Deyan Sudjic: Der Architekturkomplex. Monumente der Macht, Düsseldorf: Patmos 2006, ISBN 978-3-538-07224-4
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Architektur ist im Unterschied zur rein bildenden Kunst stärker an die Vorstellungen und Wünsche ihrer Auftraggeber gebunden und auf Grund ihrer Monumentalität wesentlich anfälliger für politische Machtdemonstration und individuelle oder nationale Gigantomanien. Inwieweit dieser Zusammenhang Relevanz für die Formgebung und Entwicklung der Architektur im 20. Jahrhundert besitzt, ist Thema des vorliegenden Buchs von Deyan Sudjic, Architekturkritiker des Londoner "Observers" und ehemaliger Leiter der Architektur-Biennale 2002. Sudjic hat sich bereits 1999 mit dem Komplex "Architektur und Politik" auseinander gesetzt und ist der Frage nach einer "demokratischen Architektur" nachgegangen. [1] Nun bezieht er sich vor allem auf monumentale Aussagen von Bauwerken, die im Kontext der faschistischen und sozialistischen Regime des 20. Jahrhunderts entstanden sind, aber auch mit zeitgenössischen Bauvorhaben, bei denen ebenso eine dahinter befindliche Machtgier zu erkennen ist. Für erstere Zeitphase der Moderne und die Zusammenhänge von Kunst und Macht in den totalitären Diktaturen gibt es bereits grundlegende Untersuchungen [2], die zeitgenössische Situation ist allerdings dahingehend noch nicht analysiert worden. Dies entbehrt nicht einer gewissen Brisanz, da hier renommierte Stararchitekten indirekt der Korrumpierbarkeit beschuldigt werden.
Überhaupt geht es Sudjic vorrangig um die Rolle des ausführenden Architekten in der Zwickmühle zwischen attraktivem Grossauftrag und moralisch-politischer Verantwortung. Seine Darstellung ist somit eher eine (unterhaltsame!) Zusammenstellung von Fallbeispielen, in denen klar wird, dass Architekten fast immer den machthungrigen Vorstellungen ihrer Auftraggeber nachkamen und die damit verbundenen Chancen gigantischer Bauprojekte nutzten. Aber seien wir ehrlich: Wer wollte ihnen das verübeln? Auch Sudjic sieht es als schicksalhaft an: "Der Beruf des Architekten kann daher als Bereitschaft gesehen werden, eine Art Faustischen Pakt anzunehmen. Er hat keine Alternative, als sich anzupassen und Kompromisse einzugehen, ganz gleich, welches Regime gerade an der Macht ist" (17).
In den ersten sechs Kapiteln handelt der Autor die "grossen" Diktatoren des 20. Jahrhunderts ab. Einleitend mit Anmerkungen zu Saddam Husseins "unglücklichem" Geschmack für Architektur, geht es dann weiter bei Adolf Hitler und seinem Hausarchitekten Adolf Speer sowie deren gigantomanischen Einschüchterungsbauten wie der Reichskanzlei oder dem Germania-Modell für ein neues Berlin. Aber auch Mies van der Rohe wird in diesem Zusammenhang erwähnt, denn auch er war bereit, als Architekt für Hitler zu arbeiten. Sudjic sieht den Unterschied zwischen Speer und Mies van der Rohe darin, dass "Speer sich ganz und gar der Verwirklichung der Ambitionen seines Meisters widmete, während Mies, obwohl in politischer Hinsicht beugsam und kompromissbereit, in Bezug auf die Architektur unnachgiebig war" (36). Vielleicht könnte man es auch einfacher ausdrücken: Speer liess sich als Architekt instrumentalisieren, während Mies van der Rohe dies nicht zuliess, aber vor allem deshalb, weil Hitler eine Antipathie gegen die neue moderne Richtung hegte. Ein Vergleich von Hitlers Bauwerken mit den stalinistischen Bauten der Sowjetunion hinsichtlich einer ideologischen Architektur-Rhetorik führt zu der Diagnose einer "pathologische(n) Obsession für Größe, Symmetrie und aufdringliche Ikonographie", die bei beiden Diktatoren auszumachen sei (61).
