Michael Mente: Essen, Alltag und Verwaltung im Kloster. Das Kreuzlinger Küchenbuch von 1716, Zürich: Chronos Verlag 2005, 446 S., ISBN 978-3-0340-0747-4, EUR 38,80
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Die vorliegende Dissertationsschrift von Michael Mente, Mitarbeiter am Historischen Seminar der Universität Zürich, eröffnet einen detailreichen Einblick in die alltägliche Welt der europäischen Klosterkultur - eine Welt, deren Innenleben aufgrund der sozialen wie räumlichen Abgeschiedenheit für die Geschichtswissenschaften immer noch weit gehend eine terra incognita darstellt. Mentes Arbeit setzt sich aus Analyse und Textedition eines frühneuzeitlichen Küchenbuches eines Klosters in Kreuzlingen am Bodensee zusammen. Rund 150 Papierseiten stark ist das erhaltene Buch, das nicht als Rezeptsammlung zu verstehen ist, sondern als Ordnungsbuch, das Anleitungen zur täglichen Küchen-, Mahlzeiten- und Vorratspraxis enthält. Und hier liegt die eigentliche Stärke der bislang kaum beachteten Quelle: Es lassen sich viel tiefer gehende Fragen über Sozialdisziplin und Hierarchie, religiöse Anschauungen und ökonomische Prinzipien beantworten, als es bei einem reinen Rezeptbuch der Fall wäre. Wir erfahren nicht nur, dass man in der Adventszeit "jede wochen 3 fastdäg" hielt und außer "ein zwifel suppen" nichts serviert wurde (II 41), sondern eben auch etwas über die Sitzplätze der Äbte und Mönche, Gäste und Handlanger.
In den vergangenen Jahren ist eine wahre Renaissance der Nahrungsthemen innerhalb der kultur- und gesellschaftshistorischen Disziplinen festzustellen. [1] Auch hier stehen die soziale Ordnung und klösterliche Hierarchie in der Küche und bei Tisch vermehrt im Zentrum der Betrachtung, nicht mehr aber die Lebensmittel oder ihre Preise. Vertreter der Sozialgeschichte haben bereits recht früh auf den hohen Gehalt derjenigen Quellen hingewiesen, die sich im Besonderen mit Lebensmitteln, Nahrung und Nahrungskultur beschäftigen. [2] Insofern ist die Herausgabe der Kreuzlinger Küchenbuch-Quelle sowohl begrüßenswert als auch auf dem neueren Stand der derzeitigen Forschungsperspektiven. Mente versichert: "Mit Hilfe dieser Angaben können wir indirekt zahlreiche Personen, Funktionen und Tätigkeiten, den Alltag und davon abweichende Besonderheiten, die Verwaltung und die Ökonomie und dergleichen mehr im Kloster des 18. Jahrhunderts näher kennenlernen" (I 16). Bedauerlicherweise sieht sich der Autor jedoch nicht in dieser Tradition: Der Forschungsstand, den er einleitend vorstellt, bewegt sich einzig im lokalen Raum Kreuzlingens; es ist also mehr der Forschungsstand des Kreuzlinger Stifts und kein Überblick über die interdisziplinären Arbeiten, die sich mit historischer Nahrungsforschung auseinandersetzen. Damit verpasst Mente die Anbindung an themenspezifische Nachbargebiete, die ihrerseits Vergleiche zur Esskultur in anderen Klostergemeinschaften der Frühen Neuzeit zulassen würden. Die vorliegende Studie verlässt den überschaubaren Wirkungskreis des Kreuzlinger Stifts kaum, auch wenn der Autor zu Beginn des zweiten Teils ("Themen, Fragen und Ausblick") deutlich verspricht, "ein wenig über den Tellerrand" hinaus zu schauen (I 100). Die Genauigkeit des Werkes sowie die verlässliche Editionstechnik und gewissenhafte Zerlegung des historischen Textes beeindrucken den Leser hingegen auf nahezu allen 440 Seiten des Bandes absolut positiv.
