ihre Gemeinsamkeiten im deutschen Sprachraum und ihrer chronologischen Abfolge nicht durch ein über den Themenkreis "Jubiläum" hinausweisendes Konzept verbunden. Das ist allerdings eher ein Vorteil des Bandes, weil so ganz unterschiedliche Ansätze versammelt werden können. Die Chance interdisziplinärer Perspektiven wird allerdings kaum genutzt. So fehlen beispielsweise vollständig - bei diesem Thema sich regelrecht aufdrängende - Analysen von visuellen und akustischen Medien, seien es nun Jubiläumspostkarten, Filme oder Lieder.
Da zum Großteil eher jüngere Autorinnen und Autoren auftreten, wären außerdem nähere Hinweise auf wissenschaftlichen Werdegang, institutionelle Anbindung und Forschungsschwerpunkte wünschenswert.
Trotz dieser Kritikpunkte bietet der vorliegende Band auch sehr gelungene Beiträge. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang der leider nur kurze Beitrag von Veit Damm zu Firmenjubiläen von Banken im späten 19. Jahrhundert (331-347). Hier erhält man weit über den engeren Untersuchungsgegenstand hinausreichende methodische und inhaltliche Anregungen. Damm bezieht sich vor allem auf Archivalien des Hausarchivs von Sal. Oppenheim jr. & Cie., Köln. Dabei gelingt es ihm zum einem aufzuzeigen, wie zentral solche Jubiläen gerade für die Selbstdarstellung von Banken waren - jenen Unternehmen, die ihre Erfolge nicht durch greifbare Waren verzeichneten. Zum anderen verdeutlicht Damm die Reziprozität von Festessen, Reden und Geschenken innerhalb der Unternehmensstruktur, den - wie er es nennt - "Riten der Gegenseitigkeit" (345). Damit macht Damm deutlich, wie zentral Jubiläen in der Stiftung, Verhandlung und Stabilisierung von Sozialstrukturen von Unternehmen waren, wie in ihnen Hierarchien abgebildet, befestigt, aber auch konterkariert und hintergangen werden konnten. Und nicht zuletzt zeigt sich hier, wie weiterführend eine kulturhistorische Perspektive auf wirtschaftshistorische Themen sein kann.
Insgesamt sind es Beiträge wie der Damms, die den hier zur Debatte stehenden Sammelband zur "Genese, Ordnungsleistung und Inszenierungsgeschichte" des Jubiläums - trotz der oben geäußerten Kritik - lesenswert machen.
Anmerkungen:
[1] Michael Mitterauer: Anniversarium und Jubiläum. Zur Entstehung und Entwicklung öffentlicher Gedenktage, in: Emil Brix / Hannes Stekl (Hg.): Der Kampf um das Gedächtnis. Öffentliche Gedenktage in Mitteleuropa, Wien / Köln / Weimar 1997, 23-89.
[2] David Cannadine: Ornamentalism. How the British Saw Their Empire, Oxford 2001, 101-120.
Hubertus Büschel