Etwas anders verhält es sich mit der faschistischen Architektur in Italien, deren Auftraggeber Mussolini durchaus offen gegenüber modernen Bauprinzipien wie Kubusbau und Glasfassade eingestellt war und diese Fortschrittsbilder für seine radikale politische Propaganda nutzte. Terragnis "Haus des Faschismus" in Como ist ebenso ideologisch motiviert wie Speers Reichskanzlei, dennoch suggerieren die Bauformen mit ihrer Transparenz für uns heute so etwas wie "Demokratie" - Vorsicht scheint hier also geboten (86). Sudjic vermag diese Problematik jedoch nicht differenziert aufzuschlüsseln, stattdessen schweift er zu einem weiteren Beispiel, Philipp Johnson als Inkunabel für die klassische Moderne, ab und kann ihn als "Antisemit" sowie ruhmsüchtigen Architekten brandmarken (105).
Die asiatische Variante der totalitären Selbstdarstellung findet der Autor bei Maos Platz des Himmlischen Friedens in Peking, einem Paradeplatz, dessen riesige Leere einschüchtert; 1977 wurde hier Maos Mausoleum errichtet, dass bewusst quer zur Achse der kaiserlichen Verbotenen Stadt positioniert wurde (120). Ein Blick auf den aktuellen Bauboom in China offenbart jedoch weitaus grössere radikale Abriss- und Neubaumassnahmen, und hier ist keiner der aktuellen international gefragten Architekten abgeneigt, für diesen nach wie vor autoritären Staat zu arbeiten. Sudjic entblösst Rem Koolhaas' zweischneidiges Verhalten, der einerseits eine Beteiligung am Wettbewerb für Ground Zero mit der Begründung ablehnte, dass hier eine Gedenkstätte für das "Selbstmitleid im stalinistischen Maßstab" geschaffen werde, andererseits aber zum gleichen Zeitpunkt unbedingt einen Auftrag für Pekings höchste Hochhäuser bekommen möchte (134).
Aber nicht nur die Architektenschaft wird vom Autor des Opportunismus bezichtigt, es sind vor allem die Auftraggeber selbst, wie Staaten, Nationen, Regierungschefs und reiche Privatleute, die sich mithilfe gigantischer Architekturprojekte ein Denkmal setzen und vermeintliche Identitäten stiften wollen. Das hierzu etwas mehr gehört als nur in verschwenderisch teuren Superlativen zu schwelgen, belegen Beispiele wie Tony Blairs Millenium Dome auf der toxisch verseuchten Halbinsel von Greenwich (188) oder François Mitterands riesige gläserne Nationalbibliothek in Paris, die auf Grund ihrer unmöglichen Klimatik nur in den Kellergeschossen die Bücher bergen kann (230, 296). Ein für Europäer eher unbekanntes Phänomen sind auch die so genannten Präsidenten-Bibliotheken in den USA, denen Sudjic ein ganzes Kapitel widmet (263-297). Es ist schon amüsant zu lesen, wie sich ausgehend von Thomas Jefferson sämtliche amerikanischen Architekten in der Gestaltung ihrer "intellektuellen" Gedenkstätten als Pantheon, Tempel oder Akropolis zu übertrumpfen trachteten!
Wie lautet nun Sudjics Fazit, das er aus seiner Offenlegung der Machtstrategien um und mit Architektur zieht? Die Auswertung fällt für denjenigen unbefriedigend aus, der eine systematische Analyse erwartet hätte. Aber diesen wissenschaftlichen Ansatz kann und will das Buch nicht leisten. So ist das Schlusswort eher laipdar: Architektur wird nach wie vor von den Grossen und Mächtigen dieser Welt bestimmt und Architekten handeln häufig nicht frei, da ihre Arbeit vom politischen Kontext der Welt abhängig ist (356). Wichtig scheint für alle Beteiligten vor allem eines: die trügerische Beziehung zwischen Architektur und Macht zu verstehen. Hierzu liefert Sudjics Buch einen interessanten Beitrag.
Anmerkungen:
[1] Deyan Sudjic / Helen Jones: Architecture and Democracy, Glasgow 1999.
[2] Ades Dawn / Tim Benton / David Elliott / Iian Whyte: Art and Power. Europe under the Dictators 1930-45, London 1996; dt. Version: dies.: Kunst und Macht im Europa der Diktatoren 1930-45, London, Barcelona, Berlin 1996.
Stefanie Lieb