Das Küchenbuch informiert über Essenszeiten, Proviant und Konsum, Zubereitung und Kosten. Mente versteht es auch, die durchaus heterogene Gruppen herauszustellen, die zur Klostergemeinschaft gehören konnten: Handwerker, Dienstleute und Knechte, Besucher, Pilger und Frauen zählten zu den Mitspeisenden, nicht jedoch zur von den Mönchen dominierten Sitzordnung im eigentlichen Speisesaal der Anlage. Zugleich trägt Mentes Arbeit wesentlich dazu bei, das Bild des feisten und bierseligen Mönchleins von Grund auf zu korrigieren: In der Vormoderne war das klösterliche Leben in seinen Abläufen und den penibel eingehaltenen Zeiten sehr viel stärker reguliert, als es in der öffentlichen Meinung bisweilen eingeschätzt wird. Und auch die strikten Einteilungen von Verbrauch und Kosten der Lebensmittel dürften denjenigen Leser überraschen, der bisher nur wenig über das klösterliche Innenleben wusste: Dass die strengen Regeln der Gebets-, Schlaf- und Arbeitsstunden in den abendländischen Klöstern zu durchgängiger Disziplinierung des Zusammenlebens geführt hatten, ist bekannt. Die Erkenntnis, dass jedoch auch der Umgang mit Lebensmitteln so effizient gestaltet wurde, ist hervorzuhebender Kern der vorliegenden Arbeit.
Das Küchenbuch, dessen Edition (nach teilweise etwas langatmigen Erklärungen der Quelle) dann ab Seite 264 eigentlich erst beginnt, verweist auf die zeitgenössischen Ordnungsvorstellungen und auf die Nahrungsverteilung an verschiedene Personengruppen, wobei Qualität, Menge, Tageszeiten und Ort der Einnahme stets mit Status und Funktion der Begünstigten sehr deutlich in einem Zusammenhang erscheinen. Einblicke in eine zunehmend auf Schriftlichkeit gestützte Verwaltung und ihre Funktionen sowie in Alltag, Sachkultur und Mentalitäten machen die Quelle für die Auswertung im Hinblick auf eine Klostergeschichte von Kreuzlingen, aber auch übergreifende Untersuchungen äußerst wertvoll, wenngleich auch hier der lokalhistorische Bezug im Vordergrund der Darstellung steht. Die systematische Erschließung einer solch umfangreichen Quelle muss immer Anlass des Dankes sein, der dem Herausgeber ohne Einschränkung gebührt - insbesondere, wenn man es mit einer derartigen Sorgfalt wie in der vorliegenden Edition zu tun hat. Da der analytische Blick "über den Tellerrand" hinaus in Relation zur umfangreichen Textmasse jedoch etwas dürftig ausfällt, scheint es, als müsse das interne Klosterleben der Frühen Neuzeit auch weiterhin im lokalen Zusammenhang verharren, ohne dass der vorliegende Band Parallelen zu anderen Klöstern (beispielsweise in Frankreich, Westdeutschland oder dem slawisch-orthodoxen Raum) hervorheben würde. Analytische Vergleiche - beispielsweise im überregionalen oder gar europäischen Kontext - hat der Autor nicht riskiert; keine Stelle erklärt dem Leser die Nahrungsgewohnheiten der übrigen Einwohner Kreuzlingens oder der Umgebung im frühen 18. Jahrhundert, um die Kost der Klosterbewohner deutlich zu kontrastieren. Und ebenso war der Autor nicht dazu bereit, sich in den Forschungskanon der sozialhistorischen oder volkskundlichen Nahrungsforschung zu integrieren, auch wenn er eher aus der Perspektive der Verschriftlichung von Verwaltungen argumentiert. Das gerade einmal fünf Seiten zählende Verzeichnis der Sekundärliteratur umfasst nahezu ausschließlich lokale Aufsätze über die Geschichte des Kreuzlinger Stifts.
Die Hervorhebung dieser kleinen Monita soll jedoch abschließend keinesfalls darüber hinweg sehen lassen, dass mit Mentes Kreuzlinger Küchenbuch nun eine wichtige Quelle frühneuzeitlicher Alltagskultur vorliegt, welche auch nach den höchsten wissenschaftlichen Kriterien als souverän, sorgfältig und exakt bewertet werden muss.
Anmerkungen:
[1] Zu den Neuerscheinungen der vergangen Jahre vgl. den aktuellen Forschungsbericht bei Günther Wiegelmann: Alltags- und Festspeisen in Mitteleuropa. Innovationen, Strukturen und Regionen vom späten Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert, 2., erweiterte Auflage unter Mitarbeit von Barbara Krug-Richter, Münster u. a. 2006, 314ff.
[2] Dirk Reinhardt / Uwe Spiekermann / Ulrike Thoms: Neue Wege zur Ernährungsgeschichte: Kochbücher, Haushaltsrechnungen, Konsumvereinsberichte und Autobiographien in der Diskussion, Frankfurt a. M. 1993.
Bastian Fleermann