Brigitte Hotz: Päpstliche Stellenvergabe am Konstanzer Domkapitel. Die avingonesische Periode (1316-1378) und die Domherrengemeinschaft beim Übergang zum Schisma (1378) (= Vorträge und Forschungen; 49), Ostfildern: Thorbecke 2005, 752 S., ISBN 978-3-7995-6759-6, EUR 68,00
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Die vorliegende, im Jahre 1999 von der Philosophischen Fakultät der Universität Konstanz als Dissertation angenommene Untersuchung gliedert sich in einen darstellerischen Hauptteil zur päpstlichen Stellenvergabe von Konstanzer Domkanonikaten während des avignonesischen Papsttums (17-458) und einen prosopografischen Hauptteil zu den Konstanzer Domkanonikern des Jahres 1378 (459-710).
Nach einem einleitenden Überblick über den Forschungsstand und die Quellenlage (20-30) wird zunächst die Verfassung des seit Mitte des 13. Jahrhunderts zwanzig Präbenden umfassenden Konstanzer Domkapitels skizziert (31-40). Daran schließen sich Ausführungen zu den rechtlichen Grundzügen des päpstlichen Benefizialwesens an, nämlich einerseits zu den auf dem päpstlichen Devolutions- und Reservationsrecht basierenden Provisionen, die für den Begünstigten die Zahlung von Annaten an die camera apostolica nach sich zogen, und andererseits zu den Expektanzen kraft päpstlichen Präventionsrechts (41-70). Im Gegensatz zu den Provisionen, die sich auf tatsächlich vakante Benefizien bezogen, stellten die Expektanzen Optionen auf zukünftig frei werdende Pfründen dar, sodass deren Erfolgschancen von äußeren Umständen abhängig waren, nämlich vom "Umfang der Vakanzen nichtreservierter Kirchenstellen", der "Anzahl der Expektanten mit besserem Signaturdatum" und der "Dauer eines Pontifikats" (52).
Im folgenden 4. Kapitel werden die Auswirkungen der außerordentlichen (päpstlichen) Kollatur auf das Konstanzer Domkapitel analysiert (71-129). Nachdem schon unter Innozenz IV. erste Klagen über die große Zahl der Expektanzen laut geworden waren, verfügte das Konstanzer Domkapitel 1315 zwar einen Aufnahmestopp von neuen Kanonikern, um die überlange Warteliste der Kandidaten abzubauen. Da einzig die päpstlichen Expektanzen von dieser Regelung ausgenommen waren, bewirkte der Aufnahmestopp jedoch, dass sich die Expektanten seit Johannes XXII. verstärkt an die Kurie wandten, denn nur auf diesem Weg bestand eine realistische Chance, ein Konstanzer Domkanonikat zu erlangen. Gleichsam als letztes Aufbäumen gegen den Expektantenansturm und die daraus resultierende Einschränkung der Selbstergänzung versuchte das Konstanzer Domkapitel 1337 mit einer Nominationsordnung, seine ordentlichen Verfügungsansprüche zu reaktivieren. Erfolg hatte man damit jedoch nicht; die Zahl der päpstlichen Expektanzen für einfache Domkanonikate nahm vielmehr im weiteren Verlauf des 14. Jahrhunderts zu. Im Gegensatz dazu spielten Provisionen und päpstliche Eingriffe in die Besetzungen von Dignitäten und Ämtern am Konstanzer Domkapitel aber während der avignonesischen Periode eine nachgeordnete Rolle (89-102). Den veränderten Bedingungen passten sich die ordentlichen Kollatoren (Bischöfe und Dignitäre) seit den 1350er-Jahren an, indem sie ihre Nepoten und Behördenmitglieder mittels Interventionen zu begünstigen suchten (103-129).
Im Anschluss an diesen Überblick nimmt die Autorin die päpstliche Stellenbesetzung der einzelnen Pontifikate unter die Lupe (131-288). Unter Johannes XXII. bemühten sich 30 Geistliche um 31 Expektanzen, aber nur sechs von ihnen schafften auch tatsächlich den Einzug ins Konstanzer Domkapitel: Von diesen Impetranten, waren zwei Drittel adlig, aber nur 10% verfügten über einen Universitätsabschluss; demgegenüber wurden nur vier Provisionsurkunden ausgestellt, die alle zum Erfolg führten (131-138). Im Gegensatz dazu war Benedikt XII. in seiner Stellenbesetzungspolitik äußerst zurückhaltend: Lediglich fünf Expektanzen und eine Provision stellte er für Konstanzer Domkanonikate aus; von den Bewerbern waren jedoch nur noch 40% adlig, aber alle hatten Universitätserfahrung (138-142). Clemens VI., aus dessen Pontifikat sich erstmals auch Supplikenregister erhalten haben, zeichnete sich wiederum durch eine liberale Stellenbesetzungspolitik aus: 20 Expektanzen und zehn Provisionen sind überliefert, von den Expektanzen waren aber nur vier tatsächlich erfolgreich; zwar zeigte sich Clemens VI. besonders bei gebildeten und adligen Impetranten äußerst dispensbereit hinsichtlich der Benefizienpluralität, aufgrund des Andrangs waren die Erfolgschancen der Stellensuchenden aber gering (145-173). Innozenz VI. war wieder wesentlich zurückhaltender bei der Benefizienvergabe, was sich an den häufigen Signaturen mit Modifikationen auf den Suppliken und Ablehnungen von Petentenwünschen zeigt. Dementsprechend sank die Bewerberzahl, was die Erfolgschancen des Einzelnen erhöhte (173-197). Diese Tendenz verstärkte sich unter Urban IV., der restriktiv gegen Stellenpluralität einschritt, die Pfründenbewerber häufig in sachlichen Ansprüchen beschnitt und auf die Heimatdiözese verwies; gleichzeitig betrieb Urban IV. aber eine überaus hochschul- und gelehrtenfreundlichen Benefizialpolitik, was auch das Aufkommen der Universitätsrotuli bedingte (198-244). Gregor XI. schließlich führte die Benefizialpolitik seines Vorgängers fort (245-288).
Im Ergebnis kann die Autorin anhand des Konstanzer Domkapitels somit nachweisen, dass die päpstliche Stellenvergabe während der avignonesischen Periode bisher deutlich unterschätzt wurde, denn von den 20 Kanonikern im Jahre 1378 waren elf durch Urban V. und Gregor XI., sieben durch Clemens VI. und Innozenz VI., aber nur zwei durch ordentliche Kollatur an ihr Kanonikat gelangt. Dies hatte für die soziale Zusammensetzung der Korporation gravierende Auswirkungen, da aufgrund der päpstlichen Benefizialpolitik, die besonders Gebildete förderte, verstärkt Bürgerliche Eingang in das ehemals rein adlige Domkapitel fanden: Dies hatte zur Folge, dass 1378 vierzehn der Domkanoniker bürgerlichen Standes waren.
Im zweiten Hauptteil (459-710) hat die Autorin überaus materialreiche, umfassende und in mustergültiger Form dargebotene Prosopografien der 1378 am Konstanzer Domkapitel bepfründeten Kanoniker zusammengestellt. Geboten werden zu jedem der 20 Kanoniker sowie zu fünf Klerikern mit nicht oder spät verwirklichtem Pfründeninteresse neben den Eckdaten zur Person und Qualifikation der gesamte Benefizien- und Ämterbesitz sowie die Funktionen und die Kurienaufenthalte der einzelnen Personen. Damit ist auch dieser zweite Hauptteil nicht nur für die Geschichte des Konstanzer Domkapitels überaus ergiebig.
Zu bemängeln ist hingegen "die Entscheidung [der Autorin], nach 1999 erschienene Quellenwerke oder Sekundärliteratur nicht mehr heranzuziehen" (13), da gerade für das behandelte Thema in den letzen sechs Jahren durchaus zentrale Untersuchungen erschienen sind. Zu bedauern ist ferner, dass die Untersuchung für den Druck "angesichts ihres außergewöhnlichen Umfanges nur geringfügig verändert" wurde (13), denn durch zum Teil sehr lange Satzperioden, in denen viele Ergänzungen und Zusatzinformationen eingeflochten werden, leidet besonders im darstellenden Hauptteil öfters die Stringenz der Gedankenführung, sodass auch der mit der Materie vertraute Leser häufig gezwungen ist, ganze Passagen mehrmals zu lesen. Dadurch jedoch besteht die Gefahr, dass der Leser die wissenschaftlichen Rosinen übersieht, die die Untersuchung gerade auch im darstellenden Hauptteil enthält. Als Beispiele hierfür seien genannt die überaus instruktiven Ausführungen (besonders in den Anmerkungen) zu den Expektanzen (49-56) und der Exkurs zum Formular der Provisionen (59 f.).
Stefan Petersen